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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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im Stich erscheinen, so würden sie, nach dem Ausspruch eines seinen
Kunstrichters, das für die Composttion sein, was die "Briefe eines
Verstorbenen" für die deutsche Literatur geworden, nämlich der Anfang
einer aristokratischen Tondichtung Nicht als ob nicht schon vordem
fürstliche Notenfedern Beachtenswerthes zu Tage gefördert, allein darin
liegt es nicht, eben so wenig, als Fürst Pückler-Muskau der erste war,
der unter dem hohen Adel Deutschlands ein Buch geschrieben. Seine
Vorgänger schrieben als Gelehrte, als Schriftsteller, die zufällig Fürsten
oder Grafen sind, er aber schrieb, wie nur ein Aristokrat schreiben kann-,
gerade so besitzen die Liedercompositionen des Fürsten Skanderbeg eine
gewisse Grazie und anmuthige Nonchalance, wie man sie als Charak¬
terzug der aristocratischen Lebenskreise kennt. Der Fürst ist sehr reich
und besitzt bedeutende Ländereien in Rußland, wo er sich gewöhnlich
aushält; auch hat er auf einem seiner Güter eine vortreffliche Capelle
eingerichtet, deren Leiter ein Deutscher, Namens Becker aus Leipzig,
ist. Mittelst dieser Capelle läßt der Fürst die schwierigsten neuern Ton¬
dichtungen deutscher und französischer Meister aufführen, wie er denn
trotz seiner skythischer Abgeschlossenheit in allen Bewegungen der musi¬
kalischen Welt vollkommen bewandert scheint. Was er über die rus¬
sischen Musikzustände sagt, verdient Beachtung, weil es aus der un¬
mittelbarsten Anschauung geschöpft ist. Nach seiner Ansicht kann sich
blos aus dem seit Jahrhunderten anschwellenden Melodienschatz russi¬
scher Volkslieder eine recht nationale Musikschule in Rußland b.nden,
während aller italienischer Firlefanz, wie er in Petersburg und Odessa
im Schwunge ist, blos Ohrenkitzel bleibt, der in keinem russischen
Herzen zündet. Selbst die deutsche und französische Musik will er
nur in sofern für Rußland gelten lassen, als sie die technische Aus¬
bildung der volksgemäßen Tonkeime entwickeln helfen. Man sieht,
der Fürst bekennt sich in der Musik zu den Grundsätzen, welche der
Graf Cancrin in der Commercialpolirik aufgestellt und durchgeführt
hat.


II.
A u ö B r e s l a u.

"Neujahrsgruß," aber keine Constiturion. -- Geheime Oeffentlichkeit. --
F. W. Schlosse! und seine Petition, -- Volksstimmung. -- Wit und seine
Bestrebungen. -- Zeitungscnthaltsamkcits-Berein. -- Lätitia. -- Dr. Weide¬
mann. -- Wit's Epistel an Arnoldi. -- Jesuitismus. -- Eine Geheim¬
druckerei. --

Während ich dieses schreibe, stoßen sie in der Stadt auf die Con-
stitution an, auf die nämlich, welche der König morgen, d. i. den
9- Febr., proclamiren soll. Es ist jetzt Sonntag den 9. Febr. neun
Uhr Abends, und ich könnte eigentlich, ohne ein Prophet zu sein, nicht
wissen, was morgen vorgeht; aber ich versichere Ihnen auf Journa-


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im Stich erscheinen, so würden sie, nach dem Ausspruch eines seinen
Kunstrichters, das für die Composttion sein, was die „Briefe eines
Verstorbenen" für die deutsche Literatur geworden, nämlich der Anfang
einer aristokratischen Tondichtung Nicht als ob nicht schon vordem
fürstliche Notenfedern Beachtenswerthes zu Tage gefördert, allein darin
liegt es nicht, eben so wenig, als Fürst Pückler-Muskau der erste war,
der unter dem hohen Adel Deutschlands ein Buch geschrieben. Seine
Vorgänger schrieben als Gelehrte, als Schriftsteller, die zufällig Fürsten
oder Grafen sind, er aber schrieb, wie nur ein Aristokrat schreiben kann-,
gerade so besitzen die Liedercompositionen des Fürsten Skanderbeg eine
gewisse Grazie und anmuthige Nonchalance, wie man sie als Charak¬
terzug der aristocratischen Lebenskreise kennt. Der Fürst ist sehr reich
und besitzt bedeutende Ländereien in Rußland, wo er sich gewöhnlich
aushält; auch hat er auf einem seiner Güter eine vortreffliche Capelle
eingerichtet, deren Leiter ein Deutscher, Namens Becker aus Leipzig,
ist. Mittelst dieser Capelle läßt der Fürst die schwierigsten neuern Ton¬
dichtungen deutscher und französischer Meister aufführen, wie er denn
trotz seiner skythischer Abgeschlossenheit in allen Bewegungen der musi¬
kalischen Welt vollkommen bewandert scheint. Was er über die rus¬
sischen Musikzustände sagt, verdient Beachtung, weil es aus der un¬
mittelbarsten Anschauung geschöpft ist. Nach seiner Ansicht kann sich
blos aus dem seit Jahrhunderten anschwellenden Melodienschatz russi¬
scher Volkslieder eine recht nationale Musikschule in Rußland b.nden,
während aller italienischer Firlefanz, wie er in Petersburg und Odessa
im Schwunge ist, blos Ohrenkitzel bleibt, der in keinem russischen
Herzen zündet. Selbst die deutsche und französische Musik will er
nur in sofern für Rußland gelten lassen, als sie die technische Aus¬
bildung der volksgemäßen Tonkeime entwickeln helfen. Man sieht,
der Fürst bekennt sich in der Musik zu den Grundsätzen, welche der
Graf Cancrin in der Commercialpolirik aufgestellt und durchgeführt
hat.


