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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Die deutsche Bühne.
Ein trauriges Lustspiel.

Bon
Eduard Boas.


Schauspieldirector. Vor allen Dingen muß ich Ihnen
Rechenschaft geben, meine Hochverehrten, weshalb ich es wagte, Sie
hierher zu laden. Die zürnende Hand des Musengottes liegt schwer
auf der deutschen Bühne, die Bühne liegt auf mir, und solchem Drucke
wäre selbst der alte Atlas nicht gewachsen. Da entschloß ich mich,
diesen Kreis der Ticfeingeweihten, der Urthcilsbefähigten zu versam¬
meln, und ich bitte Sie inständig: rathen Sie mir, was ich thun,
wodurch ich mir helfen soll!

Professor. Freilich, freilich! Unsere Theater sind setzt grau
und naßkalt, wie ein mehliger Herbstmorgen. Man weiß nicht recht
zu sagen, was eigentlich für Wetter ist, aber sehr schlechtes ist in jedem
Fall. Die Zeit griechischer Kunstblüthe, welche sie einst erreicht hat¬
ten, liegt weit, weit hinter ihnen.

Hofschausptelerin. Die neueren Stücke können kein Glück
machen, denn es sind zu wenig brillante Abgänge darin.

Fräulein. Ich glaube, es fehlt ihnen an Romantik.

Legationsattach 6. Und an pikanter Erfindung, an elegan¬
ter Conversation.

Professor. Sie entbehren der classischen Tiefe.

Redacteur. Sie haben keinen Humor und entweder gar
keine Tendenz, oder zu handgreifliche Tendenzphrascn.

Schauspieldirector. Ach, und sie bringen nur leere Kas¬
sen ! -- Die Diagnose unserer vielfachen Leiden wäre also mit mög-


Die deutsche Bühne.
Ein trauriges Lustspiel.

Bon
Eduard Boas.


Schauspieldirector. Vor allen Dingen muß ich Ihnen
Rechenschaft geben, meine Hochverehrten, weshalb ich es wagte, Sie
hierher zu laden. Die zürnende Hand des Musengottes liegt schwer
auf der deutschen Bühne, die Bühne liegt auf mir, und solchem Drucke
wäre selbst der alte Atlas nicht gewachsen. Da entschloß ich mich,
diesen Kreis der Ticfeingeweihten, der Urthcilsbefähigten zu versam¬
meln, und ich bitte Sie inständig: rathen Sie mir, was ich thun,
wodurch ich mir helfen soll!

Professor. Freilich, freilich! Unsere Theater sind setzt grau
und naßkalt, wie ein mehliger Herbstmorgen. Man weiß nicht recht
zu sagen, was eigentlich für Wetter ist, aber sehr schlechtes ist in jedem
Fall. Die Zeit griechischer Kunstblüthe, welche sie einst erreicht hat¬
ten, liegt weit, weit hinter ihnen.

Hofschausptelerin. Die neueren Stücke können kein Glück
machen, denn es sind zu wenig brillante Abgänge darin.

Fräulein. Ich glaube, es fehlt ihnen an Romantik.

Legationsattach 6. Und an pikanter Erfindung, an elegan¬
ter Conversation.

Professor. Sie entbehren der classischen Tiefe.

Redacteur. Sie haben keinen Humor und entweder gar
keine Tendenz, oder zu handgreifliche Tendenzphrascn.

Schauspieldirector. Ach, und sie bringen nur leere Kas¬
sen ! — Die Diagnose unserer vielfachen Leiden wäre also mit mög-


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[0077] Die deutsche Bühne. Ein trauriges Lustspiel. Bon Eduard Boas. Schauspieldirector. Vor allen Dingen muß ich Ihnen Rechenschaft geben, meine Hochverehrten, weshalb ich es wagte, Sie hierher zu laden. Die zürnende Hand des Musengottes liegt schwer auf der deutschen Bühne, die Bühne liegt auf mir, und solchem Drucke wäre selbst der alte Atlas nicht gewachsen. Da entschloß ich mich, diesen Kreis der Ticfeingeweihten, der Urthcilsbefähigten zu versam¬ meln, und ich bitte Sie inständig: rathen Sie mir, was ich thun, wodurch ich mir helfen soll! Professor. Freilich, freilich! Unsere Theater sind setzt grau und naßkalt, wie ein mehliger Herbstmorgen. Man weiß nicht recht zu sagen, was eigentlich für Wetter ist, aber sehr schlechtes ist in jedem Fall. Die Zeit griechischer Kunstblüthe, welche sie einst erreicht hat¬ ten, liegt weit, weit hinter ihnen. Hofschausptelerin. Die neueren Stücke können kein Glück machen, denn es sind zu wenig brillante Abgänge darin. Fräulein. Ich glaube, es fehlt ihnen an Romantik. Legationsattach 6. Und an pikanter Erfindung, an elegan¬ ter Conversation. Professor. Sie entbehren der classischen Tiefe. Redacteur. Sie haben keinen Humor und entweder gar keine Tendenz, oder zu handgreifliche Tendenzphrascn. Schauspieldirector. Ach, und sie bringen nur leere Kas¬ sen ! — Die Diagnose unserer vielfachen Leiden wäre also mit mög-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/77>, abgerufen am 22.07.2024.