Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

diesem Curs bringt sicheres Verderben: denn zu südlich steuernd, stran¬
det das Schiff auf den Sandbänken, welche Domesnäs heimtückisch
eine Meile weit unter den Wellen fortschiebt, und zu nördlich fahrend,
zersplittert's an den überflutheten Felsklippen von Oesel. -- Und
das geschieht nicht selten, erzählte später der Inspektor. In den
zweiundzwanzig Jahren, daß ich hier sitze, strandeten in meinem Be¬
reiche an dreißig amerikanische, englische und französische Schiffe.
Das kommt freilich daher, weil die Engländer und Amerikaner nie¬
mals nüchtern sind und die Franzosen zu leichtsinnig. Denn sonst
wäre mir's unerklärlich, wie's in derselben langen Reihe von Jahren
nur zwei deutschen Schiffen eben so ergehen konnte -- und diese
führten ungefähr eben solche Kapitäne. --

Unterdessen hatten wir den höhern Leuchtthurm erstiegen und
standen in der Laterne. Sie hat ein stehendes Feuer, d. h. das
Licht ihrer concentrisch gestellten, argandischen Lampen strahlt ohne
Unterbrechung gleichförmig nach allen Seiten aus, selbst über die
Landseite wieder hinaus in das Meer. Aber die Laterne leuchtet
nicht Jahr aus, Jahr ein, sondern ruht vom Ende des Mai bis
zum Anfange des August. Früher kannte man auf diesen ur¬
alten beiden Pharen nicht die Lampen mit übersilberten Reflex
loren, mit der stets gleichmäßigen Flamme und es eristirte Nichts
von all dem künstlichen Leuchtthurmmechanismus der Gegenwart.
Anstatt der Laterne nahm den Gipfel beider ein ungeheures eisernes
Becken ein und in dem Becken brannten machender die Fichtenstämme
des Waldes in stockwerkhoher Flamme frei in die Nacht hinaus.
Aber freilich verlöschte dann auch Sturm und Gußregen dieselben
oder hüllte sie doch in undurchdringlichen Rauch eben in den gefähr¬
lichsten Nächten. Dies ist noch nicht volle hundert Jahre vorüber
und bestände wohl jetzt noch, wenn nicht Unthaten geschehen wären,
welche Veränderungen und Verbesserungen hervorriefen. -- Nordwärts
von Domesnäs und Oesel nämlich, am Eingange des finnischen
Meerbusens, liegt Dagö. Ein Herr von Sternberg wohnte dort.
In solchen stürmischen Nächten, wo die Feuer von Domesnäs un¬
sichtbar wurden, lagerte er sich mit Helfershelfern an die südlichen
Ufer seiner Insel und entzündete zwei Feuer auf Klippen mitten in
den Wellen, mitten im unfahrbarstcn Wasser. Dorthin steuerten dann
oftmals die Schiffe und dort strandeten oder zerschellten sie. Hörte


diesem Curs bringt sicheres Verderben: denn zu südlich steuernd, stran¬
det das Schiff auf den Sandbänken, welche Domesnäs heimtückisch
eine Meile weit unter den Wellen fortschiebt, und zu nördlich fahrend,
zersplittert's an den überflutheten Felsklippen von Oesel. — Und
das geschieht nicht selten, erzählte später der Inspektor. In den
zweiundzwanzig Jahren, daß ich hier sitze, strandeten in meinem Be¬
reiche an dreißig amerikanische, englische und französische Schiffe.
Das kommt freilich daher, weil die Engländer und Amerikaner nie¬
mals nüchtern sind und die Franzosen zu leichtsinnig. Denn sonst
wäre mir's unerklärlich, wie's in derselben langen Reihe von Jahren
nur zwei deutschen Schiffen eben so ergehen konnte — und diese
führten ungefähr eben solche Kapitäne. —

Unterdessen hatten wir den höhern Leuchtthurm erstiegen und
standen in der Laterne. Sie hat ein stehendes Feuer, d. h. das
Licht ihrer concentrisch gestellten, argandischen Lampen strahlt ohne
Unterbrechung gleichförmig nach allen Seiten aus, selbst über die
Landseite wieder hinaus in das Meer. Aber die Laterne leuchtet
nicht Jahr aus, Jahr ein, sondern ruht vom Ende des Mai bis
zum Anfange des August. Früher kannte man auf diesen ur¬
alten beiden Pharen nicht die Lampen mit übersilberten Reflex
loren, mit der stets gleichmäßigen Flamme und es eristirte Nichts
von all dem künstlichen Leuchtthurmmechanismus der Gegenwart.
