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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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genswerthe Sentenz eingestreut. Die ernste, schweigende Theilnahme,
womit das Publicum, welches nur nach den Aktschlüssen in lauten
Beifall ausbrach, dem Gange des Stücks folgte, zeugte mehr für
die Aufmerksamkeit, welche man der Komposition und den einzelnen
Sentenzen zollte, als an anderen lärmhafteren Orten der wildeste
Tendenzjubel bewiesen hätte.

Dennoch fragte ich mich, warum der Eindruck des Ganzen über
Nacht halb und halb verwischt war. Einen Grund hiervon glaube
ich darin zu finden, daß die beiden letzten Akte, obschon sie hübsche
Einzelnheiten haben, unruhiger, zerfahrener, minder geschlossen sind,
als der zweite und dritte. Das Stück macht nicht den Eindruck
einer reinen Tragödie. Struensee wird am Schlüsse der Tragödie
durch ein ganzes Rottenfeuer der Schloßwache erschossen. Diese ge¬
waltsame und geräuschvolle Katastrophe paßt nicht zu dem übrigen
gemessenen und ruhigen Gange des Stücks. Solche materiell er¬
schütternde Mittel haben sich unsere großen Tragiker nie erlaubt.
Es ist charakteristisch, daß die Charaktere im Struensee, wie die im
Monaldeschi fast sämmtlich einen mehr oder weniger abenteuerlichen
Charakter tragen. Namentlich drängt sich diese Ähnlichkeit dem auf¬
merksamen Beobachter gegen den Schluß hin auf. Der Dichter zeigt
sich aber gerade in seinen abenteuerlichen Zeichnungen so keck, frisch
und liebenswürdig, daß man es ihm gern vergibt, wenn er darin
manchmal etwas zu viel thut. Auch die französische Art und Weise,
gegen die ich eine individuelle Abneigung zu haben gern bekenne,
steht dem Verfasser des Struensee anmuthig; auch ist sie die einzige,
in welcher sich das bei aller Eleganz flotte und ungenirte We¬
sen Laube's genügen und formell vollenden kann. Warum sollte man,
einer individuellen Antipathie wegen, Jemandem seine Lieblingsnei¬
gung verkümmern wollen? Die Hauptsache bleibt, daß Jeder in dem
ihm zusagenden oder von ihm gewählten Genre mit Eifer und Pflicht
arbeite und in seinem Kreise einen möglichsten Grad von Vollendung
zu erreichen suche. Von Laube kann man allerdings sagen, daß er
eine Fertigkeit und Nundung zeigt, wie sie bei deutschen Bühnendich¬
tern nicht gerade gewöhnlich ist. Laube'S Bernsteinhere war eine
Verlorne Schlacht, aber er hat diese Scharte durch seinen Struensee
wieder ausgewetzt. -- Stücke, welche in der Sphäre liegen, in der sich
Struensee bewegt, lassen sich in München vortrefflich besetzen. Wie


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genswerthe Sentenz eingestreut. Die ernste, schweigende Theilnahme,
womit das Publicum, welches nur nach den Aktschlüssen in lauten
Beifall ausbrach, dem Gange des Stücks folgte, zeugte mehr für
die Aufmerksamkeit, welche man der Komposition und den einzelnen
Sentenzen zollte, als an anderen lärmhafteren Orten der wildeste
Tendenzjubel bewiesen hätte.

