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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Verwanden niederlassen und angenehm machen wollen; für Jesuiten,
nämlich für die alten, echten römischen, ist jedoch -- wie schon Rahel
bemerkt hat -- in Berlin kein guter Boden; kommen doch selbst ihre
nachgemachten protestantischen Brüder, die mit der Lovolität die Maske
der Loyalität zu verbinden pflegen, hier nur sehr schlecht fort, wie z.
B. der in ähnlicher Weise fast unerhörte Beifall zeigt, den das Lustspiel:
"Er muß aufs Land" fortwährend hier findet; um wie viel weniger
ist also von einer etwaigen Abzweigung des Stammes von Freiburg
und Luzern hier zu fürchten. Die Jesuitenriecherei ist übrigens in den
Augen wahrhaft liberal gesinnter Männer ein eben so lächerliches Ding,
wie die ehemalige Demagogenriecherei, deshalb glauben wir auch, daß
man die ungefährlichen alten Leute, die man jetzt für Jesuiten hält
oder angibt, völlig unbehelligt lassen soll.

Unseren Stadtverordneten ist kürzlich nachgesagt worden, sie hät¬
ten sich an den König mit der Bitte gewandt, derselbe möge den
kürzlich gefaßten Beschluß der Aufhebung gewisser öffentlicher Häuser
wieder zurücknehmen. Die ehrwürdigen Väter wollen es sich jedoch
-- wahrscheinlich um ihrer einflußreicheren Hälften halber -- nicht
nachsagen lassen, daß sie ein besonderes Interesse für jene Häuser zei¬
gen, und geschähe es auch nur, um dadurch größeren Uebelständen
vorzubeugen. Sie lassen daher auch in öffentlichen Blättern ihre be¬
sagte Theilnahme dcsavouiren.
'

Ueber Böckhs Differenzen mit dem Minister Eichhorn habe ich
Sie bis jetzt nicht unterhalten, weil etwas Sicheres darüber nicht be¬
kannt geworden und Alles am Ende auf unbestimmte Gerüchte hin¬
auslief, die sich an einen Artikel der "Litcrarischen Zeitung" über
Böckh's, auch von mir früher erwähnte akademische Rede über den
Einfluß der Wissenschaft auf das Leben knüpften. Als gänzlich un¬
gegründet darf man es aber bezeichnen, w.um diese Gerüchte so weit
gehen, Böckh's Abgang von der Universität zu verkünden. Böckh
wird eben so wenig von seinem berühmten Lehrstuhl, als Eichhorn
für jetzt von seinem Portefeuille scheiden.


Justus.
II
Aus Wien.

Ein Wiener Russe. -- Kampf um das Glqcis. -- Große Neubauten. -- Die
Rinderpest und die Metzger. -- Moritz von Sachsen. -- Die vier Haimons-
kinder. -- Niederlage des Virtuoscnthums.

Ein verkappter Russe in der Augsburger allgemeinen Zeitung sucht
bei Gelegenheit einer Ehrenrettung des k. russischen Staatsrathes Ten-
goborSki auch den Grenzboten einen Hieb zu versetzen. Das ist nun
freilich sehr leicht zu erklären, denn dieses Journal verfolgt die russische


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Verwanden niederlassen und angenehm machen wollen; für Jesuiten,
nämlich für die alten, echten römischen, ist jedoch — wie schon Rahel
bemerkt hat — in Berlin kein guter Boden; kommen doch selbst ihre
nachgemachten protestantischen Brüder, die mit der Lovolität die Maske
der Loyalität zu verbinden pflegen, hier nur sehr schlecht fort, wie z.
B. der in ähnlicher Weise fast unerhörte Beifall zeigt, den das Lustspiel:
„Er muß aufs Land" fortwährend hier findet; um wie viel weniger
ist also von einer etwaigen Abzweigung des Stammes von Freiburg
und Luzern hier zu fürchten. Die Jesuitenriecherei ist übrigens in den
Augen wahrhaft liberal gesinnter Männer ein eben so lächerliches Ding,
wie die ehemalige Demagogenriecherei, deshalb glauben wir auch, daß
man die ungefährlichen alten Leute, die man jetzt für Jesuiten hält
oder angibt, völlig unbehelligt lassen soll.

