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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Da erzählte er von den Stürmen, wie sie diese nördlichste Spitze des
kurischen Landes so häufig umtosen. Und wie dann draußen auf
den Leuchtthürmen die Wachen verdoppelt würden, damit man ja kein
Schiff übersehe, das in Gefahr schwebt. Dann sprach er wieder
davon, wie das Klima dieser Landspitze sich seit zwanzig Jahren ge¬
ändert und wie es immer unbeständiger geworden, wenn auch nicht
kälter. Aber dennoch sei'S immerhin so kalt, daß er die Paar Obst¬
bäume seines Gartens jahrelang mit Decken umwickeln müsse, ehe er
sie des Sommers frei stehen lassen könne und wie er sie dennoch
immer im Winter mit Kisten umbaue und wie sie trotzdem nur we¬
nige Früchte brächten, welche erst im Stroh der fortwährend geheizten
Stube zur vollen Reife gedeihen konnten. Denn im Sommer,
sagte er, läßt das Meer keine Wärme länger als zwei bis drei Tage
hier ausdauern; dafür läßt's aber im Winter hier auch die härtesten
Frostgrade des übrigen Landes nicht gedeihen. Ach, das Meer ist
ein guter Nachbar, meine Herrn, und man liebt's immer mehr, je
länger man'S kennt! Selbst wenn sie in stürmischen Nächten herun¬
terkommen vom Leuchtthurm und die Nachricht bringen, daß ein Schiff
in Gefahr scheine und ich die Strandbaucrn zusammenrufe und wir
die Rettungsboote flott machen, -- selbst dann hab ich's lieb. Denn
wenn die Nothflagge aufgehißt wird und die Signalschüsse klingen,
und ich vom Strand abstoßen will und die Wellen mich immer wie¬
der ein'ö Ufer zurückwerfen, denke ich: Dein alter Nachbar will Dich
bewahren, daß Du nichr dem Sturm in die Hände geräthst. Ja
das Meer ist gut, die Wellen tragen und heben uns -- aber der
Sturm ist ein wilder Gesell. Er will Tod und Verderben. Der
war auch damals an dem Vorfalle Schuld und das Meer hat uns
damals gerettet."

Da war nun wieder "der Vorfall, das wichtigste Ereigniß im
Leben jenes Mannes, die Gefahr und die Romantik, von deren Er¬
innerungen sein Alter zehrte. Darum drangen wir jetzt auf Erzäh¬
lung dieses "Vorfalles." Und mit vielen einzelnen Schilderungen
ausgeschmückt, gab er davon folgende Nachricht.

Wie erwähnt, muß der Baleninspector in allem Wetter aufs
Meer, wenn die Schiffe um Hilfe rufen; er leitet die Rettung der
Mannschaft und die Bergung der Ladung. Freilich ist er bei letzterer
gleichzeitig Erecutor des härtesten Strandrechteö. Denn ein volles


Greiizbotcn I""S. I. W

Da erzählte er von den Stürmen, wie sie diese nördlichste Spitze des
kurischen Landes so häufig umtosen. Und wie dann draußen auf
den Leuchtthürmen die Wachen verdoppelt würden, damit man ja kein
Schiff übersehe, das in Gefahr schwebt. Dann sprach er wieder
davon, wie das Klima dieser Landspitze sich seit zwanzig Jahren ge¬
ändert und wie es immer unbeständiger geworden, wenn auch nicht
kälter. Aber dennoch sei'S immerhin so kalt, daß er die Paar Obst¬
bäume seines Gartens jahrelang mit Decken umwickeln müsse, ehe er
sie des Sommers frei stehen lassen könne und wie er sie dennoch
immer im Winter mit Kisten umbaue und wie sie trotzdem nur we¬
nige Früchte brächten, welche erst im Stroh der fortwährend geheizten
Stube zur vollen Reife gedeihen konnten. Denn im Sommer,
sagte er, läßt das Meer keine Wärme länger als zwei bis drei Tage
hier ausdauern; dafür läßt's aber im Winter hier auch die härtesten
Frostgrade des übrigen Landes nicht gedeihen. Ach, das Meer ist
ein guter Nachbar, meine Herrn, und man liebt's immer mehr, je
länger man'S kennt! Selbst wenn sie in stürmischen Nächten herun¬
terkommen vom Leuchtthurm und die Nachricht bringen, daß ein Schiff
in Gefahr scheine und ich die Strandbaucrn zusammenrufe und wir
die Rettungsboote flott machen, — selbst dann hab ich's lieb. Denn
wenn die Nothflagge aufgehißt wird und die Signalschüsse klingen,
und ich vom Strand abstoßen will und die Wellen mich immer wie¬
der ein'ö Ufer zurückwerfen, denke ich: Dein alter Nachbar will Dich
bewahren, daß Du nichr dem Sturm in die Hände geräthst. Ja
das Meer ist gut, die Wellen tragen und heben uns — aber der
Sturm ist ein wilder Gesell. Er will Tod und Verderben. Der
war auch damals an dem Vorfalle Schuld und das Meer hat uns
damals gerettet."

