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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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teil von ihren Lippen: "O, Könige der Statur, habt Ihr das
"Leben auf eine Ewigkeit gepachtet, daß Ihr Jahrhunderte, dem Hasse
"vergeudet, nicht für verloren haltet? Werdet Ihr Euren Kindem
"einen Balsam hinterlassen, um die Wunden zu heilen, die ihre Väter
"schlugen? Habt Ihr ein Zauberwort, das die Geschlechter wieder
"hervorrufe, die Ihr getödtet; das die Ruhe wieder herstellt, die
"Ihr getrübt; das die Narben ausglättet, die die Schande Eurer
"Ahnen der Nachwelt überbringen? Oh! kehrt zum Frieden zurück
und liebt Euch!"

So redeten die Guten in ihrer Frömmigkeit. Doch von der
ehrnen Brust der Bösen hallten ihre Worte nachspottcnd zurück. Ge¬
hört hatte man sie, aber nicht verstanden, und Verfolgung war ihr
Lohn. Doch keine Saat geht durchaus verloren, und nicht ganz
fruchtlos war ihr Bemühen. Alle die, welche Gott im Herzen und
die Wahrheit im Geiste trugen, traten hervor und folgten dem Ruf.
Sie reichten sich die Hände, und der Bund des Lichts war geschlos¬
sen. Keine Zeugen hatten ihn beurkundet, kein Unterpfand hatte
ihn versichert; das heilige Wort ging von Mund zu Mund, und
um den Altar des Rechts zog sich der geheimnißvolle Kreis und
wehrte den Zutritt. -- Wie heißt das Bündniß, daS die Edlen an
einander kettet, das den Geist dem Herzen vermählt und dem guten
Willen die That zusichert? -- Es heißt hier in diesem heiligen Tem¬
pel, dem Herkommen gemäß, Maurerei. Anders nennt man es im
Leben; doch nennt es wie Ihr wollt, es spricht sich stets als das
Würdigste aus.

Ja, meine Brüder, die Maurerei ist die heilige Quelle, wo die
verblühte Schönheit ihre Huldigung, wo die getrübte Weisheit ihre
Helle, wo die geschwächte Kraft ihre Fülle wiederfand. Sie ist daS
Asyl der geängstigten Treue, die Versöhnerin der beleidigten Un¬
schuld, die Vergelterin der unbezahlten Liebe. Die verworrenen Rechte
des Lebens soll sie ordnen, das bestochene Urtheil der Leidenschaft
soll sie strafen, die Handlungen des Herzens soll sie richten. Was
die plumpe Hand des Blödsinnes wild untereinander gemengt, das
soll sie sondern und mit ihrem Geiste beleben; was die Feuerkraft
der Begierde zu heiß umarmt, räh soll sie mit ihrer Milde erquicken;
und was die unkundige Menge zu streng verdammt, das soll sie mit
ihrem Schilde schützen. -- Sie stürzt die Scheidewand ein, die das


teil von ihren Lippen: „O, Könige der Statur, habt Ihr das
„Leben auf eine Ewigkeit gepachtet, daß Ihr Jahrhunderte, dem Hasse
„vergeudet, nicht für verloren haltet? Werdet Ihr Euren Kindem
„einen Balsam hinterlassen, um die Wunden zu heilen, die ihre Väter
„schlugen? Habt Ihr ein Zauberwort, das die Geschlechter wieder
„hervorrufe, die Ihr getödtet; das die Ruhe wieder herstellt, die
„Ihr getrübt; das die Narben ausglättet, die die Schande Eurer
„Ahnen der Nachwelt überbringen? Oh! kehrt zum Frieden zurück
und liebt Euch!"

So redeten die Guten in ihrer Frömmigkeit. Doch von der
ehrnen Brust der Bösen hallten ihre Worte nachspottcnd zurück. Ge¬
hört hatte man sie, aber nicht verstanden, und Verfolgung war ihr
Lohn. Doch keine Saat geht durchaus verloren, und nicht ganz
fruchtlos war ihr Bemühen. Alle die, welche Gott im Herzen und
die Wahrheit im Geiste trugen, traten hervor und folgten dem Ruf.
Sie reichten sich die Hände, und der Bund des Lichts war geschlos¬
sen. Keine Zeugen hatten ihn beurkundet, kein Unterpfand hatte
ihn versichert; das heilige Wort ging von Mund zu Mund, und
um den Altar des Rechts zog sich der geheimnißvolle Kreis und
wehrte den Zutritt. — Wie heißt das Bündniß, daS die Edlen an
einander kettet, das den Geist dem Herzen vermählt und dem guten
Willen die That zusichert? — Es heißt hier in diesem heiligen Tem¬
pel, dem Herkommen gemäß, Maurerei. Anders nennt man es im
Leben; doch nennt es wie Ihr wollt, es spricht sich stets als das
Würdigste aus.

