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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Welchen Ton wird die magyarische Presse anstimmen, wenn ihr
einst wirkliche und größere Gefahren drohen sollten, da sse jetzt jede
Nummer der Allgemeinen Zeitung wie ein Espenblatt zittern macht,
-- vor Zorn! Und doch ist die Allgemeine nur eine Erweiterung
des Kampfterrains, das die streitenden Parteien aus Ungarn nach
dem Mittelpunkte Deutschlands verlegt haben. Hier sind die betref¬
fenden Artikel mit Sachkenntniß und meist von einheimischen Federn
geschrieben. Die Augsburger Allgemeine nimmt außerdem nicht blos
Angriffe auf die Oppositionspartei, sondern auch Erwiederungen und
Vertheidigungen derselben auf, wie die Artikel von Pulszky, Lucacz
u. A. beweisen. Dr. Wildner in Wien hat für sein Prinzip ge¬
kämpft, Kossuth für das von ihm gewählte und als trefflich aner¬
kannte, aber es stand dem letzteren gar nicht zu, dem Wiener Pro¬
fessor seine Ansichten in den wildestenundüberschwänglichstenAusdrücken
aufdringen zu wollen. ES kommt nicht darauf an, wer die vollkörnigsten
Phrasen in den Mund nimmt, sondern wer im Rechte ist. Dr. Wild¬
ner hat nicht Recht; aber daß seine Aufsätze eine absichtliche Ent¬
stellung der Thatsachen oder die krasseste Ignoranz der ungarischen
Zustände zur Schau getragen hätten, wie sein Gegner uns einreden
wollte, davon kann nicht die Rede sein -- Mit größerem Recht
entrüsten sich die Magyaren über die Deutsche Allgemeine Zeitung,
deren Referenten "aus Wien" oder "von der ungarischen Grenze" oft
sehr schlecht berichtet sind oder gar unter dem Anschein, für Deutsch¬
land zu eifern, dem panslavischen Interesse dienen, mit Hohn und
Gehässigkeit von "mongolischer" Wirthschaft reden und die parlamen¬
tarischen Kämpfe Ungarns gern als pure Anarchie darstellen möchten. --
Am bitterste" und ungerechtesten wird über jene Deutschen selbst ge¬
sprochen, die, obgleich hier Fremdlinge, sich ein Wort über Ungarn
in ausländischen Zeitungen erlauben. Diese Schreiber, heißt es dann,
kommen in unser Land, dessen Beziehungen doppelter Art, zu sich
selbst und zu Oesterreich, sie nicht kennen, und wollen da gleich mit-
und absprechen. Das ungarische Constitutionswesen mit allen
seinen Extremen und Contrasten ist ein so labyrinthisches Gewirr,/i>aß
es schwerlich ein Idealist von einem deutschen Literaten entwirren
wird. Nun kommen sie hierher; bei Hamburg an der Donau hören
die schwarzgelben Schranken und der Teufelsspuk der österreichischen
Polizei auf. Mit Entzücken begrüßen sie das Land der Freiheit,


Welchen Ton wird die magyarische Presse anstimmen, wenn ihr
einst wirkliche und größere Gefahren drohen sollten, da sse jetzt jede
Nummer der Allgemeinen Zeitung wie ein Espenblatt zittern macht,
— vor Zorn! Und doch ist die Allgemeine nur eine Erweiterung
des Kampfterrains, das die streitenden Parteien aus Ungarn nach
dem Mittelpunkte Deutschlands verlegt haben. Hier sind die betref¬
fenden Artikel mit Sachkenntniß und meist von einheimischen Federn
geschrieben. Die Augsburger Allgemeine nimmt außerdem nicht blos
Angriffe auf die Oppositionspartei, sondern auch Erwiederungen und
Vertheidigungen derselben auf, wie die Artikel von Pulszky, Lucacz
u. A. beweisen. Dr. Wildner in Wien hat für sein Prinzip ge¬
kämpft, Kossuth für das von ihm gewählte und als trefflich aner¬
kannte, aber es stand dem letzteren gar nicht zu, dem Wiener Pro¬
fessor seine Ansichten in den wildestenundüberschwänglichstenAusdrücken
aufdringen zu wollen. ES kommt nicht darauf an, wer die vollkörnigsten
Phrasen in den Mund nimmt, sondern wer im Rechte ist. Dr. Wild¬
ner hat nicht Recht; aber daß seine Aufsätze eine absichtliche Ent¬
stellung der Thatsachen oder die krasseste Ignoranz der ungarischen
Zustände zur Schau getragen hätten, wie sein Gegner uns einreden
