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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Der Gott der Wahrheit hat sich in diesen zwei Jahrhunderten
höher geoffenbart als in zehn vorangegangenen. Und durch wen war
diese Offenbarung vollbracht? Nicht durch Euch, sondern durch Solche,
welche Ihr Laien nennt, die aber die Priester der Wahrheit geworden
sind. Ihr habt keine von den großen Entdeckungen aufzuweisen, keine
von den bleibenden Arbeiten, welche die Wege der Wissenschaften bahn¬
ten. Der Gott der Barmherzigkeit, der Billigkeit, der Mensch¬
lichkeit hat uns versprochen, durch ein menschliches Recht das barbari¬
sche Recht des Mittelaltecs zu ersetzen. Ihr haltet es aufrecht. Euer
Prinzip ist das alte ausschließende Recht, das jeden Widerspruch ver¬
dammt und den Widersprechenden zu vernichten sucht. Unser Prinzip
läßt die Verschiedenheiten zu, es will nicht, daß der Gegner untergehe,
es will, daß er Freund werde. Warum verkennt Ihr diesen Gott,
der in unsern Tagen in Mitten der Helle der Wissenschaften, der
Sanftheit der Sitte, der Billigkeit der Gesetze sich geoffenbart? Was
unserer Zeit Gewicht verleiht, was sie heiligt, das ist diese gewissenhafte
ivissenschaftliche Thätigkeit, welche das gemeinsame Werk der Humani¬
tät vorwärts schiebt und die Arbeit der Zukunft mit Selbstaufopferung
zu erleichtern strebt. Wir, wir sind die Arbeiter im Weingarten des
Herrn und darum sind unsere Furchen auch gesegnet worden. Der
Boden, den das Mittelalter voll Gestrüppe uns hinterließ, hat durch
unsere Anstrengungen so mächtige Aehren hervorgebracht, daß sie bald
den tragen Markstein verdecken, der unsern Pflug aufzuhalten gedacht.
Aber weil wir Arbeiter sind, haben wir der Herzensruhe um so nöthi¬
ger, wenn wir des Abends ermüdet sind. Es muß dieser Herd wirk¬
lich unser Herd sein, dieser Tisch wirklich unser Tisch, damit nicht in
unserem Hause der Streit sich erneuert, den die Wissenschaft und die
Welt abgethan hat l?), daß unsere Frau, unsere Tochter uns nicht eine
gelernte Lection und die Worte eines andern Mannes in's Ohr sage.
Der Mann unserer Zeit, der Mann der Zukunft kann sein Weib nicht
dem Manne der Vergangenheit abtreten. Die geistliche Leitung, die
dieser ausübt, ist eine wahre Ehe, wichtiger als die andere -- eine
geistige Ehe.

Der Landtagsmarschall in Schlesien soll nun mit Gewißheit
Preußische Verfassung, Reichsstände u. s. w. auf -uino siebenundvierzig
verkündigt haben. Nur hat man nicht deutlich hören können, ob er
achtzehn- oder neunzehnhundert und siebenundvierzig gesagt hat. sie¬
benundvierzig aber jedenfalls.

-- In Hamburg soll ,,der letzte Maure" von l)>-. Wollheim,
einem Hamburger, sehr gefallen haben, eben so in Berlin Wiener's
(Wiesner's ?) "die Waise von Lucca." Wollheim wäre demnach Pro¬
phet im Vaterlande; ein in Deutschland seltenes Glück. Gutzkoro's
Stücke werden z. B. überall eher als in seiner Heimath Berlin ge-


Der Gott der Wahrheit hat sich in diesen zwei Jahrhunderten
höher geoffenbart als in zehn vorangegangenen. Und durch wen war
diese Offenbarung vollbracht? Nicht durch Euch, sondern durch Solche,
welche Ihr Laien nennt, die aber die Priester der Wahrheit geworden
sind. Ihr habt keine von den großen Entdeckungen aufzuweisen, keine
von den bleibenden Arbeiten, welche die Wege der Wissenschaften bahn¬
ten. Der Gott der Barmherzigkeit, der Billigkeit, der Mensch¬
lichkeit hat uns versprochen, durch ein menschliches Recht das barbari¬
sche Recht des Mittelaltecs zu ersetzen. Ihr haltet es aufrecht. Euer
Prinzip ist das alte ausschließende Recht, das jeden Widerspruch ver¬
dammt und den Widersprechenden zu vernichten sucht. Unser Prinzip
läßt die Verschiedenheiten zu, es will nicht, daß der Gegner untergehe,
es will, daß er Freund werde. Warum verkennt Ihr diesen Gott,
der in unsern Tagen in Mitten der Helle der Wissenschaften, der
Sanftheit der Sitte, der Billigkeit der Gesetze sich geoffenbart? Was
unserer Zeit Gewicht verleiht, was sie heiligt, das ist diese gewissenhafte
ivissenschaftliche Thätigkeit, welche das gemeinsame Werk der Humani¬
tät vorwärts schiebt und die Arbeit der Zukunft mit Selbstaufopferung
zu erleichtern strebt. Wir, wir sind die Arbeiter im Weingarten des
Herrn und darum sind unsere Furchen auch gesegnet worden. Der
Boden, den das Mittelalter voll Gestrüppe uns hinterließ, hat durch
unsere Anstrengungen so mächtige Aehren hervorgebracht, daß sie bald
den tragen Markstein verdecken, der unsern Pflug aufzuhalten gedacht.
Aber weil wir Arbeiter sind, haben wir der Herzensruhe um so nöthi¬
ger, wenn wir des Abends ermüdet sind. Es muß dieser Herd wirk¬
lich unser Herd sein, dieser Tisch wirklich unser Tisch, damit nicht in
unserem Hause der Streit sich erneuert, den die Wissenschaft und die
Welt abgethan hat l?), daß unsere Frau, unsere Tochter uns nicht eine
gelernte Lection und die Worte eines andern Mannes in's Ohr sage.
Der Mann unserer Zeit, der Mann der Zukunft kann sein Weib nicht
dem Manne der Vergangenheit abtreten. Die geistliche Leitung, die
dieser ausübt, ist eine wahre Ehe, wichtiger als die andere — eine
geistige Ehe.