Ja, meine Brüder, die Maurerei ist die heilige Quelle, wo die
verblühte Schönheit ihre Huldigung, wo die getrübte Weisheit ihre
Helle, wo die geschwächte Kraft ihre Fülle wiederfand. Sie ist daS
Asyl der geängstigten Treue, die Versöhnerin der beleidigten Un¬
schuld, die Vergelterin der unbezahlten Liebe. Die verworrenen Rechte
des Lebens soll sie ordnen, das bestochene Urtheil der Leidenschaft
soll sie strafen, die Handlungen des Herzens soll sie richten. Was
die plumpe Hand des Blödsinnes wild untereinander gemengt, das
soll sie sondern und mit ihrem Geiste beleben; was die Feuerkraft
der Begierde zu heiß umarmt, räh soll sie mit ihrer Milde erquicken;
und was die unkundige Menge zu streng verdammt, das soll sie mit
ihrem Schilde schützen. — Sie stürzt die Scheidewand ein, die das


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[0594] teil von ihren Lippen: „O, Könige der Statur, habt Ihr das „Leben auf eine Ewigkeit gepachtet, daß Ihr Jahrhunderte, dem Hasse „vergeudet, nicht für verloren haltet? Werdet Ihr Euren Kindem „einen Balsam hinterlassen, um die Wunden zu heilen, die ihre Väter „schlugen? Habt Ihr ein Zauberwort, das die Geschlechter wieder „hervorrufe, die Ihr getödtet; das die Ruhe wieder herstellt, die „Ihr getrübt; das die Narben ausglättet, die die Schande Eurer „Ahnen der Nachwelt überbringen? Oh! kehrt zum Frieden zurück und liebt Euch!" So redeten die Guten in ihrer Frömmigkeit. Doch von der ehrnen Brust der Bösen hallten ihre Worte nachspottcnd zurück. Ge¬ hört hatte man sie, aber nicht verstanden, und Verfolgung war ihr Lohn. Doch keine Saat geht durchaus verloren, und nicht ganz fruchtlos war ihr Bemühen. Alle die, welche Gott im Herzen und die Wahrheit im Geiste trugen, traten hervor und folgten dem Ruf. Sie reichten sich die Hände, und der Bund des Lichts war geschlos¬ sen. Keine Zeugen hatten ihn beurkundet, kein Unterpfand hatte ihn versichert; das heilige Wort ging von Mund zu Mund, und um den Altar des Rechts zog sich der geheimnißvolle Kreis und wehrte den Zutritt. — Wie heißt das Bündniß, daS die Edlen an einander kettet, das den Geist dem Herzen vermählt und dem guten Willen die That zusichert? — Es heißt hier in diesem heiligen Tem¬ pel, dem Herkommen gemäß, Maurerei. Anders nennt man es im Leben; doch nennt es wie Ihr wollt, es spricht sich stets als das Würdigste aus. Ja, meine Brüder, die Maurerei ist die heilige Quelle, wo die verblühte Schönheit ihre Huldigung, wo die getrübte Weisheit ihre Helle, wo die geschwächte Kraft ihre Fülle wiederfand. Sie ist daS Asyl der geängstigten Treue, die Versöhnerin der beleidigten Un¬ schuld, die Vergelterin der unbezahlten Liebe. Die verworrenen Rechte des Lebens soll sie ordnen, das bestochene Urtheil der Leidenschaft soll sie strafen, die Handlungen des Herzens soll sie richten. Was die plumpe Hand des Blödsinnes wild untereinander gemengt, das soll sie sondern und mit ihrem Geiste beleben; was die Feuerkraft der Begierde zu heiß umarmt, räh soll sie mit ihrer Milde erquicken; und was die unkundige Menge zu streng verdammt, das soll sie mit ihrem Schilde schützen. — Sie stürzt die Scheidewand ein, die das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/594>, abgerufen am 23.07.2024.