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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nicht die Kunst, aus bloßen Journalisten die Thiers und die Gui-
zots zu schaffen, bei uns ist Zunftfreiheit im Politisiren und der
Deutsche kommt, geht, reist, träumt und schreibt ein Buch ohne irgend
eine politische Mission. Bücher schreibt, sagt Salomon Heine, wer
nichts Besseres zu thun hat, -- vor solchen Büchern hat die unga¬
rische Presse nicht zu erschrecken.

In Wahrheit aber verhält sich die Sache so: Bei Hamburg
an der Donau hören wirklich die schwarzgelben Barrieren auf und der
Reisende schwimmt mit dem befreiten Gedankenrößlein den Strom
hinab einem Lande entgegen, wohin die Riesenspinne: Polizei mit
ihren hundert Füßen nicht mehr reicht. Mit eigenen Empfindungen
betritt er diesen Boden der Freiheit. Ich setze voraus, daß er zu
Dampfschiff anlangt. Auf dem Landungsplätze zu Preßburg steht
eine hohe tricolor gefärbte Stange, an deren Spitze das Wappen
Ungarns in alle Lüfte flattert; ein schelmischer Wind dreht vielleicht
das Stück Zeug gerade nach der Seite hin, woher er kommt', also
nach Wien gleichsam eine flatternde Herausforderung. Erste Salve
seines Enthusiasmus! Von da an fallen die Salven immer seltener
und in längeren Pausen. Endlich hören sie ganz auf. Er ist nüch¬
tern geworden; er hat dieses Gemisch von Freiheiten kennen gelernt,
welches man: ungarische Freiheit nennt. Wenn aber ein Deutscher
erst nüchtern geworden, so ist er es recht. In diesem Zustande des Katzen¬
jammers geberdet er sich wie ein Kind, dem man sein Spielzeug ge¬
nommen.

Wenn die ungarische politische Presse wirklich von dem heiligen
Ernste durchweht ist, der allen ihren Kämpfen etwas Religiös-Fana¬
tisches verleiht, so wird sie den Donquirotismus gegen die deutsche
Presse bald ablegen. Sie wird einsehen lernen, daß sie zu Deutsch¬
land halten muß, -- ich glaube nicht durch einen Anschluß an den
Zollverein oder durch die Aufhebung des Schutzvereines, aber durch
Entgegenkommen und Verständigung, durch das Wegwerfen von
Küraß und Harnisch, vor allem durch Aufklärung ihrer Zustände in
einem weniger gereizten Tone. Immerhin möge der Schutzverein
die deutschen Fabrikate ausschließen, ein Ding wird doch noch lange
sein Monopol in Ungarn behaupten -- deutscher Geist und deutsches
Leopold Kompert. Wissen.




nicht die Kunst, aus bloßen Journalisten die Thiers und die Gui-
zots zu schaffen, bei uns ist Zunftfreiheit im Politisiren und der
Deutsche kommt, geht, reist, träumt und schreibt ein Buch ohne irgend
eine politische Mission. Bücher schreibt, sagt Salomon Heine, wer
nichts Besseres zu thun hat, — vor solchen Büchern hat die unga¬
rische Presse nicht zu erschrecken.

In Wahrheit aber verhält sich die Sache so: Bei Hamburg
an der Donau hören wirklich die schwarzgelben Barrieren auf und der
Reisende schwimmt mit dem befreiten Gedankenrößlein den Strom
hinab einem Lande entgegen, wohin die Riesenspinne: Polizei mit
ihren hundert Füßen nicht mehr reicht. Mit eigenen Empfindungen
betritt er diesen Boden der Freiheit. Ich setze voraus, daß er zu
Dampfschiff anlangt. Auf dem Landungsplätze zu Preßburg steht
eine hohe tricolor gefärbte Stange, an deren Spitze das Wappen
Ungarns in alle Lüfte flattert; ein schelmischer Wind dreht vielleicht
das Stück Zeug gerade nach der Seite hin, woher er kommt', also
nach Wien gleichsam eine flatternde Herausforderung. Erste Salve
seines Enthusiasmus! Von da an fallen die Salven immer seltener
und in längeren Pausen. Endlich hören sie ganz auf. Er ist nüch¬
tern geworden; er hat dieses Gemisch von Freiheiten kennen gelernt,
welches man: ungarische Freiheit nennt. Wenn aber ein Deutscher
erst nüchtern geworden, so ist er es recht. In diesem Zustande des Katzen¬
jammers geberdet er sich wie ein Kind, dem man sein Spielzeug ge¬
nommen.

