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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Ueberbleibsel des Mittelalters dazu dierren, um das Volk noch leb-
haster an die srühereri Fesseln zu erinnern. Und wahrlich, diesen
Zweck erfüllen sie vollständig! -

Nach dem allgemeinen Frieden hat man die nationale Errlrvicke-
lung, welche die nothwendige Folge der neuen Umänderungen ist und
naturgemäß nicht eher rii en kann, bis sie den ganzen Kreislauf vol-
lertdet hat, dadurch aufzuhalten gesucht, daß man die Vertretung der
Nation nur den Grrlndeigenlhümcrtr zrtgestandeti und noch obendrein
den Besitzern der Rittergüter eirr großes Uebergewicht über den grund-
besitzenden Bürger- und Bauernstand eingeräumt hat. Aber auch
eilte solche Repräsentation war dem damals allmächtigen Bemmen-
Stande zu lästig, und man beschloß, blos eine Vertretung nach Provinzen
einzuführen. Dadurch hat man zwar auf zwanzig Jahre, und fo
lange Friedrich Wilhelm 111. lebte, sich Ruhe verschafft, aber die
Provinzen erstarkten sichtbar, und wie jede unwillkürlich zilr Einheit
strebt, so auch die provinzielle Vertretung Preußens. Was Wilhelm
von Humboldt schon bei Errichtung der Provinzial -Stände mit tie-
fern Kennerblick und wahrer prophetischer Gewißheit, aber fruchtlos
und nur tauben Ohren predigend, vorhersagte, steht nun auf dem
Punkt, sich zrr verwirklichen. Das wie wissen wir allerdings nicht,
aber daß eitle ständische Einheit nicht mehr in Preitßen zu umgehen
ist, davon sind unsere meisten Staatsmänner jetzt wohl überzeugt.
Und nicht blos die öffentliche Meinung, der innerste Wunsch der Na-
tiorr, forrderrr auch positive Gesetze, welche man nicht länger mehr um-
gehen karrn, machen jerre neue Phase unserer Staatserrtwickeliing
nothwendig. Wir wollen davorr nur zwei hervorheben.

Nach dem Gefetz vom 17. Januar 1820 ist ein Normalbudget
von ^0,863,1.-'0 Thalern von dem verstorbenen König festgesetzt worden,
das ohne Einwilligung der künftigen Reichsstände eben so wenig
überschritten, als die abgeschlossene Nationalschuld vermehrt werden
darf. Nach dem neuesten Haupt-Finarrz-Etat werden aber provin-
ziallandständlich von der Nation jährlich 57,677194 Thaler, niithin
6,874,044 Thaler mehr erhoben. Und wenn man sich auch mit dem Vor-
geben entschuldigen mag, daß die Bevölkerung des Staats in einem
viel größeren Verhältnisse seit der Erlassiing jenes Gesetzes sich ver-
mehrt habe, und daß in constitutionellen Staaten die Lasten weit hö-
her als in Preußen gestiegen seien, so bleibt immer eine formelle


Ueberbleibsel des Mittelalters dazu dierren, um das Volk noch leb-
haster an die srühereri Fesseln zu erinnern. Und wahrlich, diesen
Zweck erfüllen sie vollständig! -

Nach dem allgemeinen Frieden hat man die nationale Errlrvicke-
lung, welche die nothwendige Folge der neuen Umänderungen ist und
naturgemäß nicht eher rii en kann, bis sie den ganzen Kreislauf vol-
lertdet hat, dadurch aufzuhalten gesucht, daß man die Vertretung der
Nation nur den Grrlndeigenlhümcrtr zrtgestandeti und noch obendrein
den Besitzern der Rittergüter eirr großes Uebergewicht über den grund-
besitzenden Bürger- und Bauernstand eingeräumt hat. Aber auch
eilte solche Repräsentation war dem damals allmächtigen Bemmen-
Stande zu lästig, und man beschloß, blos eine Vertretung nach Provinzen
einzuführen. Dadurch hat man zwar auf zwanzig Jahre, und fo
lange Friedrich Wilhelm 111. lebte, sich Ruhe verschafft, aber die
Provinzen erstarkten sichtbar, und wie jede unwillkürlich zilr Einheit
strebt, so auch die provinzielle Vertretung Preußens. Was Wilhelm
von Humboldt schon bei Errichtung der Provinzial -Stände mit tie-
fern Kennerblick und wahrer prophetischer Gewißheit, aber fruchtlos
und nur tauben Ohren predigend, vorhersagte, steht nun auf dem
Punkt, sich zrr verwirklichen. Das wie wissen wir allerdings nicht,
aber daß eitle ständische Einheit nicht mehr in Preitßen zu umgehen
ist, davon sind unsere meisten Staatsmänner jetzt wohl überzeugt.
Und nicht blos die öffentliche Meinung, der innerste Wunsch der Na-
tiorr, forrderrr auch positive Gesetze, welche man nicht länger mehr um-
gehen karrn, machen jerre neue Phase unserer Staatserrtwickeliing
nothwendig. Wir wollen davorr nur zwei hervorheben.

