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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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von Neuem bedroht? Weil sie im Begriff ist, sich selbst noch größere
Schranken anzulegen, und die Bedingung ihres Daseins noch mehr
verkennt. Warum hat der Katholicismus im vorigen Jahrhundert
so ganz darniedet gelegen? Weil er aufgehört halte, sich selbst ähn¬
lich zu sein, weil seine denkenden Köpfe unbewußt dem Geiste der
Zeit, den durch die Reformation hervorgerufenen freiern geistigen Be¬
strebungen anhingen, weil sie eine Kirche verbessern wollten, deren
Dasein auf UnVeränderlichkeit beruht. Rom weicht nicht zurück; am
Sitze des Statthalters Christi galten diese Tendenzen nicht, und son¬
derbar genug ging man selbst so weit, ihm daraus einen Vorwurf
zu machen. Als wenn Rom zurückweichen könnte! Rom's Macht
ist grade sein Prinzip. Der Katholicismus beginnt in unsern Tagen
wieder einen Aufschwung zu nehmen, nicht blos wegen der Fehler,
seiner Gegner, sondern auch, weil er sich wiedergefunden, es wagt,
sich wieder mehr in seiner Gestalt zu zeigen, weil er wieder couse-
quenter wird. Aber es bleibt uns doch noch der Trost, daß er darum
nicht siegen wird, denn völlig offen darf er sich nicht zeigen, sein
wahrer Geist steht zu sehr mit den Fortschritten des menschlichen Gei¬
stes im Widerspruch, als daß er je in der reinen Konsequenz des
Mittelalters, auf der er gebaut ist, wird auftreten können. Hier wird
er stehen bleiben und scheitern.

Klar zeigt uns also die Geschichte, daß es für Parteien nur
ein Heil gibt: consequent in ihren Prinzipien zu verharren und
furchtlos jede Folgerung daraus anzunehmen, oder zu weichen. Als
in der französischen Revolution Gemäßigie und Terroristen einander
gegenüberstanden, mußten jene unterliegen, eben weil sie gemäßigt
waren und die Folgen der Grundsätze, auf denen die Staatsumwäl¬
zung beruhte, nicht durchführten, sondern bei einem willkürlich von
ihnen gesteckten Ziele stehen bleiben wollten. Nie wird eine Partei
Erfolge erringen können, so lange sie sich hinter Formen versteckt, die
ihre Natur wesentlich beeinträchtigen können. Und doch finden wir
nichts Gewöhnlicheres als dies, und unsere Zeit gibt davon ein
großartiges Beispiel. Die Umstände, Mangel an klarem Nachdenken,
am häufigsten Selbsttäuschung sind daran Ursache. Man fürchtet,
sich in der öffentlichen Meinung bloszustellen, wenn man offen seine
Absichten ausspricht; man will vielleicht bestimmte Pläne verbergen
und zieht eine Maske vor, man will sich den einmal herrschenden


von Neuem bedroht? Weil sie im Begriff ist, sich selbst noch größere
Schranken anzulegen, und die Bedingung ihres Daseins noch mehr
verkennt. Warum hat der Katholicismus im vorigen Jahrhundert
so ganz darniedet gelegen? Weil er aufgehört halte, sich selbst ähn¬
lich zu sein, weil seine denkenden Köpfe unbewußt dem Geiste der
Zeit, den durch die Reformation hervorgerufenen freiern geistigen Be¬
strebungen anhingen, weil sie eine Kirche verbessern wollten, deren
Dasein auf UnVeränderlichkeit beruht. Rom weicht nicht zurück; am
Sitze des Statthalters Christi galten diese Tendenzen nicht, und son¬
derbar genug ging man selbst so weit, ihm daraus einen Vorwurf
zu machen. Als wenn Rom zurückweichen könnte! Rom's Macht
ist grade sein Prinzip. Der Katholicismus beginnt in unsern Tagen
wieder einen Aufschwung zu nehmen, nicht blos wegen der Fehler,
seiner Gegner, sondern auch, weil er sich wiedergefunden, es wagt,
sich wieder mehr in seiner Gestalt zu zeigen, weil er wieder couse-
quenter wird. Aber es bleibt uns doch noch der Trost, daß er darum
nicht siegen wird, denn völlig offen darf er sich nicht zeigen, sein
wahrer Geist steht zu sehr mit den Fortschritten des menschlichen Gei¬
stes im Widerspruch, als daß er je in der reinen Konsequenz des
Mittelalters, auf der er gebaut ist, wird auftreten können. Hier wird
er stehen bleiben und scheitern.

