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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Entwicklungsstufen. Ein Zweckessen aber, welches die kritiklose Ge¬
müthlichkeit der Carbonaden zum Prinzip erhebt, muß an und für
sich ein zweckloses Essen sein."

Laßt euch dadurch nicht irre machen, meine lieben Landsleute;
esset gemüthlich und kritiklos, nur redet dabei ein vernünftiges Wort.
Die billige Mehrzahl wird euch im Stillen Abbitte thun und wer
an eurer Tafel zu Gaste sitzt, wird euch weder für Börne'sche Eß-
künstler, noch für kindische Leckermäuler halten. Man glaubt nicht,
welche Würze, welche Weihe und welchen Adel dem Essen ein poli¬
tisches Tischgespräch gibt. Warum hat man von jeher uns arme
Wiener mit den Backhähndeln aufgezogen? Warum ist es Niemand
noch eingefallen, die Engländer wegen der colossalen Portionen, die sie
in sich aufnehme", zu verunglimpfen? Ein Backhähndel ist doch wahr¬
lich eine ideale Speise, eine platonische Liebe gegen das blutige Beef¬
steak des Briten. Und der Engländer denkt nicht blos bei Tische an
die Leidenschaft seines Magens, nein er redet laut und preisend so¬
wohl beim Meeting, wie im Parlament mit wässerndem Munde von
seinem pIum-^ullcliuA und dem gigantischen roitkit-deve ok Olä IZnA-
I-mel; selbst englische Dichter haben den nationalen le^ ok mutlon
verherrlicht, und deshalb hat sie doch Niemand Phäaken und ge¬
dankenlose Gourmands genannt.

Das am 23. December zu Ehren des Nationalökonomen Dr.
List veranstaltete Zweckessen im Casino stand einem englischen Mee¬
ting in äußerer Form wenig nach; und wenn auch die dabei ge¬
haltenen Speeches mehr backhähnerische Zartheit, als frisches Blut
und rohes, derbes Fleisch boten, so ist doch das Ereigniß, daß in
Wien einem Privatmanne eine politische Manifestation öffentlich und
unter Theilnahme der verschiedenartigsten Stände gegeben wurde, eine
Erscheinung von nicht zu übersehender Wichtigkeit. ES waren unge¬
fähr 150 Personen zugegen, (ele Zahl wäre dreimal so groß gewe¬
sen, hätte es nicht an einem passenden Local gefehlt), Beamte, Kauf¬
leute, Schriftsteller und Gelehrte, bunt durcheinandergemischt. Der
Gast saß in der Mitte, zur Rechten dem Grafen Colloredo, Vorsteher
unseres Gewerbevereins, und zur Linken Baron Sina d. I. Ob¬
gleich die meisten der Anwesenden einander kannten, so herrschte doch
Anfangs die steifste Schüchternheit. Wir sind derlei Dinge noch nicht
gelohnt und in der Mitte von hundert Bekannten fühlte Jeder sich


Entwicklungsstufen. Ein Zweckessen aber, welches die kritiklose Ge¬
müthlichkeit der Carbonaden zum Prinzip erhebt, muß an und für
sich ein zweckloses Essen sein."

Laßt euch dadurch nicht irre machen, meine lieben Landsleute;
esset gemüthlich und kritiklos, nur redet dabei ein vernünftiges Wort.
Die billige Mehrzahl wird euch im Stillen Abbitte thun und wer
an eurer Tafel zu Gaste sitzt, wird euch weder für Börne'sche Eß-
künstler, noch für kindische Leckermäuler halten. Man glaubt nicht,
welche Würze, welche Weihe und welchen Adel dem Essen ein poli¬
tisches Tischgespräch gibt. Warum hat man von jeher uns arme
Wiener mit den Backhähndeln aufgezogen? Warum ist es Niemand
noch eingefallen, die Engländer wegen der colossalen Portionen, die sie
in sich aufnehme», zu verunglimpfen? Ein Backhähndel ist doch wahr¬
lich eine ideale Speise, eine platonische Liebe gegen das blutige Beef¬
steak des Briten. Und der Engländer denkt nicht blos bei Tische an
die Leidenschaft seines Magens, nein er redet laut und preisend so¬
wohl beim Meeting, wie im Parlament mit wässerndem Munde von
seinem pIum-^ullcliuA und dem gigantischen roitkit-deve ok Olä IZnA-
I-mel; selbst englische Dichter haben den nationalen le^ ok mutlon
verherrlicht, und deshalb hat sie doch Niemand Phäaken und ge¬
dankenlose Gourmands genannt.