Der Landtagsmarschall in Schlesien soll nun mit Gewißheit
Preußische Verfassung, Reichsstände u. s. w. auf -uino siebenundvierzig
verkündigt haben. Nur hat man nicht deutlich hören können, ob er
achtzehn- oder neunzehnhundert und siebenundvierzig gesagt hat. sie¬
benundvierzig aber jedenfalls.

— In Hamburg soll ,,der letzte Maure" von l)>-. Wollheim,
einem Hamburger, sehr gefallen haben, eben so in Berlin Wiener's
(Wiesner's ?) „die Waise von Lucca." Wollheim wäre demnach Pro¬
phet im Vaterlande; ein in Deutschland seltenes Glück. Gutzkoro's
Stücke werden z. B. überall eher als in seiner Heimath Berlin ge-


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[0545] Der Gott der Wahrheit hat sich in diesen zwei Jahrhunderten höher geoffenbart als in zehn vorangegangenen. Und durch wen war diese Offenbarung vollbracht? Nicht durch Euch, sondern durch Solche, welche Ihr Laien nennt, die aber die Priester der Wahrheit geworden sind. Ihr habt keine von den großen Entdeckungen aufzuweisen, keine von den bleibenden Arbeiten, welche die Wege der Wissenschaften bahn¬ ten. Der Gott der Barmherzigkeit, der Billigkeit, der Mensch¬ lichkeit hat uns versprochen, durch ein menschliches Recht das barbari¬ sche Recht des Mittelaltecs zu ersetzen. Ihr haltet es aufrecht. Euer Prinzip ist das alte ausschließende Recht, das jeden Widerspruch ver¬ dammt und den Widersprechenden zu vernichten sucht. Unser Prinzip läßt die Verschiedenheiten zu, es will nicht, daß der Gegner untergehe, es will, daß er Freund werde. Warum verkennt Ihr diesen Gott, der in unsern Tagen in Mitten der Helle der Wissenschaften, der Sanftheit der Sitte, der Billigkeit der Gesetze sich geoffenbart? Was unserer Zeit Gewicht verleiht, was sie heiligt, das ist diese gewissenhafte ivissenschaftliche Thätigkeit, welche das gemeinsame Werk der Humani¬ tät vorwärts schiebt und die Arbeit der Zukunft mit Selbstaufopferung zu erleichtern strebt. Wir, wir sind die Arbeiter im Weingarten des Herrn und darum sind unsere Furchen auch gesegnet worden. Der Boden, den das Mittelalter voll Gestrüppe uns hinterließ, hat durch unsere Anstrengungen so mächtige Aehren hervorgebracht, daß sie bald den tragen Markstein verdecken, der unsern Pflug aufzuhalten gedacht. Aber weil wir Arbeiter sind, haben wir der Herzensruhe um so nöthi¬ ger, wenn wir des Abends ermüdet sind. Es muß dieser Herd wirk¬ lich unser Herd sein, dieser Tisch wirklich unser Tisch, damit nicht in unserem Hause der Streit sich erneuert, den die Wissenschaft und die Welt abgethan hat l?), daß unsere Frau, unsere Tochter uns nicht eine gelernte Lection und die Worte eines andern Mannes in's Ohr sage. Der Mann unserer Zeit, der Mann der Zukunft kann sein Weib nicht dem Manne der Vergangenheit abtreten. Die geistliche Leitung, die dieser ausübt, ist eine wahre Ehe, wichtiger als die andere — eine geistige Ehe. Der Landtagsmarschall in Schlesien soll nun mit Gewißheit Preußische Verfassung, Reichsstände u. s. w. auf -uino siebenundvierzig verkündigt haben. Nur hat man nicht deutlich hören können, ob er achtzehn- oder neunzehnhundert und siebenundvierzig gesagt hat. sie¬ benundvierzig aber jedenfalls. — In Hamburg soll ,,der letzte Maure" von l)>-. Wollheim, einem Hamburger, sehr gefallen haben, eben so in Berlin Wiener's (Wiesner's ?) „die Waise von Lucca." Wollheim wäre demnach Pro¬ phet im Vaterlande; ein in Deutschland seltenes Glück. Gutzkoro's Stücke werden z. B. überall eher als in seiner Heimath Berlin ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/545>, abgerufen am 22.07.2024.