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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Bemerkung auf, daß eigentlich Geßler, wie es auch wohl früher ge¬
schah, um großartig und in seiner eisernen Ruhe zu erscheinen, zu
Roß gespielt werden müsse. Jedes Wort in seiner hoffärtigen Schärfe
ist hierauf berechnet und kann, um den beabsichtigten Eindruck her¬
vorzubringen, nur vom Pferd herab gesprochen werden. Geßler zu
Fuß muß uun allerlei Bewegungen und Gesticulationen erfinden und
den Versen anpassen, die ihn zu einer unruhigen Erscheinung machen
und ihm seine statuarische Größe rauben. Sitzt Geßler zu Pferd
und walzt sich Armgart vor des Pferdes Füße, dann erst erschüttert uns
Geßler's Drohung, daß er sein Pferd über sie hinweggehen lassen werde.
-- Jetzt heißt es: "Odermein Fuß geht über Euch hinweg," wobei Ge߬
ler die entsprechende, aber nichtssagende Bewegung deS Niedertretens
mit dem Fuße macht. Dabei sieht man nun gar keine Gefahr für
Armgart, von Seiten Geßler'ö aber eine bloße Renommage, und der
Eindruck des Moments löst sich in Nichts auf. Schiller's Drama
hat so viele mächtige und ergreifende Scenen und offenbart einen so
gewaltigen Freiheitsdrang, einen solchen historisch bedeutsamen Inhalt,
daß ich mir wohl erklären kann, wie die Menge, die sich dem bloßen
Moment hingibt, Schiller als Dichter und Mensch über Göthe zu
stellen sich gemuthet fühlt. Und doch hat das Srück wieder so viele,
wenn auch liebenswürdige Schwächen! Dahin gehört, außer der
Episode zwischen Nudenz und Bertha, die aus der Haltung des Ge¬
dichts ganz und gar heraus und matt zu Boden fällt, namentlich
Teils berühmter Monolog. Je kunstvoller dieser Monolog gesprochen
wird, desto mehr sühlt man, wie auch schon Börne und Andere em¬
pfunden, das Mißverhältnis? zwischen Teils übriger Naturkraft und
der hier sich geltend machenden kühlen Neflerion. Das hat Schiller
nicht von Shakspeare gelernt. Diese Neflerion ist bloße Künstelei,
die jedes andere Volk als das deutsche herausfinden würde. Zwar
entschlossen, aber noch in voller Wildheit, Wuth, getrieben von der
Furie des Rachegeisteö muß (man fühlt dies bei der Darstellung
besonders) Tel! seine That vollbringen, wenn sie sich vor sich selbst
rechtfertigen will. Ohnehin schwächt es den Eindruck der Katastrophe,
daß man, während Geßler auf der Bühne die Teufeleien seines Hoch¬
muths austobt, genau weiß, Tell lauere ihm hinter dem Hollunder-
strauche auf, nicht wie Mann gegen Mann, sondern wie ein gemei¬
ner seiger Verbrecher aus sicherm Hinterhalt. Alles dies vergißt man


Bemerkung auf, daß eigentlich Geßler, wie es auch wohl früher ge¬
schah, um großartig und in seiner eisernen Ruhe zu erscheinen, zu
Roß gespielt werden müsse. Jedes Wort in seiner hoffärtigen Schärfe
ist hierauf berechnet und kann, um den beabsichtigten Eindruck her¬
vorzubringen, nur vom Pferd herab gesprochen werden. Geßler zu
Fuß muß uun allerlei Bewegungen und Gesticulationen erfinden und
den Versen anpassen, die ihn zu einer unruhigen Erscheinung machen
und ihm seine statuarische Größe rauben. Sitzt Geßler zu Pferd
und walzt sich Armgart vor des Pferdes Füße, dann erst erschüttert uns
Geßler's Drohung, daß er sein Pferd über sie hinweggehen lassen werde.
