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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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sein einziger Gott war, weil ihm die moralische Bedeutung Nichts
galt, sobald die pecuniäre dadurch beeinträchtigt wurde. Die Europa
war seit ihrem Entstehen immer nur eine Maitresse, die nur so lange
zu einem Schriftsteller hielt, als er im Glücke war, -- sobald er die¬
ses verlor, ließ, sie ihn rasch im Stiche. Wie Leporello den Don Juan
begleitete Herr Lewald seinen zeitweiligen Herrn und Meister immer
dahin, wo es Freude und Lustbarkeiten gab, aber wenn es zum Ge¬
fechte kam, da versteckte Herr Lewald husch -- husch sich in's Gebüsch.
Wie hat die Europa Heine die Schleppe nachgetragen, so lange er als
unbestrittener Triumphaler daherging. Aber als plötzlich die Polemik
gegen sein Buch über Börne losbrach und der Kampf einiger ehren-
werthen Gegner die Steinwürfe eines ganzen Trosses von Hohlköpfcn
Schadenfrohen und scheinheiligen nach sich zog, da verkroch sich die'
Europa; auch nicht "in Wort hatte sie für den zum Uebermaße ver¬
unglimpften Dichter. Erst in diesem Augenblicke, nachdem die Straße
ganz sicher geworden, nachdem fast alle Journale sich bereits zu Gun¬
sten der neuen Gedichte ausgesprochen haben, wagt sich auch die Europa
hervor. Als Herwegh im Triumphe nach Berlin zog, als alle Zeitungen
ihn priesen und auf den Handen trugen, da erschien die Europa mit
einem Triumphgeschrei und rief! Bei mir hat er zuerst gedient, an
meinen Brüsten ist er zuerst gelegen, ich habe ihn erzogen! (Lewald
und Herwegh!!) Aber als die Sonne sich wendete, als auf den
"Lebendigen" gefahndet wurde -- husch steckte Leporello im Busche;
Herwegh blieb der Europa forthin ein Unbekannter, den sie nie gesehen.
Als Giehnc und Andrve die Oberdeutsche Zeitung redigieren und mit
nationaler Leidenschaft gegen Frankreich donnerten, ließ die Europa,
die mittlerweile nach Carlsruhe übergesiedelt war, sich plötzli'es einen
langen Bart wachsen, zog einen altdeutschen Schnürrock mit einem
schwarzrothgoldenen Bande an und schrie aus allen Registern der
dünnen Stimme: Nationalität! Einheit! Deutschland! Laufe über
die Franzosen! Vater Arndt heraus!- Diese urplötzliche germanische
Begeisterung, die Herr Lewald auf den ersten Seiten seines "Feuille¬
tons" rrieb, hinderte ihn nicht im Mindesten, vorn^ die aller-
walschesten Novellen von dem "Franzos" Alexander Dumas zu über¬
setzen und hinten die schlechtesten französischen Calembourgs in der Ur¬
sprache der "Landesfeinde" mitzutheilen ^-- wahrscheinlich um alle Sym¬
pathien für Frankreich durch so schlechte Witze zu untergraben. Als
aber die Oberdeutsche aufhörte, ließ sich Herr Lewald ganz stille den
Bart abnehmen und hing den ihm so unbequemen deutschen Rock
sachte in den Kleiderkasten zu der andern Leporcllogarderobe. Er bil¬
dete sich ein, es bemerke es Niemand--aber wir sahen es Alle und
lachten! Sollen wir noch mehr Beispiele erzählen? Von Seidclmann,
von -- doch nein, dem Schriftsteller Lewald wollen wir seine
Rechnung zu einer andern Zeit machen, sobald er sie verlangen


Grenzboten I8is. I. 6

sein einziger Gott war, weil ihm die moralische Bedeutung Nichts
galt, sobald die pecuniäre dadurch beeinträchtigt wurde. Die Europa
war seit ihrem Entstehen immer nur eine Maitresse, die nur so lange
zu einem Schriftsteller hielt, als er im Glücke war, — sobald er die¬
ses verlor, ließ, sie ihn rasch im Stiche. Wie Leporello den Don Juan
begleitete Herr Lewald seinen zeitweiligen Herrn und Meister immer
dahin, wo es Freude und Lustbarkeiten gab, aber wenn es zum Ge¬
fechte kam, da versteckte Herr Lewald husch — husch sich in's Gebüsch.
Wie hat die Europa Heine die Schleppe nachgetragen, so lange er als
unbestrittener Triumphaler daherging. Aber als plötzlich die Polemik
gegen sein Buch über Börne losbrach und der Kampf einiger ehren-
werthen Gegner die Steinwürfe eines ganzen Trosses von Hohlköpfcn
Schadenfrohen und scheinheiligen nach sich zog, da verkroch sich die'
Europa; auch nicht «in Wort hatte sie für den zum Uebermaße ver¬
unglimpften Dichter. Erst in diesem Augenblicke, nachdem die Straße
ganz sicher geworden, nachdem fast alle Journale sich bereits zu Gun¬
sten der neuen Gedichte ausgesprochen haben, wagt sich auch die Europa
hervor. Als Herwegh im Triumphe nach Berlin zog, als alle Zeitungen
ihn priesen und auf den Handen trugen, da erschien die Europa mit
einem Triumphgeschrei und rief! Bei mir hat er zuerst gedient, an
meinen Brüsten ist er zuerst gelegen, ich habe ihn erzogen! (Lewald
und Herwegh!!) Aber als die Sonne sich wendete, als auf den
„Lebendigen" gefahndet wurde — husch steckte Leporello im Busche;
Herwegh blieb der Europa forthin ein Unbekannter, den sie nie gesehen.
Als Giehnc und Andrve die Oberdeutsche Zeitung redigieren und mit
nationaler Leidenschaft gegen Frankreich donnerten, ließ die Europa,
die mittlerweile nach Carlsruhe übergesiedelt war, sich plötzli'es einen
langen Bart wachsen, zog einen altdeutschen Schnürrock mit einem
schwarzrothgoldenen Bande an und schrie aus allen Registern der
dünnen Stimme: Nationalität! Einheit! Deutschland! Laufe über
die Franzosen! Vater Arndt heraus!- Diese urplötzliche germanische
Begeisterung, die Herr Lewald auf den ersten Seiten seines „Feuille¬
tons" rrieb, hinderte ihn nicht im Mindesten, vorn^ die aller-
walschesten Novellen von dem „Franzos" Alexander Dumas zu über¬
setzen und hinten die schlechtesten französischen Calembourgs in der Ur¬
sprache der „Landesfeinde" mitzutheilen ^— wahrscheinlich um alle Sym¬
pathien für Frankreich durch so schlechte Witze zu untergraben. Als
aber die Oberdeutsche aufhörte, ließ sich Herr Lewald ganz stille den
Bart abnehmen und hing den ihm so unbequemen deutschen Rock
sachte in den Kleiderkasten zu der andern Leporcllogarderobe. Er bil¬
dete sich ein, es bemerke es Niemand—aber wir sahen es Alle und
lachten! Sollen wir noch mehr Beispiele erzählen? Von Seidclmann,
von — doch nein, dem Schriftsteller Lewald wollen wir seine
Rechnung zu einer andern Zeit machen, sobald er sie verlangen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/47>, abgerufen am 22.07.2024.