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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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die schriftstellerischen Kräfte des Landes werden mehr berücksichtigt
und gepflegt und der Wissenschaft und der Literatur manches Talent,
das bisher verkümmern mußte, gewonnen werden. Aber gar zu
viele Hoffnungen darf man sich von dem Aufblühen einer selbststän-
digen Literatur auch dann kaum machen, und es steht zu fürchten,
die Illusionen eines so manchen Patrioten werden später auf eine
traurige Weise schwinden. Der Nachdruck hat bei all' seiner Unmo-
ralität, bei all' seiner Unterdrückung einheimischer Talente, bei aller
Überschwemmung mit elenden Schriften, die er in'S Land trägt, doch
auch seine große und nutzbringende Seite. In der Mitte frivoler
Romane schleudert er auch eine Masse trefflicher Bücher der besten
Autoren unter das Publikum, Bücher die von unabhängigen, in freier
Forschung thätigen Geistern geschrieben sind, und die durch wohlfeile
Preise jedem Lernbegieriger in die Hände kommen. Mit dem Auf¬
hören des Nachdrucks wird viel des Uebeln aber auch diese gute
Saat verschwinden. Die belgische Presse wird eine einheimische, aber
auch eine überwiegend katholische, eine ultrakatholische werden. Dieses
Prognostikon kann man ihr mit Sicherheit stellen, ja es kündigt sich
selbst unter den jetzigen Zuständen schon an. Ich will es durch ein
Beispiel erklären und beweisen. In Mitten der Nachdruckerindustrie
zeichneten sich seit drei, vier Jahren die beiden jungen Verleger
,f"in!er A Ilvu durch einige brillante Originalunternehmungen aus.
Diese Werke, die sich mit Belgien selbst beschäftigen und mit vielem
Geschmacke ausgestattet sind, fanden guten Boden und reichen Absatz.
Plötzlich sah man die beiden jungen Leute, die Schwäger sind und
im herzlichsten Einvernehmen leben, ihre Firma trennen und in ihren
Verlagsunternehmungen sich theilen. Es war nämlich unter gemein¬
samer Firma auch ein viel verbreiteter Nachdruck von Eugen Sue's
"ewiger Jude" begonnen worden. Dieß nahmen'viele eifrige Katho¬
liken übel und da für den Absatz der kostspieligen Originalwerke das
Schmollen der reichen Katholiken schädlich gewesen wäre, so trennte
man das Compagniegeschäft; Herr Hen übernahm die anstoßerre¬
gende Romanliteratur und Herr Jamar behielt die Originalwerke.
Letzterer sagte mir ein Mal selbst: "Ohne Rücksicht auf die katholische
Parthei, ja sogar auf die Ultrakatholiken, ist kein bedeutendes Origi-
nalunternehmcn auszuführen. Unsere Aristokratie, ja der größte Theil
unserer Reichen gehört zur ultramontanen Parthei; ein großer Theil


die schriftstellerischen Kräfte des Landes werden mehr berücksichtigt
und gepflegt und der Wissenschaft und der Literatur manches Talent,
das bisher verkümmern mußte, gewonnen werden. Aber gar zu
viele Hoffnungen darf man sich von dem Aufblühen einer selbststän-
digen Literatur auch dann kaum machen, und es steht zu fürchten,
die Illusionen eines so manchen Patrioten werden später auf eine
traurige Weise schwinden. Der Nachdruck hat bei all' seiner Unmo-
ralität, bei all' seiner Unterdrückung einheimischer Talente, bei aller
Überschwemmung mit elenden Schriften, die er in'S Land trägt, doch
auch seine große und nutzbringende Seite. In der Mitte frivoler
Romane schleudert er auch eine Masse trefflicher Bücher der besten
Autoren unter das Publikum, Bücher die von unabhängigen, in freier
Forschung thätigen Geistern geschrieben sind, und die durch wohlfeile
Preise jedem Lernbegieriger in die Hände kommen. Mit dem Auf¬
hören des Nachdrucks wird viel des Uebeln aber auch diese gute
Saat verschwinden. Die belgische Presse wird eine einheimische, aber
auch eine überwiegend katholische, eine ultrakatholische werden. Dieses
Prognostikon kann man ihr mit Sicherheit stellen, ja es kündigt sich
selbst unter den jetzigen Zuständen schon an. Ich will es durch ein
Beispiel erklären und beweisen. In Mitten der Nachdruckerindustrie
zeichneten sich seit drei, vier Jahren die beiden jungen Verleger
,f»in!er A Ilvu durch einige brillante Originalunternehmungen aus.
Diese Werke, die sich mit Belgien selbst beschäftigen und mit vielem
Geschmacke ausgestattet sind, fanden guten Boden und reichen Absatz.
Plötzlich sah man die beiden jungen Leute, die Schwäger sind und
im herzlichsten Einvernehmen leben, ihre Firma trennen und in ihren
Verlagsunternehmungen sich theilen. Es war nämlich unter gemein¬
samer Firma auch ein viel verbreiteter Nachdruck von Eugen Sue's
„ewiger Jude" begonnen worden. Dieß nahmen'viele eifrige Katho¬
liken übel und da für den Absatz der kostspieligen Originalwerke das
Schmollen der reichen Katholiken schädlich gewesen wäre, so trennte
man das Compagniegeschäft; Herr Hen übernahm die anstoßerre¬
gende Romanliteratur und Herr Jamar behielt die Originalwerke.
Letzterer sagte mir ein Mal selbst: „Ohne Rücksicht auf die katholische
Parthei, ja sogar auf die Ultrakatholiken, ist kein bedeutendes Origi-
nalunternehmcn auszuführen. Unsere Aristokratie, ja der größte Theil
unserer Reichen gehört zur ultramontanen Parthei; ein großer Theil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/109>, abgerufen am 05.02.2025.