II.
A u ö B r e s l a u.

„Neujahrsgruß," aber keine Constiturion. — Geheime Oeffentlichkeit. —
F. W. Schlosse! und seine Petition, — Volksstimmung. — Wit und seine
Bestrebungen. — Zeitungscnthaltsamkcits-Berein. — Lätitia. — Dr. Weide¬
mann. — Wit's Epistel an Arnoldi. — Jesuitismus. — Eine Geheim¬
druckerei. —

Während ich dieses schreibe, stoßen sie in der Stadt auf die Con-
stitution an, auf die nämlich, welche der König morgen, d. i. den
9- Febr., proclamiren soll. Es ist jetzt Sonntag den 9. Febr. neun
Uhr Abends, und ich könnte eigentlich, ohne ein Prophet zu sein, nicht
wissen, was morgen vorgeht; aber ich versichere Ihnen auf Journa-


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[0493] im Stich erscheinen, so würden sie, nach dem Ausspruch eines seinen Kunstrichters, das für die Composttion sein, was die „Briefe eines Verstorbenen" für die deutsche Literatur geworden, nämlich der Anfang einer aristokratischen Tondichtung Nicht als ob nicht schon vordem fürstliche Notenfedern Beachtenswerthes zu Tage gefördert, allein darin liegt es nicht, eben so wenig, als Fürst Pückler-Muskau der erste war, der unter dem hohen Adel Deutschlands ein Buch geschrieben. Seine Vorgänger schrieben als Gelehrte, als Schriftsteller, die zufällig Fürsten oder Grafen sind, er aber schrieb, wie nur ein Aristokrat schreiben kann-, gerade so besitzen die Liedercompositionen des Fürsten Skanderbeg eine gewisse Grazie und anmuthige Nonchalance, wie man sie als Charak¬ terzug der aristocratischen Lebenskreise kennt. Der Fürst ist sehr reich und besitzt bedeutende Ländereien in Rußland, wo er sich gewöhnlich aushält; auch hat er auf einem seiner Güter eine vortreffliche Capelle eingerichtet, deren Leiter ein Deutscher, Namens Becker aus Leipzig, ist. Mittelst dieser Capelle läßt der Fürst die schwierigsten neuern Ton¬ dichtungen deutscher und französischer Meister aufführen, wie er denn trotz seiner skythischer Abgeschlossenheit in allen Bewegungen der musi¬ kalischen Welt vollkommen bewandert scheint. Was er über die rus¬ sischen Musikzustände sagt, verdient Beachtung, weil es aus der un¬ mittelbarsten Anschauung geschöpft ist. Nach seiner Ansicht kann sich blos aus dem seit Jahrhunderten anschwellenden Melodienschatz russi¬ scher Volkslieder eine recht nationale Musikschule in Rußland b.nden, während aller italienischer Firlefanz, wie er in Petersburg und Odessa im Schwunge ist, blos Ohrenkitzel bleibt, der in keinem russischen Herzen zündet. Selbst die deutsche und französische Musik will er nur in sofern für Rußland gelten lassen, als sie die technische Aus¬ bildung der volksgemäßen Tonkeime entwickeln helfen. Man sieht, der Fürst bekennt sich in der Musik zu den Grundsätzen, welche der Graf Cancrin in der Commercialpolirik aufgestellt und durchgeführt hat. II. A u ö B r e s l a u. „Neujahrsgruß," aber keine Constiturion. — Geheime Oeffentlichkeit. — F. W. Schlosse! und seine Petition, — Volksstimmung. — Wit und seine Bestrebungen. — Zeitungscnthaltsamkcits-Berein. — Lätitia. — Dr. Weide¬ mann. — Wit's Epistel an Arnoldi. — Jesuitismus. — Eine Geheim¬ druckerei. — Während ich dieses schreibe, stoßen sie in der Stadt auf die Con- stitution an, auf die nämlich, welche der König morgen, d. i. den 9- Febr., proclamiren soll. Es ist jetzt Sonntag den 9. Febr. neun Uhr Abends, und ich könnte eigentlich, ohne ein Prophet zu sein, nicht wissen, was morgen vorgeht; aber ich versichere Ihnen auf Journa- 62»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/493>, abgerufen am 22.07.2024.