Da war nun wieder „der Vorfall, das wichtigste Ereigniß im
Leben jenes Mannes, die Gefahr und die Romantik, von deren Er¬
innerungen sein Alter zehrte. Darum drangen wir jetzt auf Erzäh¬
lung dieses „Vorfalles." Und mit vielen einzelnen Schilderungen
ausgeschmückt, gab er davon folgende Nachricht.

Wie erwähnt, muß der Baleninspector in allem Wetter aufs
Meer, wenn die Schiffe um Hilfe rufen; er leitet die Rettung der
Mannschaft und die Bergung der Ladung. Freilich ist er bei letzterer
gleichzeitig Erecutor des härtesten Strandrechteö. Denn ein volles


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[0475] Da erzählte er von den Stürmen, wie sie diese nördlichste Spitze des kurischen Landes so häufig umtosen. Und wie dann draußen auf den Leuchtthürmen die Wachen verdoppelt würden, damit man ja kein Schiff übersehe, das in Gefahr schwebt. Dann sprach er wieder davon, wie das Klima dieser Landspitze sich seit zwanzig Jahren ge¬ ändert und wie es immer unbeständiger geworden, wenn auch nicht kälter. Aber dennoch sei'S immerhin so kalt, daß er die Paar Obst¬ bäume seines Gartens jahrelang mit Decken umwickeln müsse, ehe er sie des Sommers frei stehen lassen könne und wie er sie dennoch immer im Winter mit Kisten umbaue und wie sie trotzdem nur we¬ nige Früchte brächten, welche erst im Stroh der fortwährend geheizten Stube zur vollen Reife gedeihen konnten. Denn im Sommer, sagte er, läßt das Meer keine Wärme länger als zwei bis drei Tage hier ausdauern; dafür läßt's aber im Winter hier auch die härtesten Frostgrade des übrigen Landes nicht gedeihen. Ach, das Meer ist ein guter Nachbar, meine Herrn, und man liebt's immer mehr, je länger man'S kennt! Selbst wenn sie in stürmischen Nächten herun¬ terkommen vom Leuchtthurm und die Nachricht bringen, daß ein Schiff in Gefahr scheine und ich die Strandbaucrn zusammenrufe und wir die Rettungsboote flott machen, — selbst dann hab ich's lieb. Denn wenn die Nothflagge aufgehißt wird und die Signalschüsse klingen, und ich vom Strand abstoßen will und die Wellen mich immer wie¬ der ein'ö Ufer zurückwerfen, denke ich: Dein alter Nachbar will Dich bewahren, daß Du nichr dem Sturm in die Hände geräthst. Ja das Meer ist gut, die Wellen tragen und heben uns — aber der Sturm ist ein wilder Gesell. Er will Tod und Verderben. Der war auch damals an dem Vorfalle Schuld und das Meer hat uns damals gerettet." Da war nun wieder „der Vorfall, das wichtigste Ereigniß im Leben jenes Mannes, die Gefahr und die Romantik, von deren Er¬ innerungen sein Alter zehrte. Darum drangen wir jetzt auf Erzäh¬ lung dieses „Vorfalles." Und mit vielen einzelnen Schilderungen ausgeschmückt, gab er davon folgende Nachricht. Wie erwähnt, muß der Baleninspector in allem Wetter aufs Meer, wenn die Schiffe um Hilfe rufen; er leitet die Rettung der Mannschaft und die Bergung der Ladung. Freilich ist er bei letzterer gleichzeitig Erecutor des härtesten Strandrechteö. Denn ein volles Greiizbotcn I««S. I. W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/475>, abgerufen am 23.07.2024.