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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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dieselben doch auf irgend eine Spur von wirklichen Ereignissen oder
von umlaufenden Gerüchten zurückführen > dagegen ist es durchaus un¬
erklärlich, wie die Pariser Zeitungen, und zwar vom größten bis zum
kleinsten Format, kürzlich auf die einmüthige Nachricht kommen konn¬
ten, der König von Preußen sei im Begriff, seinen Völkern eine Ver¬
fassung zu geben. Die Nachricht wurde mit solcher Sicherheit mit¬
getheilt, daß man an anderen Orten, wo man nicht, wie hier, vom
Gegentheil überzeugt war, schon anfing, Verachtungen über die Folgen an¬
zustellen, die dieses wichtige Ereigniß für das gesammte Deutschland haben
werde; und doch ist auch nicht das allerentfernteste Moment zu ent¬
decken, das zu jenem Gerücht die Veranlassung gegeben haben kann.
Offenbar hat hierbei eine Mvstisication stattgefunden, die sogar dahin
fortgesetzt wurde, daß man, nachdem eine Woche lang die Sache in
allen Pariser Blättern besprochen worden war, einen Grund auffand,
weshalb die preußische Verfassung einstweilen nicht publicirt werde:
der Fürst Metternich sollte nämlich sehr dringende Bedenke" dagegen
erhoben und den König von Preußen bewogen haben, die Sache einst¬
weilen, aber nur für jetzt, zu reponiren!

Seltsam traf es sich, daß, wahrend die Pariser Zeitungen so
fabelhafte Combinationen aus Berlin sich melden ließen, Berliner Blät¬
ter sich mit eben so fabelhaften Dingen über Frankreich unterhielten.
Es leben jetzt hier nämlich einige französische Legitimisten, unter denen
sich auch ein ehemaliger Vorleser Karl's X. befindet, der diesem Kö¬
nige selbst sehr ähnlich sehen soll. Von diesen Männern ließ nun vor
einigen Tagen ein Oberstlieutenant, Chevalier de la Ranchcrie, in die
Vossische Zeitung einen in französischer Sprache abgefaßten Artikel
einrücken, in welchem er nach einigen erwiedernden Worten auf eine
Bemerkung über den Herzog von Bordeaux, die in der Zeitung für
die elegante Welt gestanden, das Lob des jungen Heinrich verkündigte,
der unschuldigerweise aus seinem Vaterlande verbannt worden und der
die edelsten Absichten habe sowohl in Bezug auf Frankreich, als auf
das Ausland. Der Artikel war wie vom Himmel heruntergeschneit
und erregte auch in der That eine eben so kalte Ueberraschung, wie
ein Schneefall im Monat Mai. Es war eine kleine Weihnachts¬
freude, die sich französische Legitimisten in Berlin bereiteten, aber eine
andere französische Feder, und zwar die eines Soldaten der alten
Garde, hat dem karlistischen Oberstlieutenant die Freude gestört, indem
als Antwort auf seinen Artikel eine Epistel in französischen Alexan¬
drinern erschien, worin kurz und bündig erklärt wurde, daß es mit
der Herrschaft der älteren Bourbonen in Frankreich für immer vorbei
sei. Und da dies der Censor in Berlin hat passiren lassen, so muß'
es wohl wahr sein!

Wie behauptet wird, sollen übrigens jene Legitimisten nicht blos
Legitimisten, sondern auch Jesuiten sein, die sich hier unter allerlei


dieselben doch auf irgend eine Spur von wirklichen Ereignissen oder
von umlaufenden Gerüchten zurückführen > dagegen ist es durchaus un¬
erklärlich, wie die Pariser Zeitungen, und zwar vom größten bis zum
kleinsten Format, kürzlich auf die einmüthige Nachricht kommen konn¬
ten, der König von Preußen sei im Begriff, seinen Völkern eine Ver¬
fassung zu geben. Die Nachricht wurde mit solcher Sicherheit mit¬
getheilt, daß man an anderen Orten, wo man nicht, wie hier, vom
Gegentheil überzeugt war, schon anfing, Verachtungen über die Folgen an¬
zustellen, die dieses wichtige Ereigniß für das gesammte Deutschland haben
werde; und doch ist auch nicht das allerentfernteste Moment zu ent¬
decken, das zu jenem Gerücht die Veranlassung gegeben haben kann.
Offenbar hat hierbei eine Mvstisication stattgefunden, die sogar dahin
fortgesetzt wurde, daß man, nachdem eine Woche lang die Sache in
allen Pariser Blättern besprochen worden war, einen Grund auffand,
weshalb die preußische Verfassung einstweilen nicht publicirt werde:
der Fürst Metternich sollte nämlich sehr dringende Bedenke» dagegen
erhoben und den König von Preußen bewogen haben, die Sache einst¬
weilen, aber nur für jetzt, zu reponiren!