Klar zeigt uns also die Geschichte, daß es für Parteien nur
ein Heil gibt: consequent in ihren Prinzipien zu verharren und
furchtlos jede Folgerung daraus anzunehmen, oder zu weichen. Als
in der französischen Revolution Gemäßigie und Terroristen einander
gegenüberstanden, mußten jene unterliegen, eben weil sie gemäßigt
waren und die Folgen der Grundsätze, auf denen die Staatsumwäl¬
zung beruhte, nicht durchführten, sondern bei einem willkürlich von
ihnen gesteckten Ziele stehen bleiben wollten. Nie wird eine Partei
Erfolge erringen können, so lange sie sich hinter Formen versteckt, die
ihre Natur wesentlich beeinträchtigen können. Und doch finden wir
nichts Gewöhnlicheres als dies, und unsere Zeit gibt davon ein
großartiges Beispiel. Die Umstände, Mangel an klarem Nachdenken,
am häufigsten Selbsttäuschung sind daran Ursache. Man fürchtet,
sich in der öffentlichen Meinung bloszustellen, wenn man offen seine
Absichten ausspricht; man will vielleicht bestimmte Pläne verbergen
und zieht eine Maske vor, man will sich den einmal herrschenden


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[0604] von Neuem bedroht? Weil sie im Begriff ist, sich selbst noch größere Schranken anzulegen, und die Bedingung ihres Daseins noch mehr verkennt. Warum hat der Katholicismus im vorigen Jahrhundert so ganz darniedet gelegen? Weil er aufgehört halte, sich selbst ähn¬ lich zu sein, weil seine denkenden Köpfe unbewußt dem Geiste der Zeit, den durch die Reformation hervorgerufenen freiern geistigen Be¬ strebungen anhingen, weil sie eine Kirche verbessern wollten, deren Dasein auf UnVeränderlichkeit beruht. Rom weicht nicht zurück; am Sitze des Statthalters Christi galten diese Tendenzen nicht, und son¬ derbar genug ging man selbst so weit, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Als wenn Rom zurückweichen könnte! Rom's Macht ist grade sein Prinzip. Der Katholicismus beginnt in unsern Tagen wieder einen Aufschwung zu nehmen, nicht blos wegen der Fehler, seiner Gegner, sondern auch, weil er sich wiedergefunden, es wagt, sich wieder mehr in seiner Gestalt zu zeigen, weil er wieder couse- quenter wird. Aber es bleibt uns doch noch der Trost, daß er darum nicht siegen wird, denn völlig offen darf er sich nicht zeigen, sein wahrer Geist steht zu sehr mit den Fortschritten des menschlichen Gei¬ stes im Widerspruch, als daß er je in der reinen Konsequenz des Mittelalters, auf der er gebaut ist, wird auftreten können. Hier wird er stehen bleiben und scheitern. Klar zeigt uns also die Geschichte, daß es für Parteien nur ein Heil gibt: consequent in ihren Prinzipien zu verharren und furchtlos jede Folgerung daraus anzunehmen, oder zu weichen. Als in der französischen Revolution Gemäßigie und Terroristen einander gegenüberstanden, mußten jene unterliegen, eben weil sie gemäßigt waren und die Folgen der Grundsätze, auf denen die Staatsumwäl¬ zung beruhte, nicht durchführten, sondern bei einem willkürlich von ihnen gesteckten Ziele stehen bleiben wollten. Nie wird eine Partei Erfolge erringen können, so lange sie sich hinter Formen versteckt, die ihre Natur wesentlich beeinträchtigen können. Und doch finden wir nichts Gewöhnlicheres als dies, und unsere Zeit gibt davon ein großartiges Beispiel. Die Umstände, Mangel an klarem Nachdenken, am häufigsten Selbsttäuschung sind daran Ursache. Man fürchtet, sich in der öffentlichen Meinung bloszustellen, wenn man offen seine Absichten ausspricht; man will vielleicht bestimmte Pläne verbergen und zieht eine Maske vor, man will sich den einmal herrschenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/604>, abgerufen am 22.07.2024.