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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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solchen schlimmen Dienst soll man solche Originalbeiträge noch bezah¬
len ! Und dann ,wie klein ist die Zahl Derjenigen, die für deutsche Zu¬
stände wirklichen Sinn haben. Die Weiber vor Allem! Wie viel
größer ist die Zahl derjenigen, die sich für die Rachel und Eerito in-
teressiren, als für Jordan und -- Ronge. Deswegen müssen solche
anstößige Namen so wenig und jene anziehenden sooft als möglich ge¬
nannt werden!

Die Grenzboten und die Europa gehen also ganz verschiedene
Wege und haben jedes ein ganz anderes Publicum vor Augen, und in
der That wüßten wir nicht, was Herrn Lewald so grimmig macht,
wenn nicht die kritische Lage, in welche sein altersschwaches Blatt ge¬
rathen ist, und der Umstand, daß er es im Preise herabsetzen muß,
seinen Unmuth über die nachwachsende Journalistik überhaupt moti-
viren möchte. Herr Lewald sieht seine Europa verdrängt aus den
Boudoirs, wie aus den öffentlichen Localen durch die Jllustrirte Zei¬
tung, die Hundertsach mehr, Besseres und Zeitgemäßeres auch für das¬
jenige Publicum bringt, das er für seine Domäne hielt. Die Leip¬
ziger Modezeitung, die Hamburger Jahreszeiten überflügeln ihn im
Gebiete der Modekupfer und Novellen. Die literarische Bedeutung
der "Europa" ist längst unter Null gesunken. Das gealterte Blatt
fühlt, wie eine runzlige Coquette, daß ihm die Schminke von der Wange
fällt, und leise daher gegen die Jugend ganz nach der Sitte eines al¬
ten Weibes. Hatte die Europa das gehabt, was jedes ehrenhafte
Blatt haben muß: Charakter und Konsequenz, wäre nicht das Geld-
macher ihr erstes und letztes Ziel gewesen, so wäre sie nicht heute in
der Lage, dem Publicum sagen zu müssen, sie fühle, sie sei jetzt nur
die Hälfte werth und ihre Liebesgaben werden von nun an um den
halben Preis ausgeboten. Wir haben die "neue umgestaltete Europa"
noch nicht zu Gesicht bekommen, aber wir kennen den marktschreieri¬
schen Geist der alten. Nie hat ein Blatt in Deutschland unter gün¬
stigeren Auspicien seine Laufbahn begonnen, als die "Europa" im
Jahre .1834, zu einer Zeit, wo Alles in größter politischer und lite¬
rarischer Aufregung war, wo die französische Journalistik und das
junge Deutschland Alles bewegte und beschäftigte. Man las mit Begierde
die kritischen und politischen Uebersichten Gutzkow's und Mebold's; alle
Welt strömte, angezogen von diesen Namen, dem neuen Blatte zu.
Aber kaum sah die Europa, daß diese Angel ihre Dienste gethan, und
die Abnehmer herbeigelockt hatte, so verschwanden allmälig die kost¬
spieligen Mitarbeiter/ und die Originalbeiträge traten immer mehr und
mehr in den Hintergrund. Wo sind alle die schönen Namen geblie¬
ben, welche die Europa in ihren ersten Jahren schmückten? Warum
steht Herr Lewald in der Oede seines Blattes jetzt so einsam da?
Wir wollen ihm dies erklären: weil er es nie ehrlich weder mit dem
Einen, noch mit dem Andern meinte, weil der Ertrag des Blattes


solchen schlimmen Dienst soll man solche Originalbeiträge noch bezah¬
len ! Und dann ,wie klein ist die Zahl Derjenigen, die für deutsche Zu¬
stände wirklichen Sinn haben. Die Weiber vor Allem! Wie viel
größer ist die Zahl derjenigen, die sich für die Rachel und Eerito in-
teressiren, als für Jordan und — Ronge. Deswegen müssen solche
anstößige Namen so wenig und jene anziehenden sooft als möglich ge¬
nannt werden!

