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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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iisdem-Wort, wir bekommen keine (Konstitution. Wie ich das so be¬
stimmt versichern kann? Erstens glaube ich's nicht. Der Glaube ist
etwas Mystisches, darum schweige ich hierüber. Zweitens weiß ich es.
Das Wissen muß sich rechtfertigen; drum hören Sie. Der Breslauer
Justiz-Commissacius Ferd. Fischer hat ein Büchlein geschrieben: Neu-
jahrsgruß betitelt, worin die Nützlichkeit einer Verfassung für Preu¬
ßen in der wohlmeinendsten Weise bewiesen wird. Dies Buch wurde
vor vierzehn Tagen etwa verboten. -- Wenn unsere Regierung das
Volk reif für eine Verfassung hielte, würde sie uns wenigstens drei
Tage vor unserer Mündigkeitserklärung das Wort: Constitution oder:
reichsständische Verfassung in öffentlichen Blattern auszusprechen erlau¬
ben. -- Der Breslauer Magistrat und die Stadtverordneten, sonst so
freisinnig und consequent, haben sich diesmal in Bezug auf den Land¬
tag etwas schildaisch bewiesen. Wie ich so ganz im Vertrauen gehört
habe, wollen sie um Oeffentlichkeit nach allen Richtungen hin petitio-
niren: Oeffentlichkeit der Stadtverordnetenversammlungen, der Land¬
tagsberathungen, Oeffentlichkeit des Gerichtswesens. Damit diese Oef¬
fentlichkeit aber nicht öffentlich werde, haben sie sich ganz im Geheimen
das Wort gegeben, über diese Oeffcntlichkeitsabsichtcn ein tiefes Ge¬
heimniß zu bewahren. Versteht sich! -- Was werden aber diese Herrn
am jüngsten Tage zu verantworten haben! Die anderen Städte Schle¬
siens richten ihre Augen aufBreslau: wir sind geheimnißvoll, folglich
auch die Provinz. Bis jetzt sind nur äußerst wenige Städte mit Pe¬
titionen hervorgetreten: es fehlt der Muth des Verlangens, vorAllem
aber wohl die Zuversicht des Gewährens. Ein Mann macht hiervon
eine Ausnahme, der Fabrikbesitzer F. W. Schlösset in Eichberg bei
Hirschberg. Derselbe erbittet bei dem achten Schlesischen Landtage die
Wiederherstellung richterlicher Unabhängigkeit, d. i. Aufhebung des un¬
seligen Gesetzes vom 29. März 1.844, wonach die preußischen Richter
im Disziplinarwege abgesetzt werden können. Zweitens mit Hinwei¬
sung auf E.Pelz und Haym eine Habeas-Corpus-Akte nach englischen
Grundsätzen; drittens Reform unserer Rechtsverfassung mit Anklage-
Jury und Urtheils-Jury. -- Trotzdem nun eigentlich wenige faktische
Beweise der Theilnahme an dem diesjährigen Landtage vorliegen, ist
das allgemeine Interesse dennoch auf ihn gerichtet. Man verlangt
diesmal von den Repräsentanten eine durchgreifende, energische Oppo¬
sition. Diesmal -- so spricht sich die allgemeine Meinung aus --
müsse es sich zeigen, ob das so fort gehen werde oder nicht. Ich sehe
wahrhaftig keine Gespenster, aber die Stimmung im Volke ist dem
"tirtus c>u<i durchaus nicht befreundet. Das ist ein aus Beobachtung
gegründetes, durch und durch objectives Wort. -- Nachdem der ge¬
birgige Theil Schlesiens vor den Augen der Welt -- kann man
sagen - seine Weber-Tragödie ausgeführt hat, scheint vor Allem Ober-
schlesien eine Rolle spielen zu wollen, die jedoch meist komisch ist, we-


iisdem-Wort, wir bekommen keine (Konstitution. Wie ich das so be¬
stimmt versichern kann? Erstens glaube ich's nicht. Der Glaube ist
etwas Mystisches, darum schweige ich hierüber. Zweitens weiß ich es.
Das Wissen muß sich rechtfertigen; drum hören Sie. Der Breslauer
Justiz-Commissacius Ferd. Fischer hat ein Büchlein geschrieben: Neu-
jahrsgruß betitelt, worin die Nützlichkeit einer Verfassung für Preu¬
ßen in der wohlmeinendsten Weise bewiesen wird. Dies Buch wurde
vor vierzehn Tagen etwa verboten. — Wenn unsere Regierung das
Volk reif für eine Verfassung hielte, würde sie uns wenigstens drei
Tage vor unserer Mündigkeitserklärung das Wort: Constitution oder:
reichsständische Verfassung in öffentlichen Blattern auszusprechen erlau¬
ben. — Der Breslauer Magistrat und die Stadtverordneten, sonst so
freisinnig und consequent, haben sich diesmal in Bezug auf den Land¬
tag etwas schildaisch bewiesen. Wie ich so ganz im Vertrauen gehört
habe, wollen sie um Oeffentlichkeit nach allen Richtungen hin petitio-
niren: Oeffentlichkeit der Stadtverordnetenversammlungen, der Land¬
tagsberathungen, Oeffentlichkeit des Gerichtswesens. Damit diese Oef¬
fentlichkeit aber nicht öffentlich werde, haben sie sich ganz im Geheimen
das Wort gegeben, über diese Oeffcntlichkeitsabsichtcn ein tiefes Ge¬
heimniß zu bewahren. Versteht sich! — Was werden aber diese Herrn
am jüngsten Tage zu verantworten haben! Die anderen Städte Schle¬
siens richten ihre Augen aufBreslau: wir sind geheimnißvoll, folglich
auch die Provinz. Bis jetzt sind nur äußerst wenige Städte mit Pe¬
titionen hervorgetreten: es fehlt der Muth des Verlangens, vorAllem
aber wohl die Zuversicht des Gewährens. Ein Mann macht hiervon
eine Ausnahme, der Fabrikbesitzer F. W. Schlösset in Eichberg bei
Hirschberg. Derselbe erbittet bei dem achten Schlesischen Landtage die
Wiederherstellung richterlicher Unabhängigkeit, d. i. Aufhebung des un¬
seligen Gesetzes vom 29. März 1.844, wonach die preußischen Richter
im Disziplinarwege abgesetzt werden können. Zweitens mit Hinwei¬
sung auf E.Pelz und Haym eine Habeas-Corpus-Akte nach englischen
Grundsätzen; drittens Reform unserer Rechtsverfassung mit Anklage-
Jury und Urtheils-Jury. — Trotzdem nun eigentlich wenige faktische
Beweise der Theilnahme an dem diesjährigen Landtage vorliegen, ist
das allgemeine Interesse dennoch auf ihn gerichtet. Man verlangt
diesmal von den Repräsentanten eine durchgreifende, energische Oppo¬
sition. Diesmal — so spricht sich die allgemeine Meinung aus —
müsse es sich zeigen, ob das so fort gehen werde oder nicht. Ich sehe
wahrhaftig keine Gespenster, aber die Stimmung im Volke ist dem
«tirtus c>u<i durchaus nicht befreundet. Das ist ein aus Beobachtung
gegründetes, durch und durch objectives Wort. — Nachdem der ge¬
birgige Theil Schlesiens vor den Augen der Welt — kann man
sagen - seine Weber-Tragödie ausgeführt hat, scheint vor Allem Ober-
schlesien eine Rolle spielen zu wollen, die jedoch meist komisch ist, we-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/494>, abgerufen am 22.07.2024.