Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite
II.
Aus Wie n.
I

Preußens Eroberungen im Frieden. -- Politik der Ordens- und Medaillen-
vertheilung an die Industriellen. -- Die künftige Wiener GewerbecniSstellung.
-- Was Oesterreich Roth thut. --

Ich muß Ihnen vor Allem melden, daß die "Politischen
Gespräche aus Wien von einem Preußen," welche Ur. 9.
der Grenzboten uns brachte, hier großes Aussehen erregen, theils weil
man die darin sprechenden Personen zu erkennen glaubt, theils weil
seit langer Zeit kein Artikel unsere Stellung zu Preußen und Deutsch¬
land in so scharfen und gedrängten Umrissen gezeichnet hat. Daß
Preußen uns in allem Frieden den Krieg macht und uns in Deutsch¬
land mit jedem Tage mehr Terrain -- moralisch gesprochen -- ab¬
zugewinnen sucht und wirklich abgewinnt, darüber kann sich Niemand
mehr tauschen. Als Friedrich II. gegen Schlesien zog, da waffnete
sich die ganze österreichische Monarchie, durch sieben Jahre floß Blut
in Strömen und doch hat Preußen jetzt ohne Schwertstreich mehr er¬
obert, als Schlesien uns gewesen ist. Der Zollverein, als dessen Haupt
und Führer, ich möchte sagen, als dessen constitutioneller Monarch
Preußen sich immer mehr und mehr gcrirt, hat ihm die Hegemonie
Deutschlands gesichert, wie höflich und diplomatisch auch die preußische
Regierung gegen einen solchen Ausdruck protestirt. Man kann nicht
umhin, der preußischen Politik Bewunderung zu zollen, wenn man
sieht, mit wie kleinen Mitteln sie große Resultate hervorzubringen weiß.
Ich will nicht auf die Entstehungsgeschichte des Zollvereins zurückkom¬
men, wie unscheinbar damals das große Vorhaben dargestellt wurde,
ich will nicht von der in diesem Augenblicke noch schwebenden Consti-
tutionsfrage sprechen, bei welcher man, wie die erwähnten "Poli¬
tischen Gespräche" sich trefflich ausdrücken, Oesterreich so geschickt
vorschiebt. Gebe der Himmel, daß Letztere keine Komödie ist und daß
die Konstitution eine Wirklichkeit werde, wie der Zollverein. Aber von
diesen großen Dingen soll hier nicht die Rede sein; unsere Reflexionen
beschränken sich blos aus einen kleinen unbedeutend scheinenden Akt,
den Preußen in den letzten Tagen ausgeführt, ich meine die Ordens¬
und Mcdaillenvertheilung an die vorzüglichsten Industriellen des Zoll¬
vereins und der Bun desstaa ten, welche in Berlin ausgestellt ha¬
ben. Dieser schönen Aufmunterung deutschen Gewerbsfleißes, die äußer¬
lich als ein reiner Ausfluß patriotischen Gefühls, als Feuereifer für
deutsche nationale Größe erscheint, liegt innerlich eine kluge lächelnde
Politik zu Grunde, welche die Schwäche der Deutschen kennt und
welche weiß, daß derlei Auszeichnungen am geeignetsten sind, ihren


II.
Aus Wie n.
I

Preußens Eroberungen im Frieden. — Politik der Ordens- und Medaillen-
vertheilung an die Industriellen. — Die künftige Wiener GewerbecniSstellung.
— Was Oesterreich Roth thut. —

