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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Provinzialintcressen erzeugt wird. Sie haben das mit der ältern
deutschen Verfassung gemein, daß das Uebergewicht bei der Vertretung
durchaus auf Seiten des privilegirten Grundbesitzes sich findet, der
dadurch veranlaßt wird, nach Ausdehnung seiner Gewalt und seines
Einflusses zu streben, sowohl nach unten hin, gegen das Volk, wie
nach oben, gegen die Regierung. "Wenn die Fürsten", sagt Hegel
in seiner Kritik der Verhandlungen der würtembergischen Landstände
im Jahre 1815", wenn die Fürsten der neuen Reiche ihre Völker
recht gründlich hätten betrügen und sich Ehre, so zu sagen, vor Gott
und Menschen erwerben wollen, so hätten sie ihren Völkern die soge¬
nannten alten Verfassungen zurückgegeben."

Die Provinzialstände stehen im Widerspruch mit den Prinzipien,
die den preußischen Staat geschaffen und groß gemacht, durch ihre
Zusammensetzung im Widerspruch mit der Zeit, indem nur das Grund¬
eigenthum, also nur eine Art des Vermögens, mit Ausschluß der
Intelligenz und aller andern Arten von Vermögen, vertreten wird,
und zwar je nach den Provinzen wird den Ständen ein sehr verschie¬
denes Maß des Grundeigenthums.

Provinzialstände machen Reichsstände nicht entbehrlich. Reichs-
stände sind vielmehr die nothwendige Konsequenz der Provinzialstände,
wenn der Staat nicht in eine Verbindung mehrerer Staaten zerfallen,
wenn er Ein Staat werden und bleiben soll. Eine "Repräsentation
deS Volks," die "dem Bedürfnisse der Zeit gemäß", ist zugesagt. "Eine
höhere Nothwendigkeit aber", bemerkt Hegel, "als in dem positiven
Bande eines Versprechens, liegt in der Natur der zu allgemei¬
ner Ueberzeugung gewordenen Begriffe, welche an eine
Monarchie die Bestimmung einer repräsentativen Verfassung,
eines gesetzmäßigen Zustandes und einer Einwirkung
des Volkes bei der Gesetzgebung knüpfen."

Von den Gesetzen über die Provinzialstände sagt Gans in sei¬
nen Beiträgen zur Revision der preußischen Gesetzgebung: "Diese Ge¬
setze sind nicht das, was sie sein sollten, eben so wenig als sie sein
sollen, was sie sind, aber auch abgesehen davon, erkranken sie an ei¬
nem Grundübel, das unheilbar erscheint: sie erschaffen nämlich Kate-,
gorien, die nicht mehr eristiren, die frühere Gesetze schon aufgehoben
haben, die aber wiederum, als beständen sie noch, eingeschoben wer¬
den und somit eine falsche Repräsentation bilden. Die Ge-


Grcnzbotcn I. 72

Provinzialintcressen erzeugt wird. Sie haben das mit der ältern
deutschen Verfassung gemein, daß das Uebergewicht bei der Vertretung
durchaus auf Seiten des privilegirten Grundbesitzes sich findet, der
dadurch veranlaßt wird, nach Ausdehnung seiner Gewalt und seines
Einflusses zu streben, sowohl nach unten hin, gegen das Volk, wie
nach oben, gegen die Regierung. „Wenn die Fürsten", sagt Hegel
in seiner Kritik der Verhandlungen der würtembergischen Landstände
im Jahre 1815", wenn die Fürsten der neuen Reiche ihre Völker
recht gründlich hätten betrügen und sich Ehre, so zu sagen, vor Gott
und Menschen erwerben wollen, so hätten sie ihren Völkern die soge¬
nannten alten Verfassungen zurückgegeben."

Die Provinzialstände stehen im Widerspruch mit den Prinzipien,
die den preußischen Staat geschaffen und groß gemacht, durch ihre
Zusammensetzung im Widerspruch mit der Zeit, indem nur das Grund¬
eigenthum, also nur eine Art des Vermögens, mit Ausschluß der
Intelligenz und aller andern Arten von Vermögen, vertreten wird,
und zwar je nach den Provinzen wird den Ständen ein sehr verschie¬
denes Maß des Grundeigenthums.

