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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Notizen.

Ein Wort Michelet'S. Prophezeihung. -- Dramen und Theater; Wiesncr. -
Ottavio Galsagna.

^- Es handelt sich um die Familie, sagt Michelet in der bereits in
den Grenzboten erwähnten Schrift, um das Asyl, in welchem wir
Alle, nach so vielen nutzlosen Anstrengungen, nach so vielen zerron¬
nenen Täuschungen unser Herz ausruhen lassen möchten. Wir kom¬
men sehr ermüdet zum häuslichen Herde. Finden wir da wirklich
Ruhe? Man verheimliche es nicht: es gibt in der Familie eine ernst¬
liche Verstimmung, die crnstlichstc von allen. Wir dürfen zu unsern
Müttern, zu unsern Frauen, zu unsern Töchtern von allen Gegenstän¬
den sprechen, von denen wir auch mit uns gleichgültigen Personen re¬
den, von Geschäften, Tagesneuigkeiten, aber ja nicht von Dingen,
welche das Herz, das moralische Leben berühren, von ewigen Dingen,
vom Glauben, von der Seele, von Gott! Jene Augenblicke, wo man
am meisten das Bedürfniß fühlt, sich mit den Seinigen in einen ge¬
meinschaftlichen Gedanken zu versenken, bei der Abendruhe, beim Fami¬
lientische -- ja wage es nur, von allen diesen Dingen ein Wort zu
sprechen! Deine Mutter laßt betrübt den Kopf sinken, Deine Gattin
widerspricht Dir, DeineTochter mißbilligt Dich schweigend -- sie schei¬
nen Alle auf der einen Seite des" Tisches zu sitzen und Du auf der
andern, allein, ganz allein. Man möchte glauben, daß in ihrer Mitte,
dir gegenüber ein unsichtbarer Mann sitzt, um Allem zu widersprechen,
was Du sagst. Und wie sollten wir uns verwundern über diesen
Familienzustand -- unsere Frauen, unsere Töchter, sie werden erzogen
und beherrscht von unsern Feinden, von den Feinden der Geistesfreiheit
und der Zukunft.......So viele Anstalten, so viel Geld, so viele
Kanzeln, um laut zu sprechen, so viele Beichtstühle, um leise zu wer¬
ben, die Erziehung von zweimalhunderttausend Knaben, von sechs-
malhunderttausend Mädchen, welche Macht! Und doch warum kommt
Ihr nicht weiter, ihr geistlichen Männer? Ich will es Euch sagen:
weil Ihr in Allem stark seid, in tausend materiellen Mitteln und Waf¬
fen, nur in Einem seid Ihr schwach -- in Gott! Was ist Religion S
Ihr seid zu scharfsinnig, um die Religion nur in materiellen Dingen
zu suchen, in Räucherwerk und Weihwasser. Gott ist für Euch wie
für uns der Gott des Geistes, der Wahrheit und der Barmherzigkeit.


D. Red.
wissen wir gewiß, und dies betrifft den Sehn des verstorbenen Salonion Heine,
den Vetter des Dichters, Carl Heine. Wir wissen, daß ihn nicht der ge¬
ringste Vorwarf trcssrn kann, und daß er nach wie vor den Dichter mit Liebe
und Treue behandelt hat. Wir zweifeln auch nicht, daß er, was an ihm
liegt, den Vorwurf der öffentlichen Stimme zu entkräften suchen wird.
«V.
Notizen.

Ein Wort Michelet'S. Prophezeihung. — Dramen und Theater; Wiesncr. -
Ottavio Galsagna.

^- Es handelt sich um die Familie, sagt Michelet in der bereits in
den Grenzboten erwähnten Schrift, um das Asyl, in welchem wir
Alle, nach so vielen nutzlosen Anstrengungen, nach so vielen zerron¬
nenen Täuschungen unser Herz ausruhen lassen möchten. Wir kom¬
men sehr ermüdet zum häuslichen Herde. Finden wir da wirklich
Ruhe? Man verheimliche es nicht: es gibt in der Familie eine ernst¬
liche Verstimmung, die crnstlichstc von allen. Wir dürfen zu unsern
Müttern, zu unsern Frauen, zu unsern Töchtern von allen Gegenstän¬
den sprechen, von denen wir auch mit uns gleichgültigen Personen re¬
den, von Geschäften, Tagesneuigkeiten, aber ja nicht von Dingen,
welche das Herz, das moralische Leben berühren, von ewigen Dingen,
vom Glauben, von der Seele, von Gott! Jene Augenblicke, wo man
am meisten das Bedürfniß fühlt, sich mit den Seinigen in einen ge¬
meinschaftlichen Gedanken zu versenken, bei der Abendruhe, beim Fami¬
lientische — ja wage es nur, von allen diesen Dingen ein Wort zu
sprechen! Deine Mutter laßt betrübt den Kopf sinken, Deine Gattin
widerspricht Dir, DeineTochter mißbilligt Dich schweigend — sie schei¬
nen Alle auf der einen Seite des» Tisches zu sitzen und Du auf der
andern, allein, ganz allein. Man möchte glauben, daß in ihrer Mitte,
dir gegenüber ein unsichtbarer Mann sitzt, um Allem zu widersprechen,
was Du sagst. Und wie sollten wir uns verwundern über diesen
Familienzustand — unsere Frauen, unsere Töchter, sie werden erzogen
und beherrscht von unsern Feinden, von den Feinden der Geistesfreiheit
und der Zukunft.......So viele Anstalten, so viel Geld, so viele
Kanzeln, um laut zu sprechen, so viele Beichtstühle, um leise zu wer¬
ben, die Erziehung von zweimalhunderttausend Knaben, von sechs-
malhunderttausend Mädchen, welche Macht! Und doch warum kommt
Ihr nicht weiter, ihr geistlichen Männer? Ich will es Euch sagen:
weil Ihr in Allem stark seid, in tausend materiellen Mitteln und Waf¬
fen, nur in Einem seid Ihr schwach — in Gott! Was ist Religion S
Ihr seid zu scharfsinnig, um die Religion nur in materiellen Dingen
zu suchen, in Räucherwerk und Weihwasser. Gott ist für Euch wie
für uns der Gott des Geistes, der Wahrheit und der Barmherzigkeit.


