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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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galt, wird den Norddeutschen nur eine Idee beibringen von dem
Zwang, der dort geübt wird. Nach der ersten Darstellung des deut¬
schen Kriegers wollte der Rothstift über einzelne Scenen desselben her¬
fallen; der brave Autor aber wehrte sich mannhaft und drohte, auf
die Tantieme zu verzieht." und das Stück ganz zurückzunehmen. Der
Rothstift mußte weichen, und das Publicum jubelte. Auch das gehört
zur Würdigung des deutschen Kriegers als Tendenzstück und seiner
Aufnahme beim Wiener Publicum.

Man hat für die österreichischen Dichter keinen Maßstab, von
ihrem Verhältniß zu den Justanden keinen Begriff in Norddeutschland.
Man versetze Bauernfeld--und dasselbe gilt auch von einigen andern öster¬
reichischen Talenten -- in freiere Kreise, und er wird in kurzer Zeit
weit Höheres, Mächtigeres, Treffenderes leisten. Der gebildete Theil
des Wiener Publicums berücksichtigt gar wohl die Schranken, inner¬
halb deren sein Dichter sich bewegen muß, und weiß es zu schätzen,
daß er bei ihm ausharrt, mit ihm lebt und auf seine Gedankenkreise
eingeht. Das Wiener Publicum legt auch großes Gewicht darauf,
daß der Dichter des Tendenzstückes ein Oesterreicher ist, einer von den
Seinen, dessen ernsthafte und aufrichtige Gesinnung erprobt ist/' Bau¬
ernfeld gehört zu den seltenen Charakteren in Oesterreich, die, ohne
äußere Mittel und dem kleinen, avancementsbedürstigen Beamtenstand
angehörend, sich stets ihre Unabhängigkeit zu wahren wußten*).


VII.
N o t i z e ".

Junge Türkei. -- 1'nun coinins vlivn nous. -- Jordan. -- Grenzboten-Ver-
bot in Hessen. -- Urbild des Tartüffe in Berlin. -- Prutz und Müller. --
Wiener und Wiesner. -- A. Weilt und der Polizcicommissär. -- Die Redac¬
tionen und die Landtagsverhandlungen. -- Deutsche Feinde. --

-- Die ganze mohamedanische Welt ist, durch den Koran, Ein
großer Antithierqualerverein. Daher sind die frommen Moslems, die
keinen Floh beleidigen, während sie den Giaour gemüthlich spießen, em¬
pört über die Franken, die eine geheime Verbindung gegen die "natür¬
liche Polizei" von Konstantinopel gebildet und eine Unzahl herrenloser
Hunde vergiftet haben. -- Khosrew Pascha, der Mann des mohame-
danisch-türkischen Staats, und die ultramontanen Ulemas halten allein
noch den Sultan ab, eine zeitgemäße (Konstitution zu geben; die isla¬
mitische Mutterkirche, klagen sie, wird auf das Grausamste verfolgt



Baucrnfcld ist der Erste, der in Wien einen offenen unmittelbaren,
Schritt gegen> den Censurdruck, durch seine Denkschrift: >>la "Issi-Ieria,
wagte, und hat erst neulich wieder eine Petition zu demselbenAweck zu
Stande gebracht.

galt, wird den Norddeutschen nur eine Idee beibringen von dem
Zwang, der dort geübt wird. Nach der ersten Darstellung des deut¬
schen Kriegers wollte der Rothstift über einzelne Scenen desselben her¬
fallen; der brave Autor aber wehrte sich mannhaft und drohte, auf
die Tantieme zu verzieht.» und das Stück ganz zurückzunehmen. Der
Rothstift mußte weichen, und das Publicum jubelte. Auch das gehört
zur Würdigung des deutschen Kriegers als Tendenzstück und seiner
Aufnahme beim Wiener Publicum.

Man hat für die österreichischen Dichter keinen Maßstab, von
ihrem Verhältniß zu den Justanden keinen Begriff in Norddeutschland.
Man versetze Bauernfeld—und dasselbe gilt auch von einigen andern öster¬
reichischen Talenten — in freiere Kreise, und er wird in kurzer Zeit
weit Höheres, Mächtigeres, Treffenderes leisten. Der gebildete Theil
des Wiener Publicums berücksichtigt gar wohl die Schranken, inner¬
halb deren sein Dichter sich bewegen muß, und weiß es zu schätzen,
daß er bei ihm ausharrt, mit ihm lebt und auf seine Gedankenkreise
eingeht. Das Wiener Publicum legt auch großes Gewicht darauf,
daß der Dichter des Tendenzstückes ein Oesterreicher ist, einer von den
Seinen, dessen ernsthafte und aufrichtige Gesinnung erprobt ist/' Bau¬
ernfeld gehört zu den seltenen Charakteren in Oesterreich, die, ohne
äußere Mittel und dem kleinen, avancementsbedürstigen Beamtenstand
angehörend, sich stets ihre Unabhängigkeit zu wahren wußten*).


VII.
N o t i z e «.

Junge Türkei. — 1'nun coinins vlivn nous. — Jordan. — Grenzboten-Ver-
bot in Hessen. — Urbild des Tartüffe in Berlin. — Prutz und Müller. —
Wiener und Wiesner. — A. Weilt und der Polizcicommissär. — Die Redac¬
tionen und die Landtagsverhandlungen. — Deutsche Feinde. —

— Die ganze mohamedanische Welt ist, durch den Koran, Ein
großer Antithierqualerverein. Daher sind die frommen Moslems, die
keinen Floh beleidigen, während sie den Giaour gemüthlich spießen, em¬
pört über die Franken, die eine geheime Verbindung gegen die „natür¬
liche Polizei" von Konstantinopel gebildet und eine Unzahl herrenloser
Hunde vergiftet haben. — Khosrew Pascha, der Mann des mohame-
danisch-türkischen Staats, und die ultramontanen Ulemas halten allein
noch den Sultan ab, eine zeitgemäße (Konstitution zu geben; die isla¬
mitische Mutterkirche, klagen sie, wird auf das Grausamste verfolgt



Baucrnfcld ist der Erste, der in Wien einen offenen unmittelbaren,
Schritt gegen> den Censurdruck, durch seine Denkschrift: >>la «Issi-Ieria,
wagte, und hat erst neulich wieder eine Petition zu demselbenAweck zu
Stande gebracht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/634>, abgerufen am 22.07.2024.