Provinzialstände machen Reichsstände nicht entbehrlich. Reichs-
stände sind vielmehr die nothwendige Konsequenz der Provinzialstände,
wenn der Staat nicht in eine Verbindung mehrerer Staaten zerfallen,
wenn er Ein Staat werden und bleiben soll. Eine „Repräsentation
deS Volks," die „dem Bedürfnisse der Zeit gemäß", ist zugesagt. „Eine
höhere Nothwendigkeit aber", bemerkt Hegel, „als in dem positiven
Bande eines Versprechens, liegt in der Natur der zu allgemei¬
ner Ueberzeugung gewordenen Begriffe, welche an eine
Monarchie die Bestimmung einer repräsentativen Verfassung,
eines gesetzmäßigen Zustandes und einer Einwirkung
des Volkes bei der Gesetzgebung knüpfen."

Von den Gesetzen über die Provinzialstände sagt Gans in sei¬
nen Beiträgen zur Revision der preußischen Gesetzgebung: „Diese Ge¬
setze sind nicht das, was sie sein sollten, eben so wenig als sie sein
sollen, was sie sind, aber auch abgesehen davon, erkranken sie an ei¬
nem Grundübel, das unheilbar erscheint: sie erschaffen nämlich Kate-,
gorien, die nicht mehr eristiren, die frühere Gesetze schon aufgehoben
haben, die aber wiederum, als beständen sie noch, eingeschoben wer¬
den und somit eine falsche Repräsentation bilden. Die Ge-


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[0571] Provinzialintcressen erzeugt wird. Sie haben das mit der ältern deutschen Verfassung gemein, daß das Uebergewicht bei der Vertretung durchaus auf Seiten des privilegirten Grundbesitzes sich findet, der dadurch veranlaßt wird, nach Ausdehnung seiner Gewalt und seines Einflusses zu streben, sowohl nach unten hin, gegen das Volk, wie nach oben, gegen die Regierung. „Wenn die Fürsten", sagt Hegel in seiner Kritik der Verhandlungen der würtembergischen Landstände im Jahre 1815", wenn die Fürsten der neuen Reiche ihre Völker recht gründlich hätten betrügen und sich Ehre, so zu sagen, vor Gott und Menschen erwerben wollen, so hätten sie ihren Völkern die soge¬ nannten alten Verfassungen zurückgegeben." Die Provinzialstände stehen im Widerspruch mit den Prinzipien, die den preußischen Staat geschaffen und groß gemacht, durch ihre Zusammensetzung im Widerspruch mit der Zeit, indem nur das Grund¬ eigenthum, also nur eine Art des Vermögens, mit Ausschluß der Intelligenz und aller andern Arten von Vermögen, vertreten wird, und zwar je nach den Provinzen wird den Ständen ein sehr verschie¬ denes Maß des Grundeigenthums. Provinzialstände machen Reichsstände nicht entbehrlich. Reichs- stände sind vielmehr die nothwendige Konsequenz der Provinzialstände, wenn der Staat nicht in eine Verbindung mehrerer Staaten zerfallen, wenn er Ein Staat werden und bleiben soll. Eine „Repräsentation deS Volks," die „dem Bedürfnisse der Zeit gemäß", ist zugesagt. „Eine höhere Nothwendigkeit aber", bemerkt Hegel, „als in dem positiven Bande eines Versprechens, liegt in der Natur der zu allgemei¬ ner Ueberzeugung gewordenen Begriffe, welche an eine Monarchie die Bestimmung einer repräsentativen Verfassung, eines gesetzmäßigen Zustandes und einer Einwirkung des Volkes bei der Gesetzgebung knüpfen." Von den Gesetzen über die Provinzialstände sagt Gans in sei¬ nen Beiträgen zur Revision der preußischen Gesetzgebung: „Diese Ge¬ setze sind nicht das, was sie sein sollten, eben so wenig als sie sein sollen, was sie sind, aber auch abgesehen davon, erkranken sie an ei¬ nem Grundübel, das unheilbar erscheint: sie erschaffen nämlich Kate-, gorien, die nicht mehr eristiren, die frühere Gesetze schon aufgehoben haben, die aber wiederum, als beständen sie noch, eingeschoben wer¬ den und somit eine falsche Repräsentation bilden. Die Ge- Grcnzbotcn I. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/571>, abgerufen am 22.07.2024.