Die Grenzboten und die Europa gehen also ganz verschiedene
Wege und haben jedes ein ganz anderes Publicum vor Augen, und in
der That wüßten wir nicht, was Herrn Lewald so grimmig macht,
wenn nicht die kritische Lage, in welche sein altersschwaches Blatt ge¬
rathen ist, und der Umstand, daß er es im Preise herabsetzen muß,
seinen Unmuth über die nachwachsende Journalistik überhaupt moti-
viren möchte. Herr Lewald sieht seine Europa verdrängt aus den
Boudoirs, wie aus den öffentlichen Localen durch die Jllustrirte Zei¬
tung, die Hundertsach mehr, Besseres und Zeitgemäßeres auch für das¬
jenige Publicum bringt, das er für seine Domäne hielt. Die Leip¬
ziger Modezeitung, die Hamburger Jahreszeiten überflügeln ihn im
Gebiete der Modekupfer und Novellen. Die literarische Bedeutung
der „Europa" ist längst unter Null gesunken. Das gealterte Blatt
fühlt, wie eine runzlige Coquette, daß ihm die Schminke von der Wange
fällt, und leise daher gegen die Jugend ganz nach der Sitte eines al¬
ten Weibes. Hatte die Europa das gehabt, was jedes ehrenhafte
Blatt haben muß: Charakter und Konsequenz, wäre nicht das Geld-
macher ihr erstes und letztes Ziel gewesen, so wäre sie nicht heute in
der Lage, dem Publicum sagen zu müssen, sie fühle, sie sei jetzt nur
die Hälfte werth und ihre Liebesgaben werden von nun an um den
halben Preis ausgeboten. Wir haben die „neue umgestaltete Europa"
noch nicht zu Gesicht bekommen, aber wir kennen den marktschreieri¬
schen Geist der alten. Nie hat ein Blatt in Deutschland unter gün¬
stigeren Auspicien seine Laufbahn begonnen, als die „Europa" im
Jahre .1834, zu einer Zeit, wo Alles in größter politischer und lite¬
rarischer Aufregung war, wo die französische Journalistik und das
junge Deutschland Alles bewegte und beschäftigte. Man las mit Begierde
die kritischen und politischen Uebersichten Gutzkow's und Mebold's; alle
Welt strömte, angezogen von diesen Namen, dem neuen Blatte zu.
Aber kaum sah die Europa, daß diese Angel ihre Dienste gethan, und
die Abnehmer herbeigelockt hatte, so verschwanden allmälig die kost¬
spieligen Mitarbeiter/ und die Originalbeiträge traten immer mehr und
mehr in den Hintergrund. Wo sind alle die schönen Namen geblie¬
ben, welche die Europa in ihren ersten Jahren schmückten? Warum
steht Herr Lewald in der Oede seines Blattes jetzt so einsam da?
Wir wollen ihm dies erklären: weil er es nie ehrlich weder mit dem
Einen, noch mit dem Andern meinte, weil der Ertrag des Blattes


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[0046] solchen schlimmen Dienst soll man solche Originalbeiträge noch bezah¬ len ! Und dann ,wie klein ist die Zahl Derjenigen, die für deutsche Zu¬ stände wirklichen Sinn haben. Die Weiber vor Allem! Wie viel größer ist die Zahl derjenigen, die sich für die Rachel und Eerito in- teressiren, als für Jordan und — Ronge. Deswegen müssen solche anstößige Namen so wenig und jene anziehenden sooft als möglich ge¬ nannt werden! Die Grenzboten und die Europa gehen also ganz verschiedene Wege und haben jedes ein ganz anderes Publicum vor Augen, und in der That wüßten wir nicht, was Herrn Lewald so grimmig macht, wenn nicht die kritische Lage, in welche sein altersschwaches Blatt ge¬ rathen ist, und der Umstand, daß er es im Preise herabsetzen muß, seinen Unmuth über die nachwachsende Journalistik überhaupt moti- viren möchte. Herr Lewald sieht seine Europa verdrängt aus den Boudoirs, wie aus den öffentlichen Localen durch die Jllustrirte Zei¬ tung, die Hundertsach mehr, Besseres und Zeitgemäßeres auch für das¬ jenige Publicum bringt, das er für seine Domäne hielt. Die Leip¬ ziger Modezeitung, die Hamburger Jahreszeiten überflügeln ihn im Gebiete der Modekupfer und Novellen. Die literarische Bedeutung der „Europa" ist längst unter Null gesunken. Das gealterte Blatt fühlt, wie eine runzlige Coquette, daß ihm die Schminke von der Wange fällt, und leise daher gegen die Jugend ganz nach der Sitte eines al¬ ten Weibes. Hatte die Europa das gehabt, was jedes ehrenhafte Blatt haben muß: Charakter und Konsequenz, wäre nicht das Geld- macher ihr erstes und letztes Ziel gewesen, so wäre sie nicht heute in der Lage, dem Publicum sagen zu müssen, sie fühle, sie sei jetzt nur die Hälfte werth und ihre Liebesgaben werden von nun an um den halben Preis ausgeboten. Wir haben die „neue umgestaltete Europa" noch nicht zu Gesicht bekommen, aber wir kennen den marktschreieri¬ schen Geist der alten. Nie hat ein Blatt in Deutschland unter gün¬ stigeren Auspicien seine Laufbahn begonnen, als die „Europa" im Jahre .1834, zu einer Zeit, wo Alles in größter politischer und lite¬ rarischer Aufregung war, wo die französische Journalistik und das junge Deutschland Alles bewegte und beschäftigte. Man las mit Begierde die kritischen und politischen Uebersichten Gutzkow's und Mebold's; alle Welt strömte, angezogen von diesen Namen, dem neuen Blatte zu. Aber kaum sah die Europa, daß diese Angel ihre Dienste gethan, und die Abnehmer herbeigelockt hatte, so verschwanden allmälig die kost¬ spieligen Mitarbeiter/ und die Originalbeiträge traten immer mehr und mehr in den Hintergrund. Wo sind alle die schönen Namen geblie¬ ben, welche die Europa in ihren ersten Jahren schmückten? Warum steht Herr Lewald in der Oede seines Blattes jetzt so einsam da? Wir wollen ihm dies erklären: weil er es nie ehrlich weder mit dem Einen, noch mit dem Andern meinte, weil der Ertrag des Blattes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/46>, abgerufen am 22.07.2024.