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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Schriftsteller, der Haus und Hof habe, der angesessen sei, sollte die
neue Preßfreiheit zu gute kommen, die literarischen Strichvögel und
Vagabonden dagegen sollten noch immer unter der Fuchtel des Censors
bleiben. Selbst Leute, die dem politischen stirtus <i"o Preußens gegen¬
über sich immer als Zweifler verhielten, hatten sich von diesem selt¬
samen Gerüchte tauschen lassen. Wohin man ging, wo man stand
in Berlin, überall war von der Konstitution die Rede und was dieser
und jener Staatsmann geäußert haben sollte, u. s. w. Jetzt, nach¬
dem die Landstände zusammengetreten sind, wird diese preußische Con-
stitutionssage wahrscheinlich bald ihren Untergang finden.

Die Ausweisung der deutschen Schriftsteller aus Paris hat hier
einen sehr niederschlagenden Eindruck hervorgebracht. Man hört be¬
haupten, daß sie die Folge eines geheimen Auftrages sei, den ein hoher
preußischer Gelehrter und Staatsmann nach Paris überbracht habe
und daß sich das französische Cabinet deshalb so willfährig habe fin¬
den lassen, weil ein Vertrag zwischen Frankreich und dem Aollverbande
vorbereitet werde. Es verlautet aber durchaus nichts Gewisses darüber.
Jedenfalls hat Frankreich sich durch diese Ausweisung sehr compromit-
tirt und man wird wohl aufhören müssen, Frankreich unter dem Re¬
gierungssystem Ludwig Philipp's als ein freies Land zu betrachten.
Conspirirten jene Männer, die man vertrieben hat, gegen die franzö¬
sische Regierung? Nein, sie lebten wie viele deutsche Gelehrte in
Theorien und Äbstracrionen, die noch lange keine Wahrheit geworden
sind, die von Franzosen schon weit energischer und praktischer aufgefaßt
worden! Daß eine deutsche Polizei in jedem Journalisten einen Demago¬
gen und in einer regsamen Presse den Umsturz aller Dinge erblickt, nimmt
Niemand Wunder, aber dieser Schritt, von einer französischen Regie¬
rung gethan, muß allgemeinen Unwillen erregen. Frankreich ist eifersüchtig
auf Englands Macht, aber wie tief steht es unter diesem! Leider wird
sich in diesem Falle die französische Presse wohl noch glänzender com-
promirtiren, als die Regierung. Sie ist von einem so schmählichen Egois¬
mus durchdrungen, daß sie diesen Frankreich so tief heruntersetzenden
Vorgang ignsriren, oder, wie im Ourivr er-in^ius geschehen, nur
als eine günstige Gelegenheit betrachten wird, ihren kleinen Parteizorn
gegen Guizot zu schleudern. Frankreich wurde von Rüge als
das Land der Freiheit betrachtet. Die Nemesis ist über ihn ge¬
kommen.

Unsere Theaterzustände sind ziemlich monoton. Thomas Thyrnau
-- Er muß auf's Land. -- Er muß auf's Land. -- Thomas Thyr¬
nau, -- das Feldlager in Schlesien, -- Norma, -- Norma, -- das
Feldlager in Schlesien -- das ist ohngefähr das Repertoir unseres
Schauspiels und unserer Oper. In diesen Tagen ist die Oper um
"Euryanthe" vergrößert worden, deren erste Vorstellung dem Weber¬
denkmale in Dresden gewidmet wurde. Nächstens haben wir auch


Schriftsteller, der Haus und Hof habe, der angesessen sei, sollte die
neue Preßfreiheit zu gute kommen, die literarischen Strichvögel und
Vagabonden dagegen sollten noch immer unter der Fuchtel des Censors
bleiben. Selbst Leute, die dem politischen stirtus <i»o Preußens gegen¬
über sich immer als Zweifler verhielten, hatten sich von diesem selt¬
samen Gerüchte tauschen lassen. Wohin man ging, wo man stand
in Berlin, überall war von der Konstitution die Rede und was dieser
und jener Staatsmann geäußert haben sollte, u. s. w. Jetzt, nach¬
dem die Landstände zusammengetreten sind, wird diese preußische Con-
stitutionssage wahrscheinlich bald ihren Untergang finden.

