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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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mehrere Monate verwaist geblieben und ward in den letzten Tagen
erst durch eine uns zur Zeit noch nicht vorgeführte Schauspielerin,
Madame Bender, besetzt. Es wäre zu wünschen, daß die Direktion
hier einen eben so glücklichen Treffer gezogen hätte, wie durch das En¬
gagement des Fraulein Unzelmann. Diese unsere erste Liebhaberin ist
gewissermaaßen ein Gegensatz zu unserem ersten Liebhaber, Herrn Wag¬
ner. Wenn dieser im ersten Momente durch sein schönes Organ an¬
zieht und in der Folge durch Mangel an geistiger Nüancirung wieder
erkalten macht, so ist es bei Fraulein Unzelmann umgekehrt; ihr Or¬
gan ist spröde, zwar ausdauernd, aber keineswegs einschmeichelnd und
melodiös; es ist ein Geschwisterkind von Seioelmann's Organ, wie¬
wohl in's weibliche übersetzt. Beim ersten Anhören macht es stutzig
und erregt Kopfschütteln. Aber allmälig, wenn die ersten Momente
vorüber sind und das Spiel der jungen Schauspielerin sich entwickelt,
ändert sich diese Stimmung und nach jedem Akte wird man wärmer,
hingebender, und am Schlüsse bewundert man, wogegen man sich
Anfangs gesträubt. Es ist ein merkwürdiger Sieg des Geistes über
die Materie in dem Spiele dieses noch ganz jugendlichen Mädchens.
Es ist wie bei einem Freunde, dessen glühendes Herz sich hinter einem
rauhen Tone verbirgt, je naher man ihm tritt, desto warmer und
glänzender geht uns sein inneres Leben auf. Fräulein Unzelmann,
erst seit wenigen Monaten beim Leipziger Theater, hat sich bereits
einmüthige Anerkennung erworben. Ein tiefes Gemüth und eine merk¬
würdig scharfsinnige Nüancirung sind die Hauptqualitäten dieser Schau¬
spielerin, und wir kennen kaum ein Gretchen auf der deutschen Bühne,
welches diese Rolle mit solcher Vollendung spielt und dabei auch wirk¬
lich ein junges Mädchen ist. Wofür man Fräulein Unzelmann war¬
nen muß, das ist die Hinneigung zum Ernst, auch in solchen Par¬
tien, die eine etwas heitere Färbung zulassen. Das menschliche Ge¬
müth sieht immer lieber heitere als düstere Menschen und es ist da¬
her im Interesse des Schauspielers selbst, dem Zuschauer so viel Freu¬
digkeit als möglich vorzuführen.

Madame Günther-Bachmann ist eine muntere Soubrette, die
bei ihrem Auftreten stets Leben und Frische in die Scene bringt.
Wenn sie auch nicht mehr in der ersten Blüthe der Jugend steht und
ein etwas gefährliches Embonpoint gewinnt, so weiß sie dagegen so
treffliche Toilette zu machen, und besitzt einen solchen Schatz unver¬
wüstlicher Laune, daß sie noch lange ein Liebling des Publikums
bleiben wird. Zudem ist Mad. G.-V. eine jener wenigen Schau¬
spielerinnen, die einst eine vortreffliche komische Alte abgeben, und wenn
vielleicht die schönere Hälfte ihres Künstlerlebens hinter ihr liegt, so
geht sie darum doch einer gesicherten Zukunft entgegen.

Das Fach der Mütter und komischen Alten ist übrigens durch
die treffliche und fleißige Madame Eile in den besten Händen. Ueber


mehrere Monate verwaist geblieben und ward in den letzten Tagen
erst durch eine uns zur Zeit noch nicht vorgeführte Schauspielerin,
Madame Bender, besetzt. Es wäre zu wünschen, daß die Direktion
hier einen eben so glücklichen Treffer gezogen hätte, wie durch das En¬
gagement des Fraulein Unzelmann. Diese unsere erste Liebhaberin ist
gewissermaaßen ein Gegensatz zu unserem ersten Liebhaber, Herrn Wag¬
ner. Wenn dieser im ersten Momente durch sein schönes Organ an¬
zieht und in der Folge durch Mangel an geistiger Nüancirung wieder
erkalten macht, so ist es bei Fraulein Unzelmann umgekehrt; ihr Or¬
gan ist spröde, zwar ausdauernd, aber keineswegs einschmeichelnd und
melodiös; es ist ein Geschwisterkind von Seioelmann's Organ, wie¬
wohl in's weibliche übersetzt. Beim ersten Anhören macht es stutzig
und erregt Kopfschütteln. Aber allmälig, wenn die ersten Momente
vorüber sind und das Spiel der jungen Schauspielerin sich entwickelt,
ändert sich diese Stimmung und nach jedem Akte wird man wärmer,
hingebender, und am Schlüsse bewundert man, wogegen man sich
Anfangs gesträubt. Es ist ein merkwürdiger Sieg des Geistes über
die Materie in dem Spiele dieses noch ganz jugendlichen Mädchens.
Es ist wie bei einem Freunde, dessen glühendes Herz sich hinter einem
rauhen Tone verbirgt, je naher man ihm tritt, desto warmer und
glänzender geht uns sein inneres Leben auf. Fräulein Unzelmann,
erst seit wenigen Monaten beim Leipziger Theater, hat sich bereits
einmüthige Anerkennung erworben. Ein tiefes Gemüth und eine merk¬
würdig scharfsinnige Nüancirung sind die Hauptqualitäten dieser Schau¬
spielerin, und wir kennen kaum ein Gretchen auf der deutschen Bühne,
welches diese Rolle mit solcher Vollendung spielt und dabei auch wirk¬
lich ein junges Mädchen ist. Wofür man Fräulein Unzelmann war¬
nen muß, das ist die Hinneigung zum Ernst, auch in solchen Par¬
tien, die eine etwas heitere Färbung zulassen. Das menschliche Ge¬
müth sieht immer lieber heitere als düstere Menschen und es ist da¬
her im Interesse des Schauspielers selbst, dem Zuschauer so viel Freu¬
digkeit als möglich vorzuführen.

Madame Günther-Bachmann ist eine muntere Soubrette, die
bei ihrem Auftreten stets Leben und Frische in die Scene bringt.
Wenn sie auch nicht mehr in der ersten Blüthe der Jugend steht und
ein etwas gefährliches Embonpoint gewinnt, so weiß sie dagegen so
treffliche Toilette zu machen, und besitzt einen solchen Schatz unver¬
wüstlicher Laune, daß sie noch lange ein Liebling des Publikums
bleiben wird. Zudem ist Mad. G.-V. eine jener wenigen Schau¬
spielerinnen, die einst eine vortreffliche komische Alte abgeben, und wenn
vielleicht die schönere Hälfte ihres Künstlerlebens hinter ihr liegt, so
geht sie darum doch einer gesicherten Zukunft entgegen.

Das Fach der Mütter und komischen Alten ist übrigens durch
die treffliche und fleißige Madame Eile in den besten Händen. Ueber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/101>, abgerufen am 05.02.2025.