— Jetzt heißt es: „Odermein Fuß geht über Euch hinweg," wobei Ge߬
ler die entsprechende, aber nichtssagende Bewegung deS Niedertretens
mit dem Fuße macht. Dabei sieht man nun gar keine Gefahr für
Armgart, von Seiten Geßler'ö aber eine bloße Renommage, und der
Eindruck des Moments löst sich in Nichts auf. Schiller's Drama
hat so viele mächtige und ergreifende Scenen und offenbart einen so
gewaltigen Freiheitsdrang, einen solchen historisch bedeutsamen Inhalt,
daß ich mir wohl erklären kann, wie die Menge, die sich dem bloßen
Moment hingibt, Schiller als Dichter und Mensch über Göthe zu
stellen sich gemuthet fühlt. Und doch hat das Srück wieder so viele,
wenn auch liebenswürdige Schwächen! Dahin gehört, außer der
Episode zwischen Nudenz und Bertha, die aus der Haltung des Ge¬
dichts ganz und gar heraus und matt zu Boden fällt, namentlich
Teils berühmter Monolog. Je kunstvoller dieser Monolog gesprochen
wird, desto mehr sühlt man, wie auch schon Börne und Andere em¬
pfunden, das Mißverhältnis? zwischen Teils übriger Naturkraft und
der hier sich geltend machenden kühlen Neflerion. Das hat Schiller
nicht von Shakspeare gelernt. Diese Neflerion ist bloße Künstelei,
die jedes andere Volk als das deutsche herausfinden würde. Zwar
entschlossen, aber noch in voller Wildheit, Wuth, getrieben von der
Furie des Rachegeisteö muß (man fühlt dies bei der Darstellung
besonders) Tel! seine That vollbringen, wenn sie sich vor sich selbst
rechtfertigen will. Ohnehin schwächt es den Eindruck der Katastrophe,
daß man, während Geßler auf der Bühne die Teufeleien seines Hoch¬
muths austobt, genau weiß, Tell lauere ihm hinter dem Hollunder-
strauche auf, nicht wie Mann gegen Mann, sondern wie ein gemei¬
ner seiger Verbrecher aus sicherm Hinterhalt. Alles dies vergißt man


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[0527] Bemerkung auf, daß eigentlich Geßler, wie es auch wohl früher ge¬ schah, um großartig und in seiner eisernen Ruhe zu erscheinen, zu Roß gespielt werden müsse. Jedes Wort in seiner hoffärtigen Schärfe ist hierauf berechnet und kann, um den beabsichtigten Eindruck her¬ vorzubringen, nur vom Pferd herab gesprochen werden. Geßler zu Fuß muß uun allerlei Bewegungen und Gesticulationen erfinden und den Versen anpassen, die ihn zu einer unruhigen Erscheinung machen und ihm seine statuarische Größe rauben. Sitzt Geßler zu Pferd und walzt sich Armgart vor des Pferdes Füße, dann erst erschüttert uns Geßler's Drohung, daß er sein Pferd über sie hinweggehen lassen werde. — Jetzt heißt es: „Odermein Fuß geht über Euch hinweg," wobei Ge߬ ler die entsprechende, aber nichtssagende Bewegung deS Niedertretens mit dem Fuße macht. Dabei sieht man nun gar keine Gefahr für Armgart, von Seiten Geßler'ö aber eine bloße Renommage, und der Eindruck des Moments löst sich in Nichts auf. Schiller's Drama hat so viele mächtige und ergreifende Scenen und offenbart einen so gewaltigen Freiheitsdrang, einen solchen historisch bedeutsamen Inhalt, daß ich mir wohl erklären kann, wie die Menge, die sich dem bloßen Moment hingibt, Schiller als Dichter und Mensch über Göthe zu stellen sich gemuthet fühlt. Und doch hat das Srück wieder so viele, wenn auch liebenswürdige Schwächen! Dahin gehört, außer der Episode zwischen Nudenz und Bertha, die aus der Haltung des Ge¬ dichts ganz und gar heraus und matt zu Boden fällt, namentlich Teils berühmter Monolog. Je kunstvoller dieser Monolog gesprochen wird, desto mehr sühlt man, wie auch schon Börne und Andere em¬ pfunden, das Mißverhältnis? zwischen Teils übriger Naturkraft und der hier sich geltend machenden kühlen Neflerion. Das hat Schiller nicht von Shakspeare gelernt. Diese Neflerion ist bloße Künstelei, die jedes andere Volk als das deutsche herausfinden würde. Zwar entschlossen, aber noch in voller Wildheit, Wuth, getrieben von der Furie des Rachegeisteö muß (man fühlt dies bei der Darstellung besonders) Tel! seine That vollbringen, wenn sie sich vor sich selbst rechtfertigen will. Ohnehin schwächt es den Eindruck der Katastrophe, daß man, während Geßler auf der Bühne die Teufeleien seines Hoch¬ muths austobt, genau weiß, Tell lauere ihm hinter dem Hollunder- strauche auf, nicht wie Mann gegen Mann, sondern wie ein gemei¬ ner seiger Verbrecher aus sicherm Hinterhalt. Alles dies vergißt man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/527>, abgerufen am 23.07.2024.