Dennoch fragte ich mich, warum der Eindruck des Ganzen über
Nacht halb und halb verwischt war. Einen Grund hiervon glaube
ich darin zu finden, daß die beiden letzten Akte, obschon sie hübsche
Einzelnheiten haben, unruhiger, zerfahrener, minder geschlossen sind,
als der zweite und dritte. Das Stück macht nicht den Eindruck
einer reinen Tragödie. Struensee wird am Schlüsse der Tragödie
durch ein ganzes Rottenfeuer der Schloßwache erschossen. Diese ge¬
waltsame und geräuschvolle Katastrophe paßt nicht zu dem übrigen
gemessenen und ruhigen Gange des Stücks. Solche materiell er¬
schütternde Mittel haben sich unsere großen Tragiker nie erlaubt.
Es ist charakteristisch, daß die Charaktere im Struensee, wie die im
Monaldeschi fast sämmtlich einen mehr oder weniger abenteuerlichen
Charakter tragen. Namentlich drängt sich diese Ähnlichkeit dem auf¬
merksamen Beobachter gegen den Schluß hin auf. Der Dichter zeigt
sich aber gerade in seinen abenteuerlichen Zeichnungen so keck, frisch
und liebenswürdig, daß man es ihm gern vergibt, wenn er darin
manchmal etwas zu viel thut. Auch die französische Art und Weise,
gegen die ich eine individuelle Abneigung zu haben gern bekenne,
steht dem Verfasser des Struensee anmuthig; auch ist sie die einzige,
in welcher sich das bei aller Eleganz flotte und ungenirte We¬
sen Laube's genügen und formell vollenden kann. Warum sollte man,
einer individuellen Antipathie wegen, Jemandem seine Lieblingsnei¬
gung verkümmern wollen? Die Hauptsache bleibt, daß Jeder in dem
ihm zusagenden oder von ihm gewählten Genre mit Eifer und Pflicht
arbeite und in seinem Kreise einen möglichsten Grad von Vollendung
zu erreichen suche. Von Laube kann man allerdings sagen, daß er
eine Fertigkeit und Nundung zeigt, wie sie bei deutschen Bühnendich¬
tern nicht gerade gewöhnlich ist. Laube'S Bernsteinhere war eine
Verlorne Schlacht, aber er hat diese Scharte durch seinen Struensee
wieder ausgewetzt. — Stücke, welche in der Sphäre liegen, in der sich
Struensee bewegt, lassen sich in München vortrefflich besetzen. Wie


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[0525] genswerthe Sentenz eingestreut. Die ernste, schweigende Theilnahme, womit das Publicum, welches nur nach den Aktschlüssen in lauten Beifall ausbrach, dem Gange des Stücks folgte, zeugte mehr für die Aufmerksamkeit, welche man der Komposition und den einzelnen Sentenzen zollte, als an anderen lärmhafteren Orten der wildeste Tendenzjubel bewiesen hätte. Dennoch fragte ich mich, warum der Eindruck des Ganzen über Nacht halb und halb verwischt war. Einen Grund hiervon glaube ich darin zu finden, daß die beiden letzten Akte, obschon sie hübsche Einzelnheiten haben, unruhiger, zerfahrener, minder geschlossen sind, als der zweite und dritte. Das Stück macht nicht den Eindruck einer reinen Tragödie. Struensee wird am Schlüsse der Tragödie durch ein ganzes Rottenfeuer der Schloßwache erschossen. Diese ge¬ waltsame und geräuschvolle Katastrophe paßt nicht zu dem übrigen gemessenen und ruhigen Gange des Stücks. Solche materiell er¬ schütternde Mittel haben sich unsere großen Tragiker nie erlaubt. Es ist charakteristisch, daß die Charaktere im Struensee, wie die im Monaldeschi fast sämmtlich einen mehr oder weniger abenteuerlichen Charakter tragen. Namentlich drängt sich diese Ähnlichkeit dem auf¬ merksamen Beobachter gegen den Schluß hin auf. Der Dichter zeigt sich aber gerade in seinen abenteuerlichen Zeichnungen so keck, frisch und liebenswürdig, daß man es ihm gern vergibt, wenn er darin manchmal etwas zu viel thut. Auch die französische Art und Weise, gegen die ich eine individuelle Abneigung zu haben gern bekenne, steht dem Verfasser des Struensee anmuthig; auch ist sie die einzige, in welcher sich das bei aller Eleganz flotte und ungenirte We¬ sen Laube's genügen und formell vollenden kann. Warum sollte man, einer individuellen Antipathie wegen, Jemandem seine Lieblingsnei¬ gung verkümmern wollen? Die Hauptsache bleibt, daß Jeder in dem ihm zusagenden oder von ihm gewählten Genre mit Eifer und Pflicht arbeite und in seinem Kreise einen möglichsten Grad von Vollendung zu erreichen suche. Von Laube kann man allerdings sagen, daß er eine Fertigkeit und Nundung zeigt, wie sie bei deutschen Bühnendich¬ tern nicht gerade gewöhnlich ist. Laube'S Bernsteinhere war eine Verlorne Schlacht, aber er hat diese Scharte durch seinen Struensee wieder ausgewetzt. — Stücke, welche in der Sphäre liegen, in der sich Struensee bewegt, lassen sich in München vortrefflich besetzen. Wie 66»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/525>, abgerufen am 23.07.2024.