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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Politik auf allen Wegen mit großer Rücksichtslosigkeit und in allen
Verkleidungen; weil indeß der Wiener Russe es für gut findet, auch
eine Stelle aus meinem Correspondenzberichte in das Geflecht seiner
Logik zu verweben, so sehe ich es als meine Pflicht an, dem feinen
Diplomaten zu antworten. Die Russenstimme aus Wien will in
demselben gelesen haben, daß die Russen den Communismus erfunden
und findet diese Behauptung eben so absonderlich, als die Parallele
zwischen Tengoborski's Buch über Oesterreich und Katakazi's Rolle
in Griechenland. Abgesehen davon, daß in Wiesner's Streiflichtern
das System diplomatischer Einmischung von Seite Rußlands in die
inneren Angelegenheiten benachbarter Staaten aus Gründen äußerer
Politik gemeint ist, wovon die deutschen Staatsmänner bei einiger
Offenherzigkeit genug zu erzählen wissen, findet der russische Berichtiger
in den Grenzboten durchaus etwas Anderes, als wirklich darin steht.
Nicht erfunden haben die russischen Diplomaten, wie es dort heißt,
den Communismus, aber er wird von ihnen mit soviel Glück ausge¬
beutet und muß ihnen dazu dienen, die deutschen Großmächte in ängst¬
licher Unthätigkeit auf dem Felde des politischen Fortschritts zu erhal¬
ten, daß man allerdings versucht sein kann auszurufen: Hätte Bab-
oeuf es nicht gethan, so wäre es die Aufgabe des l)r. Goldmann
geworden. -- Dies dem Russen in der Augsburger Allgemeinen Zei¬
tung, der in der deutschen Sprache nicht sehr fest zu sein scheint und
dem also ein kleiner Irrthum leicht zu verzeihen ist. Wenn er fleißig
ist, so kann er es noch dahin bringen, wie Andere seiner Landsleute,
die recht geläufig deutsche Bücher, z. B. Springer's Statistik von
Oesterreich u. tgi. abzuschreiben wissen.

Wiens äußere Physiognomie geht einer gar wichtigen Verwand¬
lung entgegen, sobald das von einer Architektengesellschaft entworfene
Project zur Erweiterung der inneren Stadt die Allerhöchste Genehmi¬
gung erhalt, woran, wie man hört, kaum mehr zu zweifeln sein dürfte.
Aus dem täglich fühlbarer hervortretenden Raummangel zu öffentlichen
Gebäuden, deren Bestimmung es nicht erlaubt, sie an die äußersten
Enden der Vorstädte zu verlegen, hat sich allmälig das Bedürfniß ent¬
wickelt, den Umfang der inneren Stadt, die jetzt ttOMt) Einwohner
hat und bereits mit Menschen überfüllt ist, ansehnlich zu erweitern.
Wie bekannt, wird die innere Stadt, die noch immer mit einem als
Spaziergang dienender Wallgürtel umringt ist, durch ein sechzig Klafter
breites Glacis von den 34 Vorstädten geschieden, und dieser Raum,
welcher zum Theil mit Alleen bepflanzt, zum Theil Exerzierplatz und
Holzstalle ist, gehört zu den Eigenthümlichkeiten und besonderen An¬
nehmlichkeiten Wiens, um welche sie jeder Fremde beneiden kann und
welcher man sie um keinen Preis berauben sollte. Sogar die Sani¬
tatsbehörde nimmt sich des Glacis an und hat gewiß nicht Unrecht,
wenn sie in dem grünen, mit duftenden Rosmarin und Akazicnbäu-


Politik auf allen Wegen mit großer Rücksichtslosigkeit und in allen
Verkleidungen; weil indeß der Wiener Russe es für gut findet, auch
eine Stelle aus meinem Correspondenzberichte in das Geflecht seiner
Logik zu verweben, so sehe ich es als meine Pflicht an, dem feinen
Diplomaten zu antworten. Die Russenstimme aus Wien will in
demselben gelesen haben, daß die Russen den Communismus erfunden
und findet diese Behauptung eben so absonderlich, als die Parallele
zwischen Tengoborski's Buch über Oesterreich und Katakazi's Rolle
in Griechenland. Abgesehen davon, daß in Wiesner's Streiflichtern
das System diplomatischer Einmischung von Seite Rußlands in die
inneren Angelegenheiten benachbarter Staaten aus Gründen äußerer
Politik gemeint ist, wovon die deutschen Staatsmänner bei einiger
Offenherzigkeit genug zu erzählen wissen, findet der russische Berichtiger
in den Grenzboten durchaus etwas Anderes, als wirklich darin steht.
Nicht erfunden haben die russischen Diplomaten, wie es dort heißt,
den Communismus, aber er wird von ihnen mit soviel Glück ausge¬
beutet und muß ihnen dazu dienen, die deutschen Großmächte in ängst¬
licher Unthätigkeit auf dem Felde des politischen Fortschritts zu erhal¬
ten, daß man allerdings versucht sein kann auszurufen: Hätte Bab-
oeuf es nicht gethan, so wäre es die Aufgabe des l)r. Goldmann
geworden. — Dies dem Russen in der Augsburger Allgemeinen Zei¬
tung, der in der deutschen Sprache nicht sehr fest zu sein scheint und
dem also ein kleiner Irrthum leicht zu verzeihen ist. Wenn er fleißig
ist, so kann er es noch dahin bringen, wie Andere seiner Landsleute,
die recht geläufig deutsche Bücher, z. B. Springer's Statistik von
Oesterreich u. tgi. abzuschreiben wissen.

Wiens äußere Physiognomie geht einer gar wichtigen Verwand¬
lung entgegen, sobald das von einer Architektengesellschaft entworfene
Project zur Erweiterung der inneren Stadt die Allerhöchste Genehmi¬
gung erhalt, woran, wie man hört, kaum mehr zu zweifeln sein dürfte.
Aus dem täglich fühlbarer hervortretenden Raummangel zu öffentlichen
Gebäuden, deren Bestimmung es nicht erlaubt, sie an die äußersten
Enden der Vorstädte zu verlegen, hat sich allmälig das Bedürfniß ent¬
wickelt, den Umfang der inneren Stadt, die jetzt ttOMt) Einwohner
hat und bereits mit Menschen überfüllt ist, ansehnlich zu erweitern.
Wie bekannt, wird die innere Stadt, die noch immer mit einem als
Spaziergang dienender Wallgürtel umringt ist, durch ein sechzig Klafter
breites Glacis von den 34 Vorstädten geschieden, und dieser Raum,
welcher zum Theil mit Alleen bepflanzt, zum Theil Exerzierplatz und
Holzstalle ist, gehört zu den Eigenthümlichkeiten und besonderen An¬
nehmlichkeiten Wiens, um welche sie jeder Fremde beneiden kann und
welcher man sie um keinen Preis berauben sollte. Sogar die Sani¬
tatsbehörde nimmt sich des Glacis an und hat gewiß nicht Unrecht,
wenn sie in dem grünen, mit duftenden Rosmarin und Akazicnbäu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/94>, abgerufen am 22.07.2024.