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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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"nicht entziehen. Dieses ist ja aber grade der Hauptpunkt in jeder
"parlamentarischen Negierung; alles Uebrige ist nur Folge, welche
"später oder früher sich einstellen muß. Wenn die preußischen Land-'
"tage bei jeder Einberufung einen so großen moralischen Zuwachs
"erhalten, wie bisher, so ist gar nicht einzusehen, was die Negierung
"dabei gewinnt, eine allgemeine volksthümliche Vertretung länger auf¬
zuschieben. Im Gegentheil, acht landständische Versammlungen,
"wie sie Preußen hat, sind weit geeigneter, den Gang der Negierung
"zu erschweren, als die gefurchteren zwei Kammern. Es ist trotz
"alles Lärms, welchen das repräsentative System mit sich führt, doch
"weit leichter, sich mit der Majorität der Volksvertreter zu verständi¬
gen, als gegen diese Gruppen von Localvertretern anzukämpfen, de-
"ren Ansprüche oft über den Gesichtskreis ihres Territoriums nicht
"hinausgehen. Oesterreich wäre bei einer großem Bewegung seiner
"verschiedenen Provinziallandtage noch viel schlimmer daran, als Preu-
"ßer, denn die österreichischen Provinzen sind durch Sprache, Geschichte
"und Nationalität nicht so zusammengedrängt, wie die preußischen.
"Die Monarchie würde zerrissen durch tausend entgegengesetzte Wünsche
"und der Abgrund ist unabsehbar. Besser also, daß dieses provin-
"zialständliche Beispiel Ihres preußischen Staates vor unsern Augen
"verschwinde. Das constitutionelle Beispiel ist uns weniger gefähr¬
lich. Unsere Provinzen, grade wegen der mannichfachen Verschie¬
denheit ihrer Interessen, werden sich wohl besinnen, ehe sie eine
"Centralrcpräsentation in Wien verlangen. Und im ärgsten Falle
"würde die Negierung bei einer reichöständischen Verfassung weniger
"verlieren, als bei einer provinzialständischen. Die Aristokratie, dieser
"wichtigste Hemmstein bei allen volksthümlichen Maßregeln unserer
"Regierung, dieser stolze Adel, der in allen Zweigen der Beamten-
"und Militärhierarchie die besten Stellen für sich beansprucht, der
"allen beabsichtigten Verbesserungen deö Bauernstandes, allen Wün¬
schen zur Verminderung der enmirten Gerichte seine gewichtigen
"Balken vorschiebt, würde bei einer volkstümlichen Verfassung den
"größten Theil seiner Macht verlieren, Oesterreich würde auf fried¬
lichem Wege von dem Alp befreit, der es so lange drückt. Was
"unsere Regierung seit Maria Theresia auf so künstlichem Wege ver¬
folgt, die Schwächung der Adelömacht, würde sie durch eine Cor-
"stitution mit Einem Schritte erreichen. Aber, wie gesagt, eine con-


„nicht entziehen. Dieses ist ja aber grade der Hauptpunkt in jeder
„parlamentarischen Negierung; alles Uebrige ist nur Folge, welche
„später oder früher sich einstellen muß. Wenn die preußischen Land-'
„tage bei jeder Einberufung einen so großen moralischen Zuwachs
„erhalten, wie bisher, so ist gar nicht einzusehen, was die Negierung
„dabei gewinnt, eine allgemeine volksthümliche Vertretung länger auf¬
zuschieben. Im Gegentheil, acht landständische Versammlungen,
„wie sie Preußen hat, sind weit geeigneter, den Gang der Negierung
„zu erschweren, als die gefurchteren zwei Kammern. Es ist trotz
„alles Lärms, welchen das repräsentative System mit sich führt, doch
„weit leichter, sich mit der Majorität der Volksvertreter zu verständi¬
gen, als gegen diese Gruppen von Localvertretern anzukämpfen, de-
„ren Ansprüche oft über den Gesichtskreis ihres Territoriums nicht
„hinausgehen. Oesterreich wäre bei einer großem Bewegung seiner
„verschiedenen Provinziallandtage noch viel schlimmer daran, als Preu-
„ßer, denn die österreichischen Provinzen sind durch Sprache, Geschichte
„und Nationalität nicht so zusammengedrängt, wie die preußischen.
„Die Monarchie würde zerrissen durch tausend entgegengesetzte Wünsche
„und der Abgrund ist unabsehbar. Besser also, daß dieses provin-
„zialständliche Beispiel Ihres preußischen Staates vor unsern Augen
„verschwinde. Das constitutionelle Beispiel ist uns weniger gefähr¬
lich. Unsere Provinzen, grade wegen der mannichfachen Verschie¬
denheit ihrer Interessen, werden sich wohl besinnen, ehe sie eine
„Centralrcpräsentation in Wien verlangen. Und im ärgsten Falle
„würde die Negierung bei einer reichöständischen Verfassung weniger
„verlieren, als bei einer provinzialständischen. Die Aristokratie, dieser
„wichtigste Hemmstein bei allen volksthümlichen Maßregeln unserer
„Regierung, dieser stolze Adel, der in allen Zweigen der Beamten-
„und Militärhierarchie die besten Stellen für sich beansprucht, der
„allen beabsichtigten Verbesserungen deö Bauernstandes, allen Wün¬
schen zur Verminderung der enmirten Gerichte seine gewichtigen
„Balken vorschiebt, würde bei einer volkstümlichen Verfassung den
„größten Theil seiner Macht verlieren, Oesterreich würde auf fried¬
lichem Wege von dem Alp befreit, der es so lange drückt. Was
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/428>, abgerufen am 23.07.2024.