Wenn die ungarische politische Presse wirklich von dem heiligen
Ernste durchweht ist, der allen ihren Kämpfen etwas Religiös-Fana¬
tisches verleiht, so wird sie den Donquirotismus gegen die deutsche
Presse bald ablegen. Sie wird einsehen lernen, daß sie zu Deutsch¬
land halten muß, — ich glaube nicht durch einen Anschluß an den
Zollverein oder durch die Aufhebung des Schutzvereines, aber durch
Entgegenkommen und Verständigung, durch das Wegwerfen von
Küraß und Harnisch, vor allem durch Aufklärung ihrer Zustände in
einem weniger gereizten Tone. Immerhin möge der Schutzverein
die deutschen Fabrikate ausschließen, ein Ding wird doch noch lange
sein Monopol in Ungarn behaupten — deutscher Geist und deutsches
Leopold Kompert. Wissen.




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[0484] nicht die Kunst, aus bloßen Journalisten die Thiers und die Gui- zots zu schaffen, bei uns ist Zunftfreiheit im Politisiren und der Deutsche kommt, geht, reist, träumt und schreibt ein Buch ohne irgend eine politische Mission. Bücher schreibt, sagt Salomon Heine, wer nichts Besseres zu thun hat, — vor solchen Büchern hat die unga¬ rische Presse nicht zu erschrecken. In Wahrheit aber verhält sich die Sache so: Bei Hamburg an der Donau hören wirklich die schwarzgelben Barrieren auf und der Reisende schwimmt mit dem befreiten Gedankenrößlein den Strom hinab einem Lande entgegen, wohin die Riesenspinne: Polizei mit ihren hundert Füßen nicht mehr reicht. Mit eigenen Empfindungen betritt er diesen Boden der Freiheit. Ich setze voraus, daß er zu Dampfschiff anlangt. Auf dem Landungsplätze zu Preßburg steht eine hohe tricolor gefärbte Stange, an deren Spitze das Wappen Ungarns in alle Lüfte flattert; ein schelmischer Wind dreht vielleicht das Stück Zeug gerade nach der Seite hin, woher er kommt', also nach Wien gleichsam eine flatternde Herausforderung. Erste Salve seines Enthusiasmus! Von da an fallen die Salven immer seltener und in längeren Pausen. Endlich hören sie ganz auf. Er ist nüch¬ tern geworden; er hat dieses Gemisch von Freiheiten kennen gelernt, welches man: ungarische Freiheit nennt. Wenn aber ein Deutscher erst nüchtern geworden, so ist er es recht. In diesem Zustande des Katzen¬ jammers geberdet er sich wie ein Kind, dem man sein Spielzeug ge¬ nommen. Wenn die ungarische politische Presse wirklich von dem heiligen Ernste durchweht ist, der allen ihren Kämpfen etwas Religiös-Fana¬ tisches verleiht, so wird sie den Donquirotismus gegen die deutsche Presse bald ablegen. Sie wird einsehen lernen, daß sie zu Deutsch¬ land halten muß, — ich glaube nicht durch einen Anschluß an den Zollverein oder durch die Aufhebung des Schutzvereines, aber durch Entgegenkommen und Verständigung, durch das Wegwerfen von Küraß und Harnisch, vor allem durch Aufklärung ihrer Zustände in einem weniger gereizten Tone. Immerhin möge der Schutzverein die deutschen Fabrikate ausschließen, ein Ding wird doch noch lange sein Monopol in Ungarn behaupten — deutscher Geist und deutsches Leopold Kompert. Wissen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/484>, abgerufen am 22.07.2024.