Anstatt der Laterne nahm den Gipfel beider ein ungeheures eisernes
Becken ein und in dem Becken brannten machender die Fichtenstämme
des Waldes in stockwerkhoher Flamme frei in die Nacht hinaus.
Aber freilich verlöschte dann auch Sturm und Gußregen dieselben
oder hüllte sie doch in undurchdringlichen Rauch eben in den gefähr¬
lichsten Nächten. Dies ist noch nicht volle hundert Jahre vorüber
und bestände wohl jetzt noch, wenn nicht Unthaten geschehen wären,
welche Veränderungen und Verbesserungen hervorriefen. — Nordwärts
von Domesnäs und Oesel nämlich, am Eingange des finnischen
Meerbusens, liegt Dagö. Ein Herr von Sternberg wohnte dort.
In solchen stürmischen Nächten, wo die Feuer von Domesnäs un¬
sichtbar wurden, lagerte er sich mit Helfershelfern an die südlichen
Ufer seiner Insel und entzündete zwei Feuer auf Klippen mitten in
den Wellen, mitten im unfahrbarstcn Wasser. Dorthin steuerten dann
oftmals die Schiffe und dort strandeten oder zerschellten sie. Hörte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269887"/>
            <p xml:id="ID_1315" prev="#ID_1314"> diesem Curs bringt sicheres Verderben: denn zu südlich steuernd, stran¬<lb/>
det das Schiff auf den Sandbänken, welche Domesnäs heimtückisch<lb/>
eine Meile weit unter den Wellen fortschiebt, und zu nördlich fahrend,<lb/>
zersplittert's an den überflutheten Felsklippen von Oesel. &#x2014; Und<lb/>
das geschieht nicht selten, erzählte später der Inspektor. In den<lb/>
zweiundzwanzig Jahren, daß ich hier sitze, strandeten in meinem Be¬<lb/>
reiche an dreißig amerikanische, englische und französische Schiffe.<lb/>
Das kommt freilich daher, weil die Engländer und Amerikaner nie¬<lb/>
mals nüchtern sind und die Franzosen zu leichtsinnig. Denn sonst<lb/>
wäre mir's unerklärlich, wie's in derselben langen Reihe von Jahren<lb/>
nur zwei deutschen Schiffen eben so ergehen konnte &#x2014; und diese<lb/>
führten ungefähr eben solche Kapitäne. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1316" next="#ID_1317"> Unterdessen hatten wir den höhern Leuchtthurm erstiegen und<lb/>
standen in der Laterne. Sie hat ein stehendes Feuer, d. h. das<lb/>
Licht ihrer concentrisch gestellten, argandischen Lampen strahlt ohne<lb/>
Unterbrechung gleichförmig nach allen Seiten aus, selbst über die<lb/>
Landseite wieder hinaus in das Meer. Aber die Laterne leuchtet<lb/>
nicht Jahr aus, Jahr ein, sondern ruht vom Ende des Mai bis<lb/>
zum Anfange des August. Früher kannte man auf diesen ur¬<lb/>
alten beiden Pharen nicht die Lampen mit übersilberten Reflex<lb/>
loren, mit der stets gleichmäßigen Flamme und es eristirte Nichts<lb/>
von all dem künstlichen Leuchtthurmmechanismus der Gegenwart.<lb/>
Anstatt der Laterne nahm den Gipfel beider ein ungeheures eisernes<lb/>
Becken ein und in dem Becken brannten machender die Fichtenstämme<lb/>
des Waldes in stockwerkhoher Flamme frei in die Nacht hinaus.<lb/>
Aber freilich verlöschte dann auch Sturm und Gußregen dieselben<lb/>
oder hüllte sie doch in undurchdringlichen Rauch eben in den gefähr¬<lb/>
lichsten Nächten. Dies ist noch nicht volle hundert Jahre vorüber<lb/>
