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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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des fürchterlichsten Abgrundes, wenn er sich nicht durch einen kühnen,
gewandten Sprung ans der Gefahr zu retten versteht. So ging eS
auch dem Herrn von Heimlicher, Minister Sr. Majestät des Königs
Amadeus, den die Geschichte den Gutwilligen nennt.

Wieder saß König Amadeus und unterschrieb Decret auf De-
cret, wieder stand sein Minister hinter ihm und hielt die brennende
Kerze hoch über des Königs Haupt. -- Aber da, -- o Unglück! --
löste sich ein glühender Wachstropfen von der Kerze und fiel --und
siel brennend auf des Königs Nase.

Erschrocken sieht sich der König um -- erstarrt zu einer Bild¬
säule steht der Minister da und hält, noch keiner Bewegung mächtig,
den steifen Arm mit der brennenden Kerze empor. --

-- Betrüger! ruft der König, Verräther!

Diese zürnenden Worte wecken den Minister aus seiner Erstar¬
rung, er wirft sich vor dem König hin, er umklammert seine Kniee
und ruft mit gerührter Stimme: Hier lege ich mein Haupt zu Dei¬
nen Füße", thue damit, was Dir gefällt; aber nenne mich nicht
Betrüger, heiße mich nicht Verräther. -- Bin ich darum ein Betrü¬
ger, darum ein Verräther, weil ich Dich aus den Fesseln des Aber¬
glaubens befreien, weil ich Deinen großen Namen vor Schmach
retten will? O diese höllische Lampe, wie verdunkelr sie Deinen hell
strahlenden Geist, welche Schande bringt sie über Dein glorreiches
Haus. -- Hast Du ihre Inschrift gelesen? Sie lautet:


Wer selbst nicht ist ein großes Licht,
Der sehe,
Daß es in seiner Nähe
An rechten Lichtern nie gebricht.

"Wer selbst nicht ist ein großes Licht!" -- O mein König,
erröthend sage ich es, aber ich sage es, denn wir sind allein und
unbelauscht; geht dieser Vers nicht offenbar auf Dich, da die ver¬
ruchte Königin von Saba gerade Dir diese Lampe schenkte? -- O,
den Krieg würde ich der hämischen Königin für diese Sottise erklä¬
ren, oder wenigstens, da sie zu mächtig ist, einige Noten wechseln
und in unserem Lande einige Militärmärsche machen lassen. Deuten
die anderen Verse nicht offenbar darauf hin, daß sich mein König
mit guten weisen Rathgebern umgeben? Darf ich sie nicht auf mich
deuten? Hast Du jemals, o weiser König, etwas auf meine Vor-


des fürchterlichsten Abgrundes, wenn er sich nicht durch einen kühnen,
gewandten Sprung ans der Gefahr zu retten versteht. So ging eS
auch dem Herrn von Heimlicher, Minister Sr. Majestät des Königs
Amadeus, den die Geschichte den Gutwilligen nennt.

Wieder saß König Amadeus und unterschrieb Decret auf De-
cret, wieder stand sein Minister hinter ihm und hielt die brennende
Kerze hoch über des Königs Haupt. — Aber da, — o Unglück! —
löste sich ein glühender Wachstropfen von der Kerze und fiel —und
siel brennend auf des Königs Nase.

Erschrocken sieht sich der König um — erstarrt zu einer Bild¬
säule steht der Minister da und hält, noch keiner Bewegung mächtig,
den steifen Arm mit der brennenden Kerze empor. —

— Betrüger! ruft der König, Verräther!

Diese zürnenden Worte wecken den Minister aus seiner Erstar¬
rung, er wirft sich vor dem König hin, er umklammert seine Kniee
und ruft mit gerührter Stimme: Hier lege ich mein Haupt zu Dei¬
nen Füße», thue damit, was Dir gefällt; aber nenne mich nicht
Betrüger, heiße mich nicht Verräther. — Bin ich darum ein Betrü¬
ger, darum ein Verräther, weil ich Dich aus den Fesseln des Aber¬
glaubens befreien, weil ich Deinen großen Namen vor Schmach
retten will? O diese höllische Lampe, wie verdunkelr sie Deinen hell
strahlenden Geist, welche Schande bringt sie über Dein glorreiches
Haus. — Hast Du ihre Inschrift gelesen? Sie lautet:


Wer selbst nicht ist ein großes Licht,
Der sehe,
Daß es in seiner Nähe
An rechten Lichtern nie gebricht.

„Wer selbst nicht ist ein großes Licht!" — O mein König,
erröthend sage ich es, aber ich sage es, denn wir sind allein und
unbelauscht; geht dieser Vers nicht offenbar auf Dich, da die ver¬
ruchte Königin von Saba gerade Dir diese Lampe schenkte? — O,
den Krieg würde ich der hämischen Königin für diese Sottise erklä¬
ren, oder wenigstens, da sie zu mächtig ist, einige Noten wechseln
und in unserem Lande einige Militärmärsche machen lassen. Deuten
die anderen Verse nicht offenbar darauf hin, daß sich mein König
mit guten weisen Rathgebern umgeben? Darf ich sie nicht auf mich
deuten? Hast Du jemals, o weiser König, etwas auf meine Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/62>, abgerufen am 25.08.2024.