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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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that, als das herausfordernde Hinstarren in die leere Zukunft. Da¬
mals begann er den "fahrenden Poeten", und der erste Gesang:
"Ungarn", in dem ein byron'scher Hauch der Originalität wenig Ein¬
trag thut, bewies gleich ein glänzendes Beschreibungstalent; auch die
andern Gesänge: Wien, Weimar und die Wartburg, die noch als
Studien anzusehen sind, enthalten mehr treffende Gedanken und scharfe
charakterisirende Blicke, als man dem hochfliegenden Träumer zuge¬
traut hätte. Noch üppiger und origineller entfaltete sich der Glanz
seiner Phantasie und die Kraft des lyrischen Vortrags im "Zanks",
worin man wahre Prachtstücke ungarischer Natur gemalt findet; da¬
gegen scheint die Anlage der Erzählung wie ein dürftiger Nahmen
zurückzutreten und die Erfindung selbst leidet noch an großer Schwäche
der Motivirung. An den "Janko" schließen sich die "ungrischen Melo¬
dien an, in denen, neben der meisterhaften Malerei, ein glücklicher
Balladenton angenehm überrascht. Auch dem ^dramatischen Hang
der Zeit huldigte Beck in seinem "Saul", an den er viel schone Lyrik
verschwendet hat. Gewiß wurde der dramatische Anfänger zu sub-
jectiv und ließ sich zu sehr vom rauschenden Strom seiner Sprache
hinreißen, um Bau, Zweck und Mittel deö Dramas zu bedenken.
Aber ein Moment, welches freilich durch das ganze Gedicht geht
und seinen wesentlichen Werth und Inhalt bildet, ist unvergleichlich
gegeben: Saul's böse Stunde. Die "stillen Lieder", die anfangs wie
Symptome eines kränkelnden Zustandes aussahen, bezeichnen jene
eigentliche und gründliche Umkehr zu den ersten Elementen seiner
Poesie, die unerläßlich war, um einen neuen sichern Anlauf zu neh¬
men; es waren zuerst nur leichte, anmuthige Formen, die einen vol¬
lem Gehalt bekamen, als der Dichter durch die Berührung mit der
heimathlichen Erde und die Entfernung aus dem unmittelbar literari¬
schen Leben von vielfachen Erschütterungen genas. Die letzteren dieser
Lieder, z. B. "Knecht und Magd", "Frühling" u. a. in. haben ganz
jenen warmen, tiefen Ton der Darstellung, jene Kraft der Auffassung,
jene edle Einfachheit, überhaupt jene Reife, die dem Dichter von
jedem Kundigen im Beginn seiner Laufbahn vorausgesagt und als
Ziel vorgehalten wurde. Der Styl von Beck's Lyrik ist schwer zu
bezeichnen; seine Sprache hat bald dramatische Lebendigkeit, bald
epische Malerei, meist aber lyrische Bewegung und musikalischen
Klang; eben darum eignet sie sich vielleicht so wenig für die Musik-


that, als das herausfordernde Hinstarren in die leere Zukunft. Da¬
mals begann er den „fahrenden Poeten", und der erste Gesang:
„Ungarn", in dem ein byron'scher Hauch der Originalität wenig Ein¬
trag thut, bewies gleich ein glänzendes Beschreibungstalent; auch die
andern Gesänge: Wien, Weimar und die Wartburg, die noch als
Studien anzusehen sind, enthalten mehr treffende Gedanken und scharfe
charakterisirende Blicke, als man dem hochfliegenden Träumer zuge¬
traut hätte. Noch üppiger und origineller entfaltete sich der Glanz
seiner Phantasie und die Kraft des lyrischen Vortrags im „Zanks",
worin man wahre Prachtstücke ungarischer Natur gemalt findet; da¬
gegen scheint die Anlage der Erzählung wie ein dürftiger Nahmen
zurückzutreten und die Erfindung selbst leidet noch an großer Schwäche
der Motivirung. An den „Janko" schließen sich die „ungrischen Melo¬
dien an, in denen, neben der meisterhaften Malerei, ein glücklicher
Balladenton angenehm überrascht. Auch dem ^dramatischen Hang
der Zeit huldigte Beck in seinem „Saul", an den er viel schone Lyrik
verschwendet hat. Gewiß wurde der dramatische Anfänger zu sub-
jectiv und ließ sich zu sehr vom rauschenden Strom seiner Sprache
hinreißen, um Bau, Zweck und Mittel deö Dramas zu bedenken.
Aber ein Moment, welches freilich durch das ganze Gedicht geht
und seinen wesentlichen Werth und Inhalt bildet, ist unvergleichlich
gegeben: Saul's böse Stunde. Die „stillen Lieder", die anfangs wie
Symptome eines kränkelnden Zustandes aussahen, bezeichnen jene
eigentliche und gründliche Umkehr zu den ersten Elementen seiner
Poesie, die unerläßlich war, um einen neuen sichern Anlauf zu neh¬
men; es waren zuerst nur leichte, anmuthige Formen, die einen vol¬
lem Gehalt bekamen, als der Dichter durch die Berührung mit der
heimathlichen Erde und die Entfernung aus dem unmittelbar literari¬
schen Leben von vielfachen Erschütterungen genas. Die letzteren dieser
Lieder, z. B. „Knecht und Magd", „Frühling" u. a. in. haben ganz
jenen warmen, tiefen Ton der Darstellung, jene Kraft der Auffassung,
jene edle Einfachheit, überhaupt jene Reife, die dem Dichter von
jedem Kundigen im Beginn seiner Laufbahn vorausgesagt und als
Ziel vorgehalten wurde. Der Styl von Beck's Lyrik ist schwer zu
bezeichnen; seine Sprache hat bald dramatische Lebendigkeit, bald
epische Malerei, meist aber lyrische Bewegung und musikalischen
Klang; eben darum eignet sie sich vielleicht so wenig für die Musik-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/42>, abgerufen am 22.07.2024.