und bestände wohl jetzt noch, wenn nicht Unthaten geschehen wären,<lb/>
welche Veränderungen und Verbesserungen hervorriefen. &#x2014; Nordwärts<lb/>
von Domesnäs und Oesel nämlich, am Eingange des finnischen<lb/>
Meerbusens, liegt Dagö. Ein Herr von Sternberg wohnte dort.<lb/>
In solchen stürmischen Nächten, wo die Feuer von Domesnäs un¬<lb/>
sichtbar wurden, lagerte er sich mit Helfershelfern an die südlichen<lb/>
Ufer seiner Insel und entzündete zwei Feuer auf Klippen mitten in<lb/>
den Wellen, mitten im unfahrbarstcn Wasser. Dorthin steuerten dann<lb/>
oftmals die Schiffe und dort strandeten oder zerschellten sie. Hörte</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] diesem Curs bringt sicheres Verderben: denn zu südlich steuernd, stran¬ det das Schiff auf den Sandbänken, welche Domesnäs heimtückisch eine Meile weit unter den Wellen fortschiebt, und zu nördlich fahrend, zersplittert's an den überflutheten Felsklippen von Oesel. — Und das geschieht nicht selten, erzählte später der Inspektor. In den zweiundzwanzig Jahren, daß ich hier sitze, strandeten in meinem Be¬ reiche an dreißig amerikanische, englische und französische Schiffe. Das kommt freilich daher, weil die Engländer und Amerikaner nie¬ mals nüchtern sind und die Franzosen zu leichtsinnig. Denn sonst wäre mir's unerklärlich, wie's in derselben langen Reihe von Jahren nur zwei deutschen Schiffen eben so ergehen konnte — und diese führten ungefähr eben solche Kapitäne. — Unterdessen hatten wir den höhern Leuchtthurm erstiegen und standen in der Laterne. Sie hat ein stehendes Feuer, d. h. das Licht ihrer concentrisch gestellten, argandischen Lampen strahlt ohne Unterbrechung gleichförmig nach allen Seiten aus, selbst über die Landseite wieder hinaus in das Meer. Aber die Laterne leuchtet nicht Jahr aus, Jahr ein, sondern ruht vom Ende des Mai bis zum Anfange des August. Früher kannte man auf diesen ur¬ alten beiden Pharen nicht die Lampen mit übersilberten Reflex loren, mit der stets gleichmäßigen Flamme und es eristirte Nichts von all dem künstlichen Leuchtthurmmechanismus der Gegenwart. Anstatt der Laterne nahm den Gipfel beider ein ungeheures eisernes Becken ein und in dem Becken brannten machender die Fichtenstämme des Waldes in stockwerkhoher Flamme frei in die Nacht hinaus. Aber freilich verlöschte dann auch Sturm und Gußregen dieselben oder hüllte sie doch in undurchdringlichen Rauch eben in den gefähr¬ lichsten Nächten. Dies ist noch nicht volle hundert Jahre vorüber und bestände wohl jetzt noch, wenn nicht Unthaten geschehen wären, welche Veränderungen und Verbesserungen hervorriefen. — Nordwärts von Domesnäs und Oesel nämlich, am Eingange des finnischen Meerbusens, liegt Dagö. Ein Herr von Sternberg wohnte dort. In solchen stürmischen Nächten, wo die Feuer von Domesnäs un¬ sichtbar wurden, lagerte er sich mit Helfershelfern an die südlichen Ufer seiner Insel und entzündete zwei Feuer auf Klippen mitten in den Wellen, mitten im unfahrbarstcn Wasser. Dorthin steuerten dann oftmals die Schiffe und dort strandeten oder zerschellten sie. Hörte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/472>, abgerufen am 23.07.2024.