Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.bei der Lectüre, wo man sich ganz in die nobeln Intentionen des Das Possirlichste hierbei ist nur dies, daß unsere sonst so prüden Da ich gerade bei dem Theater stehe, so erlaube man mir, an Von Knorr wurde vor Kurzem ein historisches Trauerspiel "Jaco- bei der Lectüre, wo man sich ganz in die nobeln Intentionen des Das Possirlichste hierbei ist nur dies, daß unsere sonst so prüden Da ich gerade bei dem Theater stehe, so erlaube man mir, an Von Knorr wurde vor Kurzem ein historisches Trauerspiel „Jaco- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269943"/> <p xml:id="ID_1434" prev="#ID_1433"> bei der Lectüre, wo man sich ganz in die nobeln Intentionen des<lb/> Dichters vertiefen kann, aber es macht sich geltend bet der Darstel¬<lb/> lung, wo der Geist Körper wird. Indeß hat auch die Sonne ihre<lb/> Flecken und doch erleuchtet sie ein ganzes Planetensystem und Millio¬<lb/> nen freuen sich ihres Lichts und ihrer Wärme.</p><lb/> <p xml:id="ID_1435"> Das Possirlichste hierbei ist nur dies, daß unsere sonst so prüden<lb/> und ängstlichen Chrestomathicnschreiber diesen klassischen Monolog,<lb/> worin sich der Schweizerheld über einen beabsichtigten Meuchelmord<lb/> mit sentimentalen Sophismen tröstet, unbesorgt in ihre für Schulen<lb/> bestimmten Sammlungen aufnehmen, und daß unsre Schuldirectoren<lb/> und Schulinspectoren, die jedes gegen sie begangene Attentat auf'S<lb/> strengste ahnden, dieses declamatorische Prachtstück, worin ein ziem¬<lb/> lich grobes Attentat gerechtfertigt wird, den Gymnasiasten zur Uebung<lb/> ihres rhetorischen Talentes empfehlen. So findet der Teufel, dem<lb/> man so gern die Zugänge verstopfte, doch immer wieder ein Loch,<lb/> wo er durchschlüpfen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1436"> Da ich gerade bei dem Theater stehe, so erlaube man mir, an<lb/> dieser Stelle, der Vollständigkeit wegen, das Register der Münchner<lb/> Theaterdichter mit Ergänzungen und Berichtigungen noch einmal auf¬<lb/> zuführen: Zuerst I. von Plötz, der bekannteste und bühnenerfahrenste<lb/> und dabei doch anspruchlos, PH. Berger, Feldmann, F. Löste, der<lb/> ein historisch-romantisches Lustspiel „Angelina" nach einer Novelle von<lb/> Hermann Meinert schrieb, H. Schmidt, Verf. eines „Camoens" (nicht<lb/> Petrarca," wie ich früher gemeldet zu haben glaube), U. von Destou-<lb/> ches, Verf. eines Stückes, „der treue Uslar," August Heigel,<lb/> Ringier, Chr. Knorr, Köberle, Trautmann u. s. f.</p><lb/> <p xml:id="ID_1437" next="#ID_1438"> Von Knorr wurde vor Kurzem ein historisches Trauerspiel „Jaco-<lb/> bäa", von Ringier ein Lustspiel „der Wind hat sich gedreht" auf der<lb/> hiesigen Bühne aufgeführt. Was kümmert uns hier die Kritik, wenn<lb/> las Public.im günstig urtheilt? Wir leben hier als literarische<lb/> Robinsons auf einer ziemlich isolirten Insel und die norddeutsche<lb/> Kritik schlägt nur in einzelnen verlorenen Wellen und Brandungen<lb/> an unser Ufer; die einheimische Kritik aber ist der vielen Klippen<lb/> wegen, welche unsere Insel einfassen, schwer zu befahren, vorzüglich<lb/> wenn der Ruf ertönt: „der Wind hat sich gedreht." Und er hat sich<lb/> gedreht, indem man gegenwärtig gegen Alles, was Kritik heißt oder<lb/> nach Kritik aussieht, noch um Vieles empfindlicher zu sein scheint als</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0528]
bei der Lectüre, wo man sich ganz in die nobeln Intentionen des
Dichters vertiefen kann, aber es macht sich geltend bet der Darstel¬
lung, wo der Geist Körper wird. Indeß hat auch die Sonne ihre
Flecken und doch erleuchtet sie ein ganzes Planetensystem und Millio¬
nen freuen sich ihres Lichts und ihrer Wärme.
Das Possirlichste hierbei ist nur dies, daß unsere sonst so prüden
und ängstlichen Chrestomathicnschreiber diesen klassischen Monolog,
worin sich der Schweizerheld über einen beabsichtigten Meuchelmord
mit sentimentalen Sophismen tröstet, unbesorgt in ihre für Schulen
bestimmten Sammlungen aufnehmen, und daß unsre Schuldirectoren
und Schulinspectoren, die jedes gegen sie begangene Attentat auf'S
strengste ahnden, dieses declamatorische Prachtstück, worin ein ziem¬
lich grobes Attentat gerechtfertigt wird, den Gymnasiasten zur Uebung
ihres rhetorischen Talentes empfehlen. So findet der Teufel, dem
man so gern die Zugänge verstopfte, doch immer wieder ein Loch,
wo er durchschlüpfen kann.
Da ich gerade bei dem Theater stehe, so erlaube man mir, an
dieser Stelle, der Vollständigkeit wegen, das Register der Münchner
Theaterdichter mit Ergänzungen und Berichtigungen noch einmal auf¬
zuführen: Zuerst I. von Plötz, der bekannteste und bühnenerfahrenste
und dabei doch anspruchlos, PH. Berger, Feldmann, F. Löste, der
ein historisch-romantisches Lustspiel „Angelina" nach einer Novelle von
Hermann Meinert schrieb, H. Schmidt, Verf. eines „Camoens" (nicht
Petrarca," wie ich früher gemeldet zu haben glaube), U. von Destou-
ches, Verf. eines Stückes, „der treue Uslar," August Heigel,
Ringier, Chr. Knorr, Köberle, Trautmann u. s. f.
Von Knorr wurde vor Kurzem ein historisches Trauerspiel „Jaco-
bäa", von Ringier ein Lustspiel „der Wind hat sich gedreht" auf der
hiesigen Bühne aufgeführt. Was kümmert uns hier die Kritik, wenn
las Public.im günstig urtheilt? Wir leben hier als literarische
Robinsons auf einer ziemlich isolirten Insel und die norddeutsche
Kritik schlägt nur in einzelnen verlorenen Wellen und Brandungen
an unser Ufer; die einheimische Kritik aber ist der vielen Klippen
wegen, welche unsere Insel einfassen, schwer zu befahren, vorzüglich
wenn der Ruf ertönt: „der Wind hat sich gedreht." Und er hat sich
gedreht, indem man gegenwärtig gegen Alles, was Kritik heißt oder
nach Kritik aussieht, noch um Vieles empfindlicher zu sein scheint als
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