Die Ausweisung der deutschen Schriftsteller aus Paris hat hier
einen sehr niederschlagenden Eindruck hervorgebracht. Man hört be¬
haupten, daß sie die Folge eines geheimen Auftrages sei, den ein hoher
preußischer Gelehrter und Staatsmann nach Paris überbracht habe
und daß sich das französische Cabinet deshalb so willfährig habe fin¬
den lassen, weil ein Vertrag zwischen Frankreich und dem Aollverbande
vorbereitet werde. Es verlautet aber durchaus nichts Gewisses darüber.
Jedenfalls hat Frankreich sich durch diese Ausweisung sehr compromit-
tirt und man wird wohl aufhören müssen, Frankreich unter dem Re¬
gierungssystem Ludwig Philipp's als ein freies Land zu betrachten.
Conspirirten jene Männer, die man vertrieben hat, gegen die franzö¬
sische Regierung? Nein, sie lebten wie viele deutsche Gelehrte in
Theorien und Äbstracrionen, die noch lange keine Wahrheit geworden
sind, die von Franzosen schon weit energischer und praktischer aufgefaßt
worden! Daß eine deutsche Polizei in jedem Journalisten einen Demago¬
gen und in einer regsamen Presse den Umsturz aller Dinge erblickt, nimmt
Niemand Wunder, aber dieser Schritt, von einer französischen Regie¬
rung gethan, muß allgemeinen Unwillen erregen. Frankreich ist eifersüchtig
auf Englands Macht, aber wie tief steht es unter diesem! Leider wird
sich in diesem Falle die französische Presse wohl noch glänzender com-
promirtiren, als die Regierung. Sie ist von einem so schmählichen Egois¬
mus durchdrungen, daß sie diesen Frankreich so tief heruntersetzenden
Vorgang ignsriren, oder, wie im Ourivr er-in^ius geschehen, nur
als eine günstige Gelegenheit betrachten wird, ihren kleinen Parteizorn
gegen Guizot zu schleudern. Frankreich wurde von Rüge als
das Land der Freiheit betrachtet. Die Nemesis ist über ihn ge¬
kommen.

Unsere Theaterzustände sind ziemlich monoton. Thomas Thyrnau
— Er muß auf's Land. — Er muß auf's Land. — Thomas Thyr¬
nau, — das Feldlager in Schlesien, — Norma, — Norma, — das
Feldlager in Schlesien — das ist ohngefähr das Repertoir unseres
Schauspiels und unserer Oper. In diesen Tagen ist die Oper um
„Euryanthe" vergrößert worden, deren erste Vorstellung dem Weber¬
denkmale in Dresden gewidmet wurde. Nächstens haben wir auch


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[0438] Schriftsteller, der Haus und Hof habe, der angesessen sei, sollte die neue Preßfreiheit zu gute kommen, die literarischen Strichvögel und Vagabonden dagegen sollten noch immer unter der Fuchtel des Censors bleiben. Selbst Leute, die dem politischen stirtus <i»o Preußens gegen¬ über sich immer als Zweifler verhielten, hatten sich von diesem selt¬ samen Gerüchte tauschen lassen. Wohin man ging, wo man stand in Berlin, überall war von der Konstitution die Rede und was dieser und jener Staatsmann geäußert haben sollte, u. s. w. Jetzt, nach¬ dem die Landstände zusammengetreten sind, wird diese preußische Con- stitutionssage wahrscheinlich bald ihren Untergang finden. Die Ausweisung der deutschen Schriftsteller aus Paris hat hier einen sehr niederschlagenden Eindruck hervorgebracht. Man hört be¬ haupten, daß sie die Folge eines geheimen Auftrages sei, den ein hoher preußischer Gelehrter und Staatsmann nach Paris überbracht habe und daß sich das französische Cabinet deshalb so willfährig habe fin¬ den lassen, weil ein Vertrag zwischen Frankreich und dem Aollverbande vorbereitet werde. Es verlautet aber durchaus nichts Gewisses darüber. Jedenfalls hat Frankreich sich durch diese Ausweisung sehr compromit- tirt und man wird wohl aufhören müssen, Frankreich unter dem Re¬ gierungssystem Ludwig Philipp's als ein freies Land zu betrachten. Conspirirten jene Männer, die man vertrieben hat, gegen die franzö¬ sische Regierung? Nein, sie lebten wie viele deutsche Gelehrte in Theorien und Äbstracrionen, die noch lange keine Wahrheit geworden sind, die von Franzosen schon weit energischer und praktischer aufgefaßt worden! Daß eine deutsche Polizei in jedem Journalisten einen Demago¬ gen und in einer regsamen Presse den Umsturz aller Dinge erblickt, nimmt Niemand Wunder, aber dieser Schritt, von einer französischen Regie¬ rung gethan, muß allgemeinen Unwillen erregen. Frankreich ist eifersüchtig auf Englands Macht, aber wie tief steht es unter diesem! Leider wird sich in diesem Falle die französische Presse wohl noch glänzender com- promirtiren, als die Regierung. Sie ist von einem so schmählichen Egois¬ mus durchdrungen, daß sie diesen Frankreich so tief heruntersetzenden Vorgang ignsriren, oder, wie im Ourivr er-in^ius geschehen, nur als eine günstige Gelegenheit betrachten wird, ihren kleinen Parteizorn gegen Guizot zu schleudern. Frankreich wurde von Rüge als das Land der Freiheit betrachtet. Die Nemesis ist über ihn ge¬ kommen. Unsere Theaterzustände sind ziemlich monoton. Thomas Thyrnau — Er muß auf's Land. — Er muß auf's Land. — Thomas Thyr¬ nau, — das Feldlager in Schlesien, — Norma, — Norma, — das Feldlager in Schlesien — das ist ohngefähr das Repertoir unseres Schauspiels und unserer Oper. In diesen Tagen ist die Oper um „Euryanthe" vergrößert worden, deren erste Vorstellung dem Weber¬ denkmale in Dresden gewidmet wurde. Nächstens haben wir auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/438>, abgerufen am 22.07.2024.