Seltsam traf es sich, daß, wahrend die Pariser Zeitungen so
fabelhafte Combinationen aus Berlin sich melden ließen, Berliner Blät¬
ter sich mit eben so fabelhaften Dingen über Frankreich unterhielten.
Es leben jetzt hier nämlich einige französische Legitimisten, unter denen
sich auch ein ehemaliger Vorleser Karl's X. befindet, der diesem Kö¬
nige selbst sehr ähnlich sehen soll. Von diesen Männern ließ nun vor
einigen Tagen ein Oberstlieutenant, Chevalier de la Ranchcrie, in die
Vossische Zeitung einen in französischer Sprache abgefaßten Artikel
einrücken, in welchem er nach einigen erwiedernden Worten auf eine
Bemerkung über den Herzog von Bordeaux, die in der Zeitung für
die elegante Welt gestanden, das Lob des jungen Heinrich verkündigte,
der unschuldigerweise aus seinem Vaterlande verbannt worden und der
die edelsten Absichten habe sowohl in Bezug auf Frankreich, als auf
das Ausland. Der Artikel war wie vom Himmel heruntergeschneit
und erregte auch in der That eine eben so kalte Ueberraschung, wie
ein Schneefall im Monat Mai. Es war eine kleine Weihnachts¬
freude, die sich französische Legitimisten in Berlin bereiteten, aber eine
andere französische Feder, und zwar die eines Soldaten der alten
Garde, hat dem karlistischen Oberstlieutenant die Freude gestört, indem
als Antwort auf seinen Artikel eine Epistel in französischen Alexan¬
drinern erschien, worin kurz und bündig erklärt wurde, daß es mit
der Herrschaft der älteren Bourbonen in Frankreich für immer vorbei
sei. Und da dies der Censor in Berlin hat passiren lassen, so muß'
es wohl wahr sein!

Wie behauptet wird, sollen übrigens jene Legitimisten nicht blos
Legitimisten, sondern auch Jesuiten sein, die sich hier unter allerlei


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[0092] dieselben doch auf irgend eine Spur von wirklichen Ereignissen oder von umlaufenden Gerüchten zurückführen > dagegen ist es durchaus un¬ erklärlich, wie die Pariser Zeitungen, und zwar vom größten bis zum kleinsten Format, kürzlich auf die einmüthige Nachricht kommen konn¬ ten, der König von Preußen sei im Begriff, seinen Völkern eine Ver¬ fassung zu geben. Die Nachricht wurde mit solcher Sicherheit mit¬ getheilt, daß man an anderen Orten, wo man nicht, wie hier, vom Gegentheil überzeugt war, schon anfing, Verachtungen über die Folgen an¬ zustellen, die dieses wichtige Ereigniß für das gesammte Deutschland haben werde; und doch ist auch nicht das allerentfernteste Moment zu ent¬ decken, das zu jenem Gerücht die Veranlassung gegeben haben kann. Offenbar hat hierbei eine Mvstisication stattgefunden, die sogar dahin fortgesetzt wurde, daß man, nachdem eine Woche lang die Sache in allen Pariser Blättern besprochen worden war, einen Grund auffand, weshalb die preußische Verfassung einstweilen nicht publicirt werde: der Fürst Metternich sollte nämlich sehr dringende Bedenke» dagegen erhoben und den König von Preußen bewogen haben, die Sache einst¬ weilen, aber nur für jetzt, zu reponiren! Seltsam traf es sich, daß, wahrend die Pariser Zeitungen so fabelhafte Combinationen aus Berlin sich melden ließen, Berliner Blät¬ ter sich mit eben so fabelhaften Dingen über Frankreich unterhielten. Es leben jetzt hier nämlich einige französische Legitimisten, unter denen sich auch ein ehemaliger Vorleser Karl's X. befindet, der diesem Kö¬ nige selbst sehr ähnlich sehen soll. Von diesen Männern ließ nun vor einigen Tagen ein Oberstlieutenant, Chevalier de la Ranchcrie, in die Vossische Zeitung einen in französischer Sprache abgefaßten Artikel einrücken, in welchem er nach einigen erwiedernden Worten auf eine Bemerkung über den Herzog von Bordeaux, die in der Zeitung für die elegante Welt gestanden, das Lob des jungen Heinrich verkündigte, der unschuldigerweise aus seinem Vaterlande verbannt worden und der die edelsten Absichten habe sowohl in Bezug auf Frankreich, als auf das Ausland. Der Artikel war wie vom Himmel heruntergeschneit und erregte auch in der That eine eben so kalte Ueberraschung, wie ein Schneefall im Monat Mai. Es war eine kleine Weihnachts¬ freude, die sich französische Legitimisten in Berlin bereiteten, aber eine andere französische Feder, und zwar die eines Soldaten der alten Garde, hat dem karlistischen Oberstlieutenant die Freude gestört, indem als Antwort auf seinen Artikel eine Epistel in französischen Alexan¬ drinern erschien, worin kurz und bündig erklärt wurde, daß es mit der Herrschaft der älteren Bourbonen in Frankreich für immer vorbei sei. Und da dies der Censor in Berlin hat passiren lassen, so muß' es wohl wahr sein! Wie behauptet wird, sollen übrigens jene Legitimisten nicht blos Legitimisten, sondern auch Jesuiten sein, die sich hier unter allerlei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/92>, abgerufen am 22.07.2024.