wollte, davon kann nicht die Rede sein — Mit größerem Recht
entrüsten sich die Magyaren über die Deutsche Allgemeine Zeitung,
deren Referenten „aus Wien" oder „von der ungarischen Grenze" oft
sehr schlecht berichtet sind oder gar unter dem Anschein, für Deutsch¬
land zu eifern, dem panslavischen Interesse dienen, mit Hohn und
Gehässigkeit von „mongolischer" Wirthschaft reden und die parlamen¬
tarischen Kämpfe Ungarns gern als pure Anarchie darstellen möchten. —
Am bitterste» und ungerechtesten wird über jene Deutschen selbst ge¬
sprochen, die, obgleich hier Fremdlinge, sich ein Wort über Ungarn
in ausländischen Zeitungen erlauben. Diese Schreiber, heißt es dann,
kommen in unser Land, dessen Beziehungen doppelter Art, zu sich
selbst und zu Oesterreich, sie nicht kennen, und wollen da gleich mit-
und absprechen. Das ungarische Constitutionswesen mit allen
seinen Extremen und Contrasten ist ein so labyrinthisches Gewirr,/i>aß
es schwerlich ein Idealist von einem deutschen Literaten entwirren
wird. Nun kommen sie hierher; bei Hamburg an der Donau hören
die schwarzgelben Schranken und der Teufelsspuk der österreichischen
Polizei auf. Mit Entzücken begrüßen sie das Land der Freiheit,


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[0482] Welchen Ton wird die magyarische Presse anstimmen, wenn ihr einst wirkliche und größere Gefahren drohen sollten, da sse jetzt jede Nummer der Allgemeinen Zeitung wie ein Espenblatt zittern macht, — vor Zorn! Und doch ist die Allgemeine nur eine Erweiterung des Kampfterrains, das die streitenden Parteien aus Ungarn nach dem Mittelpunkte Deutschlands verlegt haben. Hier sind die betref¬ fenden Artikel mit Sachkenntniß und meist von einheimischen Federn geschrieben. Die Augsburger Allgemeine nimmt außerdem nicht blos Angriffe auf die Oppositionspartei, sondern auch Erwiederungen und Vertheidigungen derselben auf, wie die Artikel von Pulszky, Lucacz u. A. beweisen. Dr. Wildner in Wien hat für sein Prinzip ge¬ kämpft, Kossuth für das von ihm gewählte und als trefflich aner¬ kannte, aber es stand dem letzteren gar nicht zu, dem Wiener Pro¬ fessor seine Ansichten in den wildestenundüberschwänglichstenAusdrücken aufdringen zu wollen. ES kommt nicht darauf an, wer die vollkörnigsten Phrasen in den Mund nimmt, sondern wer im Rechte ist. Dr. Wild¬ ner hat nicht Recht; aber daß seine Aufsätze eine absichtliche Ent¬ stellung der Thatsachen oder die krasseste Ignoranz der ungarischen Zustände zur Schau getragen hätten, wie sein Gegner uns einreden wollte, davon kann nicht die Rede sein — Mit größerem Recht entrüsten sich die Magyaren über die Deutsche Allgemeine Zeitung, deren Referenten „aus Wien" oder „von der ungarischen Grenze" oft sehr schlecht berichtet sind oder gar unter dem Anschein, für Deutsch¬ land zu eifern, dem panslavischen Interesse dienen, mit Hohn und Gehässigkeit von „mongolischer" Wirthschaft reden und die parlamen¬ tarischen Kämpfe Ungarns gern als pure Anarchie darstellen möchten. — Am bitterste» und ungerechtesten wird über jene Deutschen selbst ge¬ sprochen, die, obgleich hier Fremdlinge, sich ein Wort über Ungarn in ausländischen Zeitungen erlauben. Diese Schreiber, heißt es dann, kommen in unser Land, dessen Beziehungen doppelter Art, zu sich selbst und zu Oesterreich, sie nicht kennen, und wollen da gleich mit- und absprechen. Das ungarische Constitutionswesen mit allen seinen Extremen und Contrasten ist ein so labyrinthisches Gewirr,/i>aß es schwerlich ein Idealist von einem deutschen Literaten entwirren wird. Nun kommen sie hierher; bei Hamburg an der Donau hören die schwarzgelben Schranken und der Teufelsspuk der österreichischen Polizei auf. Mit Entzücken begrüßen sie das Land der Freiheit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/482>, abgerufen am 23.07.2024.