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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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gesehenen Archivpapieren ohne allen historischen Werth sich darunter
befindet. In Deutschland, in Frankreich :c. sind derlei Bücher nicht
möglich. Der Verleger bezahlt nur was das Publikum kaufen kann,
und das Publikum kauft nur, was ihm Belehrung oder Erholung
bringt. In Belgien aber gibt es eine ganze Literatur, die ohne
Publikum ist, Hunderte von Schriften, die nicht durch den Bedarf
der Leser, sondern durch die unkritische Gunst der Negierung entstehen,
und die aus dem Druckerzimmer nur zwei Wege einschlagen: in's
Bureau des Ministeriums, das darauf subscribirte, und in's Macu-
laturlager. Diese künstlich getriebene Cncouregements - Literatur hat
noch andere große Nachtheile. Der Schriftsteller verkauft seine Mei¬
nung, er läßt aus, was der herrschenden Parthei mißfallen, er schiebt
ein, was ihr behagen könnte. Statt aufzumuntern demoralisirt das
subsidium, abgesehen davon, daß die Schniarotzerliteratur das Auf¬
kommen wirklich guter Bücher hindert, indem sie die Summen, welche
die Nation hochherziger Weise hierzu bewilligt, aufzehrt. Noch fehlen
in dem sonst so praktischen Belgien ganze Branchen der allernöthig-
sten Hand- und Nachschlagebücher. Die deutsche Literatur ist in
Bezug auf Belgien viel fleißiger gewesen als dieses selbst, und um
nur ein Beispiel zu erwähnen, sehe man die Reihe trefflicher Bio¬
graphien und Charakteristiken belgischer Staatsmänner und sonstiger
Berühmtheiten, welche das Lerikon der Gegenwart enthält. In Bel¬
gien selbst muß derjenige, welcher über die Lebens- und Wirkungs¬
details dieses oder jenes Künstlers, Gelehrten, Staatsmannes :c. sich
unterrichten will, mit vieler Mühe Einzelnes in Journalen und Bro¬
schüren Zerstreutes zusammensuchen. Fehlt es aber auch schon an
solchen Dingen, wo doch die Eitelkeit der Persönlichkeiten mit im
Spiele ist, so kann man erst schließen, welch' ein Mangel in andern
Zweigen herrscht, wo es sich blos um die Wissenschaft handelt.

Ist nun der Verlagsbuchhandel auf so traurige Art bestellt, so
steht es um den Sortimentsbuchhandel nicht besser. Kaum sollte
man es glauben, daß in einem Lande, in welchem durch Eisenbah¬
nen und treffliche Vicinalwcge der Verkehr so leicht wird, die ver¬
schiedenen Buchhändler in so geringem Verbände unter einander
stehen, daß ein Buch, welches in der einen Stadt gedruckt wird, in
der Nachbarstadt nicht anzutreffen ist! Nur die Brüsseler Verlags¬
erzeugnisse sind in den andern großen Provinzstädten zu finden (und


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gesehenen Archivpapieren ohne allen historischen Werth sich darunter
befindet. In Deutschland, in Frankreich :c. sind derlei Bücher nicht
möglich. Der Verleger bezahlt nur was das Publikum kaufen kann,
und das Publikum kauft nur, was ihm Belehrung oder Erholung
bringt. In Belgien aber gibt es eine ganze Literatur, die ohne
Publikum ist, Hunderte von Schriften, die nicht durch den Bedarf
der Leser, sondern durch die unkritische Gunst der Negierung entstehen,
und die aus dem Druckerzimmer nur zwei Wege einschlagen: in's
Bureau des Ministeriums, das darauf subscribirte, und in's Macu-
laturlager. Diese künstlich getriebene Cncouregements - Literatur hat
noch andere große Nachtheile. Der Schriftsteller verkauft seine Mei¬
nung, er läßt aus, was der herrschenden Parthei mißfallen, er schiebt
ein, was ihr behagen könnte. Statt aufzumuntern demoralisirt das
subsidium, abgesehen davon, daß die Schniarotzerliteratur das Auf¬
kommen wirklich guter Bücher hindert, indem sie die Summen, welche
die Nation hochherziger Weise hierzu bewilligt, aufzehrt. Noch fehlen
in dem sonst so praktischen Belgien ganze Branchen der allernöthig-
sten Hand- und Nachschlagebücher. Die deutsche Literatur ist in
Bezug auf Belgien viel fleißiger gewesen als dieses selbst, und um
nur ein Beispiel zu erwähnen, sehe man die Reihe trefflicher Bio¬
graphien und Charakteristiken belgischer Staatsmänner und sonstiger
Berühmtheiten, welche das Lerikon der Gegenwart enthält. In Bel¬
gien selbst muß derjenige, welcher über die Lebens- und Wirkungs¬
details dieses oder jenes Künstlers, Gelehrten, Staatsmannes :c. sich
unterrichten will, mit vieler Mühe Einzelnes in Journalen und Bro¬
schüren Zerstreutes zusammensuchen. Fehlt es aber auch schon an
solchen Dingen, wo doch die Eitelkeit der Persönlichkeiten mit im
Spiele ist, so kann man erst schließen, welch' ein Mangel in andern
Zweigen herrscht, wo es sich blos um die Wissenschaft handelt.

Ist nun der Verlagsbuchhandel auf so traurige Art bestellt, so
steht es um den Sortimentsbuchhandel nicht besser. Kaum sollte
man es glauben, daß in einem Lande, in welchem durch Eisenbah¬
nen und treffliche Vicinalwcge der Verkehr so leicht wird, die ver¬
schiedenen Buchhändler in so geringem Verbände unter einander
stehen, daß ein Buch, welches in der einen Stadt gedruckt wird, in
der Nachbarstadt nicht anzutreffen ist! Nur die Brüsseler Verlags¬
erzeugnisse sind in den andern großen Provinzstädten zu finden (und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/107>, abgerufen am 05.02.2025.