Unseren Stadtverordneten ist kürzlich nachgesagt worden, sie hät¬
ten sich an den König mit der Bitte gewandt, derselbe möge den
kürzlich gefaßten Beschluß der Aufhebung gewisser öffentlicher Häuser
wieder zurücknehmen. Die ehrwürdigen Väter wollen es sich jedoch
— wahrscheinlich um ihrer einflußreicheren Hälften halber — nicht
nachsagen lassen, daß sie ein besonderes Interesse für jene Häuser zei¬
gen, und geschähe es auch nur, um dadurch größeren Uebelständen
vorzubeugen. Sie lassen daher auch in öffentlichen Blättern ihre be¬
sagte Theilnahme dcsavouiren.
'

Ueber Böckhs Differenzen mit dem Minister Eichhorn habe ich
Sie bis jetzt nicht unterhalten, weil etwas Sicheres darüber nicht be¬
kannt geworden und Alles am Ende auf unbestimmte Gerüchte hin¬
auslief, die sich an einen Artikel der „Litcrarischen Zeitung" über
Böckh's, auch von mir früher erwähnte akademische Rede über den
Einfluß der Wissenschaft auf das Leben knüpften. Als gänzlich un¬
gegründet darf man es aber bezeichnen, w.um diese Gerüchte so weit
gehen, Böckh's Abgang von der Universität zu verkünden. Böckh
wird eben so wenig von seinem berühmten Lehrstuhl, als Eichhorn
für jetzt von seinem Portefeuille scheiden.


Justus.
II
Aus Wien.

Ein Wiener Russe. — Kampf um das Glqcis. — Große Neubauten. — Die
Rinderpest und die Metzger. — Moritz von Sachsen. — Die vier Haimons-
kinder. — Niederlage des Virtuoscnthums.

Ein verkappter Russe in der Augsburger allgemeinen Zeitung sucht
bei Gelegenheit einer Ehrenrettung des k. russischen Staatsrathes Ten-
goborSki auch den Grenzboten einen Hieb zu versetzen. Das ist nun
freilich sehr leicht zu erklären, denn dieses Journal verfolgt die russische


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[0093] Verwanden niederlassen und angenehm machen wollen; für Jesuiten, nämlich für die alten, echten römischen, ist jedoch — wie schon Rahel bemerkt hat — in Berlin kein guter Boden; kommen doch selbst ihre nachgemachten protestantischen Brüder, die mit der Lovolität die Maske der Loyalität zu verbinden pflegen, hier nur sehr schlecht fort, wie z. B. der in ähnlicher Weise fast unerhörte Beifall zeigt, den das Lustspiel: „Er muß aufs Land" fortwährend hier findet; um wie viel weniger ist also von einer etwaigen Abzweigung des Stammes von Freiburg und Luzern hier zu fürchten. Die Jesuitenriecherei ist übrigens in den Augen wahrhaft liberal gesinnter Männer ein eben so lächerliches Ding, wie die ehemalige Demagogenriecherei, deshalb glauben wir auch, daß man die ungefährlichen alten Leute, die man jetzt für Jesuiten hält oder angibt, völlig unbehelligt lassen soll. Unseren Stadtverordneten ist kürzlich nachgesagt worden, sie hät¬ ten sich an den König mit der Bitte gewandt, derselbe möge den kürzlich gefaßten Beschluß der Aufhebung gewisser öffentlicher Häuser wieder zurücknehmen. Die ehrwürdigen Väter wollen es sich jedoch — wahrscheinlich um ihrer einflußreicheren Hälften halber — nicht nachsagen lassen, daß sie ein besonderes Interesse für jene Häuser zei¬ gen, und geschähe es auch nur, um dadurch größeren Uebelständen vorzubeugen. Sie lassen daher auch in öffentlichen Blättern ihre be¬ sagte Theilnahme dcsavouiren. ' Ueber Böckhs Differenzen mit dem Minister Eichhorn habe ich Sie bis jetzt nicht unterhalten, weil etwas Sicheres darüber nicht be¬ kannt geworden und Alles am Ende auf unbestimmte Gerüchte hin¬ auslief, die sich an einen Artikel der „Litcrarischen Zeitung" über Böckh's, auch von mir früher erwähnte akademische Rede über den Einfluß der Wissenschaft auf das Leben knüpften. Als gänzlich un¬ gegründet darf man es aber bezeichnen, w.um diese Gerüchte so weit gehen, Böckh's Abgang von der Universität zu verkünden. Böckh wird eben so wenig von seinem berühmten Lehrstuhl, als Eichhorn für jetzt von seinem Portefeuille scheiden. Justus. II Aus Wien. Ein Wiener Russe. — Kampf um das Glqcis. — Große Neubauten. — Die Rinderpest und die Metzger. — Moritz von Sachsen. — Die vier Haimons- kinder. — Niederlage des Virtuoscnthums. Ein verkappter Russe in der Augsburger allgemeinen Zeitung sucht bei Gelegenheit einer Ehrenrettung des k. russischen Staatsrathes Ten- goborSki auch den Grenzboten einen Hieb zu versetzen. Das ist nun freilich sehr leicht zu erklären, denn dieses Journal verfolgt die russische 12 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/93>, abgerufen am 22.07.2024.