Ich muß Ihnen vor Allem melden, daß die „Politischen
Gespräche aus Wien von einem Preußen," welche Ur. 9.
der Grenzboten uns brachte, hier großes Aussehen erregen, theils weil
man die darin sprechenden Personen zu erkennen glaubt, theils weil
seit langer Zeit kein Artikel unsere Stellung zu Preußen und Deutsch¬
land in so scharfen und gedrängten Umrissen gezeichnet hat. Daß
Preußen uns in allem Frieden den Krieg macht und uns in Deutsch¬
land mit jedem Tage mehr Terrain — moralisch gesprochen — ab¬
zugewinnen sucht und wirklich abgewinnt, darüber kann sich Niemand
mehr tauschen. Als Friedrich II. gegen Schlesien zog, da waffnete
sich die ganze österreichische Monarchie, durch sieben Jahre floß Blut
in Strömen und doch hat Preußen jetzt ohne Schwertstreich mehr er¬
obert, als Schlesien uns gewesen ist. Der Zollverein, als dessen Haupt
und Führer, ich möchte sagen, als dessen constitutioneller Monarch
Preußen sich immer mehr und mehr gcrirt, hat ihm die Hegemonie
Deutschlands gesichert, wie höflich und diplomatisch auch die preußische
Regierung gegen einen solchen Ausdruck protestirt. Man kann nicht
umhin, der preußischen Politik Bewunderung zu zollen, wenn man
sieht, mit wie kleinen Mitteln sie große Resultate hervorzubringen weiß.
Ich will nicht auf die Entstehungsgeschichte des Zollvereins zurückkom¬
men, wie unscheinbar damals das große Vorhaben dargestellt wurde,
ich will nicht von der in diesem Augenblicke noch schwebenden Consti-
tutionsfrage sprechen, bei welcher man, wie die erwähnten „Poli¬
tischen Gespräche" sich trefflich ausdrücken, Oesterreich so geschickt
vorschiebt. Gebe der Himmel, daß Letztere keine Komödie ist und daß
die Konstitution eine Wirklichkeit werde, wie der Zollverein. Aber von
diesen großen Dingen soll hier nicht die Rede sein; unsere Reflexionen
beschränken sich blos aus einen kleinen unbedeutend scheinenden Akt,
den Preußen in den letzten Tagen ausgeführt, ich meine die Ordens¬
und Mcdaillenvertheilung an die vorzüglichsten Industriellen des Zoll¬
vereins und der Bun desstaa ten, welche in Berlin ausgestellt ha¬
ben. Dieser schönen Aufmunterung deutschen Gewerbsfleißes, die äußer¬
lich als ein reiner Ausfluß patriotischen Gefühls, als Feuereifer für
deutsche nationale Größe erscheint, liegt innerlich eine kluge lächelnde
Politik zu Grunde, welche die Schwäche der Deutschen kennt und
welche weiß, daß derlei Auszeichnungen am geeignetsten sind, ihren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270031"/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II.<lb/>
Aus Wie n.</head><lb/>
            <div n="3">
              <head> I</head><lb/>
              <note type="argument"> Preußens Eroberungen im Frieden. &#x2014; Politik der Ordens- und Medaillen-<lb/>
vertheilung an die Industriellen. &#x2014; Die künftige Wiener GewerbecniSstellung.<lb/>
&#x2014; Was Oesterreich Roth thut. &#x2014;</note><lb/>
              <p xml:id="ID_1738" next="#ID_1739"> Ich muß Ihnen vor Allem melden, daß die &#x201E;Politischen<lb/>
Gespräche aus Wien von einem Preußen," welche Ur. 9.<lb/>
der Grenzboten uns brachte, hier großes Aussehen erregen, theils weil<lb/>
man die darin sprechenden Personen zu erkennen glaubt, theils weil<lb/>
seit langer Zeit kein Artikel unsere Stellung zu Preußen und Deutsch¬<lb/>
land in so scharfen und gedrängten Umrissen gezeichnet hat. Daß<lb/>
Preußen uns in allem Frieden den Krieg macht und uns in Deutsch¬<lb/>
land mit jedem Tage mehr Terrain &#x2014; moralisch gesprochen &#x2014; ab¬<lb/>
zugewinnen sucht und wirklich abgewinnt, darüber kann sich Niemand<lb/>
mehr tauschen. Als Friedrich II. gegen Schlesien zog, da waffnete<lb/>
sich die ganze österreichische Monarchie, durch sieben Jahre floß Blut<lb/>
in Strömen und doch hat Preußen jetzt ohne Schwertstreich mehr er¬<lb/>
obert, als Schlesien uns gewesen ist. Der Zollverein, als dessen Haupt<lb/>
und Führer, ich möchte sagen, als dessen constitutioneller Monarch<lb/>
Preußen sich immer mehr und mehr gcrirt, hat ihm die Hegemonie<lb/>
Deutschlands gesichert, wie höflich und diplomatisch auch die preußische<lb/>
Regierung gegen einen solchen Ausdruck protestirt. Man kann nicht<lb/>