D. Red.
wissen wir gewiß, und dies betrifft den Sehn des verstorbenen Salonion Heine,
den Vetter des Dichters, Carl Heine. Wir wissen, daß ihn nicht der ge¬
ringste Vorwarf trcssrn kann, und daß er nach wie vor den Dichter mit Liebe
und Treue behandelt hat. Wir zweifeln auch nicht, daß er, was an ihm
liegt, den Vorwurf der öffentlichen Stimme zu entkräften suchen wird.
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[0544] «V. Notizen. Ein Wort Michelet'S. Prophezeihung. — Dramen und Theater; Wiesncr. - Ottavio Galsagna. ^- Es handelt sich um die Familie, sagt Michelet in der bereits in den Grenzboten erwähnten Schrift, um das Asyl, in welchem wir Alle, nach so vielen nutzlosen Anstrengungen, nach so vielen zerron¬ nenen Täuschungen unser Herz ausruhen lassen möchten. Wir kom¬ men sehr ermüdet zum häuslichen Herde. Finden wir da wirklich Ruhe? Man verheimliche es nicht: es gibt in der Familie eine ernst¬ liche Verstimmung, die crnstlichstc von allen. Wir dürfen zu unsern Müttern, zu unsern Frauen, zu unsern Töchtern von allen Gegenstän¬ den sprechen, von denen wir auch mit uns gleichgültigen Personen re¬ den, von Geschäften, Tagesneuigkeiten, aber ja nicht von Dingen, welche das Herz, das moralische Leben berühren, von ewigen Dingen, vom Glauben, von der Seele, von Gott! Jene Augenblicke, wo man am meisten das Bedürfniß fühlt, sich mit den Seinigen in einen ge¬ meinschaftlichen Gedanken zu versenken, bei der Abendruhe, beim Fami¬ lientische — ja wage es nur, von allen diesen Dingen ein Wort zu sprechen! Deine Mutter laßt betrübt den Kopf sinken, Deine Gattin widerspricht Dir, DeineTochter mißbilligt Dich schweigend — sie schei¬ nen Alle auf der einen Seite des» Tisches zu sitzen und Du auf der andern, allein, ganz allein. Man möchte glauben, daß in ihrer Mitte, dir gegenüber ein unsichtbarer Mann sitzt, um Allem zu widersprechen, was Du sagst. Und wie sollten wir uns verwundern über diesen Familienzustand — unsere Frauen, unsere Töchter, sie werden erzogen und beherrscht von unsern Feinden, von den Feinden der Geistesfreiheit und der Zukunft.......So viele Anstalten, so viel Geld, so viele Kanzeln, um laut zu sprechen, so viele Beichtstühle, um leise zu wer¬ ben, die Erziehung von zweimalhunderttausend Knaben, von sechs- malhunderttausend Mädchen, welche Macht! Und doch warum kommt Ihr nicht weiter, ihr geistlichen Männer? Ich will es Euch sagen: weil Ihr in Allem stark seid, in tausend materiellen Mitteln und Waf¬ fen, nur in Einem seid Ihr schwach — in Gott! Was ist Religion S Ihr seid zu scharfsinnig, um die Religion nur in materiellen Dingen zu suchen, in Räucherwerk und Weihwasser. Gott ist für Euch wie für uns der Gott des Geistes, der Wahrheit und der Barmherzigkeit. D. Red. wissen wir gewiß, und dies betrifft den Sehn des verstorbenen Salonion Heine, den Vetter des Dichters, Carl Heine. Wir wissen, daß ihn nicht der ge¬ ringste Vorwarf trcssrn kann, und daß er nach wie vor den Dichter mit Liebe und Treue behandelt hat. Wir zweifeln auch nicht, daß er, was an ihm liegt, den Vorwurf der öffentlichen Stimme zu entkräften suchen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/544>, abgerufen am 22.07.2024.