Das am 23. December zu Ehren des Nationalökonomen Dr.
List veranstaltete Zweckessen im Casino stand einem englischen Mee¬
ting in äußerer Form wenig nach; und wenn auch die dabei ge¬
haltenen Speeches mehr backhähnerische Zartheit, als frisches Blut
und rohes, derbes Fleisch boten, so ist doch das Ereigniß, daß in
Wien einem Privatmanne eine politische Manifestation öffentlich und
unter Theilnahme der verschiedenartigsten Stände gegeben wurde, eine
Erscheinung von nicht zu übersehender Wichtigkeit. ES waren unge¬
fähr 150 Personen zugegen, (ele Zahl wäre dreimal so groß gewe¬
sen, hätte es nicht an einem passenden Local gefehlt), Beamte, Kauf¬
leute, Schriftsteller und Gelehrte, bunt durcheinandergemischt. Der
Gast saß in der Mitte, zur Rechten dem Grafen Colloredo, Vorsteher
unseres Gewerbevereins, und zur Linken Baron Sina d. I. Ob¬
gleich die meisten der Anwesenden einander kannten, so herrschte doch
Anfangs die steifste Schüchternheit. Wir sind derlei Dinge noch nicht
gelohnt und in der Mitte von hundert Bekannten fühlte Jeder sich


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[0070] Entwicklungsstufen. Ein Zweckessen aber, welches die kritiklose Ge¬ müthlichkeit der Carbonaden zum Prinzip erhebt, muß an und für sich ein zweckloses Essen sein." Laßt euch dadurch nicht irre machen, meine lieben Landsleute; esset gemüthlich und kritiklos, nur redet dabei ein vernünftiges Wort. Die billige Mehrzahl wird euch im Stillen Abbitte thun und wer an eurer Tafel zu Gaste sitzt, wird euch weder für Börne'sche Eß- künstler, noch für kindische Leckermäuler halten. Man glaubt nicht, welche Würze, welche Weihe und welchen Adel dem Essen ein poli¬ tisches Tischgespräch gibt. Warum hat man von jeher uns arme Wiener mit den Backhähndeln aufgezogen? Warum ist es Niemand noch eingefallen, die Engländer wegen der colossalen Portionen, die sie in sich aufnehme», zu verunglimpfen? Ein Backhähndel ist doch wahr¬ lich eine ideale Speise, eine platonische Liebe gegen das blutige Beef¬ steak des Briten. Und der Engländer denkt nicht blos bei Tische an die Leidenschaft seines Magens, nein er redet laut und preisend so¬ wohl beim Meeting, wie im Parlament mit wässerndem Munde von seinem pIum-^ullcliuA und dem gigantischen roitkit-deve ok Olä IZnA- I-mel; selbst englische Dichter haben den nationalen le^ ok mutlon verherrlicht, und deshalb hat sie doch Niemand Phäaken und ge¬ dankenlose Gourmands genannt. Das am 23. December zu Ehren des Nationalökonomen Dr. List veranstaltete Zweckessen im Casino stand einem englischen Mee¬ ting in äußerer Form wenig nach; und wenn auch die dabei ge¬ haltenen Speeches mehr backhähnerische Zartheit, als frisches Blut und rohes, derbes Fleisch boten, so ist doch das Ereigniß, daß in Wien einem Privatmanne eine politische Manifestation öffentlich und unter Theilnahme der verschiedenartigsten Stände gegeben wurde, eine Erscheinung von nicht zu übersehender Wichtigkeit. ES waren unge¬ fähr 150 Personen zugegen, (ele Zahl wäre dreimal so groß gewe¬ sen, hätte es nicht an einem passenden Local gefehlt), Beamte, Kauf¬ leute, Schriftsteller und Gelehrte, bunt durcheinandergemischt. Der Gast saß in der Mitte, zur Rechten dem Grafen Colloredo, Vorsteher unseres Gewerbevereins, und zur Linken Baron Sina d. I. Ob¬ gleich die meisten der Anwesenden einander kannten, so herrschte doch Anfangs die steifste Schüchternheit. Wir sind derlei Dinge noch nicht gelohnt und in der Mitte von hundert Bekannten fühlte Jeder sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/70>, abgerufen am 22.07.2024.