umhin, der preußischen Politik Bewunderung zu zollen, wenn man<lb/>
sieht, mit wie kleinen Mitteln sie große Resultate hervorzubringen weiß.<lb/>
Ich will nicht auf die Entstehungsgeschichte des Zollvereins zurückkom¬<lb/>
men, wie unscheinbar damals das große Vorhaben dargestellt wurde,<lb/>
ich will nicht von der in diesem Augenblicke noch schwebenden Consti-<lb/>
tutionsfrage sprechen, bei welcher man, wie die erwähnten &#x201E;Poli¬<lb/>
tischen Gespräche" sich trefflich ausdrücken, Oesterreich so geschickt<lb/>
vorschiebt. Gebe der Himmel, daß Letztere keine Komödie ist und daß<lb/>
die Konstitution eine Wirklichkeit werde, wie der Zollverein. Aber von<lb/>
diesen großen Dingen soll hier nicht die Rede sein; unsere Reflexionen<lb/>
beschränken sich blos aus einen kleinen unbedeutend scheinenden Akt,<lb/>
den Preußen in den letzten Tagen ausgeführt, ich meine die Ordens¬<lb/>
und Mcdaillenvertheilung an die vorzüglichsten Industriellen des Zoll¬<lb/>
vereins und der Bun desstaa ten, welche in Berlin ausgestellt ha¬<lb/>
ben. Dieser schönen Aufmunterung deutschen Gewerbsfleißes, die äußer¬<lb/>
lich als ein reiner Ausfluß patriotischen Gefühls, als Feuereifer für<lb/>
deutsche nationale Größe erscheint, liegt innerlich eine kluge lächelnde<lb/>
Politik zu Grunde, welche die Schwäche der Deutschen kennt und<lb/>
welche weiß, daß derlei Auszeichnungen am geeignetsten sind, ihren</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0616] II. Aus Wie n. I Preußens Eroberungen im Frieden. — Politik der Ordens- und Medaillen- vertheilung an die Industriellen. — Die künftige Wiener GewerbecniSstellung. — Was Oesterreich Roth thut. — Ich muß Ihnen vor Allem melden, daß die „Politischen Gespräche aus Wien von einem Preußen," welche Ur. 9. der Grenzboten uns brachte, hier großes Aussehen erregen, theils weil man die darin sprechenden Personen zu erkennen glaubt, theils weil seit langer Zeit kein Artikel unsere Stellung zu Preußen und Deutsch¬ land in so scharfen und gedrängten Umrissen gezeichnet hat. Daß Preußen uns in allem Frieden den Krieg macht und uns in Deutsch¬ land mit jedem Tage mehr Terrain — moralisch gesprochen — ab¬ zugewinnen sucht und wirklich abgewinnt, darüber kann sich Niemand mehr tauschen. Als Friedrich II. gegen Schlesien zog, da waffnete sich die ganze österreichische Monarchie, durch sieben Jahre floß Blut in Strömen und doch hat Preußen jetzt ohne Schwertstreich mehr er¬ obert, als Schlesien uns gewesen ist. Der Zollverein, als dessen Haupt und Führer, ich möchte sagen, als dessen constitutioneller Monarch Preußen sich immer mehr und mehr gcrirt, hat ihm die Hegemonie Deutschlands gesichert, wie höflich und diplomatisch auch die preußische Regierung gegen einen solchen Ausdruck protestirt. Man kann nicht umhin, der preußischen Politik Bewunderung zu zollen, wenn man sieht, mit wie kleinen Mitteln sie große Resultate hervorzubringen weiß. Ich will nicht auf die Entstehungsgeschichte des Zollvereins zurückkom¬ men, wie unscheinbar damals das große Vorhaben dargestellt wurde, ich will nicht von der in diesem Augenblicke noch schwebenden Consti- tutionsfrage sprechen, bei welcher man, wie die erwähnten „Poli¬ tischen Gespräche" sich trefflich ausdrücken, Oesterreich so geschickt vorschiebt. Gebe der Himmel, daß Letztere keine Komödie ist und daß die Konstitution eine Wirklichkeit werde, wie der Zollverein. Aber von diesen großen Dingen soll hier nicht die Rede sein; unsere Reflexionen beschränken sich blos aus einen kleinen unbedeutend scheinenden Akt, den Preußen in den letzten Tagen ausgeführt, ich meine die Ordens¬ und Mcdaillenvertheilung an die vorzüglichsten Industriellen des Zoll¬ vereins und der Bun desstaa ten, welche in Berlin ausgestellt ha¬ ben. Dieser schönen Aufmunterung deutschen Gewerbsfleißes, die äußer¬ lich als ein reiner Ausfluß patriotischen Gefühls, als Feuereifer für deutsche nationale Größe erscheint, liegt innerlich eine kluge lächelnde Politik zu Grunde, welche die Schwäche der Deutschen kennt und welche weiß, daß derlei Auszeichnungen am geeignetsten sind, ihren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/616
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/616>, abgerufen am 22.07.2024.