Nach dem Gefetz vom 17. Januar 1820 ist ein Normalbudget
von ^0,863,1.-'0 Thalern von dem verstorbenen König festgesetzt worden,
das ohne Einwilligung der künftigen Reichsstände eben so wenig
überschritten, als die abgeschlossene Nationalschuld vermehrt werden
darf. Nach dem neuesten Haupt-Finarrz-Etat werden aber provin-
ziallandständlich von der Nation jährlich 57,677194 Thaler, niithin
6,874,044 Thaler mehr erhoben. Und wenn man sich auch mit dem Vor-
geben entschuldigen mag, daß die Bevölkerung des Staats in einem
viel größeren Verhältnisse seit der Erlassiing jenes Gesetzes sich ver-
mehrt habe, und daß in constitutionellen Staaten die Lasten weit hö-
her als in Preußen gestiegen seien, so bleibt immer eine formelle


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[0008] Ueberbleibsel des Mittelalters dazu dierren, um das Volk noch leb- haster an die srühereri Fesseln zu erinnern. Und wahrlich, diesen Zweck erfüllen sie vollständig! - Nach dem allgemeinen Frieden hat man die nationale Errlrvicke- lung, welche die nothwendige Folge der neuen Umänderungen ist und naturgemäß nicht eher rii en kann, bis sie den ganzen Kreislauf vol- lertdet hat, dadurch aufzuhalten gesucht, daß man die Vertretung der Nation nur den Grrlndeigenlhümcrtr zrtgestandeti und noch obendrein den Besitzern der Rittergüter eirr großes Uebergewicht über den grund- besitzenden Bürger- und Bauernstand eingeräumt hat. Aber auch eilte solche Repräsentation war dem damals allmächtigen Bemmen- Stande zu lästig, und man beschloß, blos eine Vertretung nach Provinzen einzuführen. Dadurch hat man zwar auf zwanzig Jahre, und fo lange Friedrich Wilhelm 111. lebte, sich Ruhe verschafft, aber die Provinzen erstarkten sichtbar, und wie jede unwillkürlich zilr Einheit strebt, so auch die provinzielle Vertretung Preußens. Was Wilhelm von Humboldt schon bei Errichtung der Provinzial -Stände mit tie- fern Kennerblick und wahrer prophetischer Gewißheit, aber fruchtlos und nur tauben Ohren predigend, vorhersagte, steht nun auf dem Punkt, sich zrr verwirklichen. Das wie wissen wir allerdings nicht, aber daß eitle ständische Einheit nicht mehr in Preitßen zu umgehen ist, davon sind unsere meisten Staatsmänner jetzt wohl überzeugt. Und nicht blos die öffentliche Meinung, der innerste Wunsch der Na- tiorr, forrderrr auch positive Gesetze, welche man nicht länger mehr um- gehen karrn, machen jerre neue Phase unserer Staatserrtwickeliing nothwendig. Wir wollen davorr nur zwei hervorheben. Nach dem Gefetz vom 17. Januar 1820 ist ein Normalbudget von ^0,863,1.-'0 Thalern von dem verstorbenen König festgesetzt worden, das ohne Einwilligung der künftigen Reichsstände eben so wenig überschritten, als die abgeschlossene Nationalschuld vermehrt werden darf. Nach dem neuesten Haupt-Finarrz-Etat werden aber provin- ziallandständlich von der Nation jährlich 57,677194 Thaler, niithin 6,874,044 Thaler mehr erhoben. Und wenn man sich auch mit dem Vor- geben entschuldigen mag, daß die Bevölkerung des Staats in einem viel größeren Verhältnisse seit der Erlassiing jenes Gesetzes sich ver- mehrt habe, und daß in constitutionellen Staaten die Lasten weit hö- her als in Preußen gestiegen seien, so bleibt immer eine formelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/8>, abgerufen am 22.07.2024.