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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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in der Altstadt und in der intoleranten Vorstadt Se. Pauli zu woh¬
nen. Das war etwas, aber noch sehr wenig. Im Herbste 1843
kam die Frage der Judenemancipation ernstlicher als je aufs Tapet.
Der Gewerbneid namentlich, die Besorgniß, auf dein Gebiete des
Zunftwesens eine übertrieben gefürchtete Concurrenz hervorzurufen,
ließ eine ganze Armee von Federn gegen die Juden in's Feld rücken.
Sie vertheidigten sich ziemlich ungeschickt. Fehler wollten sie gar nicht
haben und neben ihrem unläugbaren Menschenrechte, ihren unab¬
weisbaren Ansprüchen auf bürgerliche Gleichstellung in einem Staate,
dessen Lasten sie zu gleichen Theilen mit den Christen tragen -- neben
diesen guten Gründen machten sich auch viele Lächerlichkeiten geltend.
Die Sache wurde dermaßen ungeschickt von beiden Seiten hin und
hergeträtscht, daß sie endlich widerlich ward. Um die öffentliche Mei¬
nung nicht noch befangener zu machen, um Reibungen, die bis dahin
nur auf dem Papiere Statt gefunden, nicht auf das gefährliche Ter¬
rain der Straßen zu verpflanzen, beseitigte man die ganze Angele¬
genheit. Sie taucht aber, wie die große Seeschlange, von Zeit zu
Zeit immer wieder auf. Im November erst und jetzt abermals ragte
der Kopf dieses absonderlichen Ungeheuers über die Fluth der ge¬
wöhnlichen Tagesereignisse. Das ehrbare Kollegium unserer Oberalten
entsetzte sich darob und wollte dem Monstrum ohne weitere Zögerung
den Garaus machen. Vom Senat war ihm eine Proposition zur
Nechtserweiterung der Jsraelucn vorgelegt, um sie -- nach dem ge¬
setzlichen Gang -- an die Bürgerschaft zu bringen. Das ehrbare
Kollegium der Oberalten hat die ganze Sache zurückgewiesen. Mir ist
ein von der Censur gestrichener Artikel gegen dies Verfahren der
Ober- oder Ueberalten, aus christlicher Feder, zu Gesicht gekommen.
Die Hamburger Censur hat sich auf dem Gebiete des Allgemeinen
zu größerer Milde bequemt, aber in Bezug auf die städtischen Be¬
hörden bildet sie noch immer eine Mauer zu Schutz und Trutz, einen
undurchdringlichen Schild, wie der des Ajar. -- Uebrigens ist die allge¬
meine Stimmung derJudenemancipativnjetztso wenig geneigt, als früher.
Die oben erwähnten kleinlichen Gründe stemmen sich ihr auch jetzt noch ent¬
gegen. Wenn sich zur angeborenen Intoleranz noch ein im merkantilischen
und zunftmäßigen Feuer gehärteter Egoismus gesellt, dann wird die
erstere uneinnehmbarer als die Festung Königsstein. Es hieß hier


in der Altstadt und in der intoleranten Vorstadt Se. Pauli zu woh¬
nen. Das war etwas, aber noch sehr wenig. Im Herbste 1843
kam die Frage der Judenemancipation ernstlicher als je aufs Tapet.
Der Gewerbneid namentlich, die Besorgniß, auf dein Gebiete des
Zunftwesens eine übertrieben gefürchtete Concurrenz hervorzurufen,
ließ eine ganze Armee von Federn gegen die Juden in's Feld rücken.
Sie vertheidigten sich ziemlich ungeschickt. Fehler wollten sie gar nicht
haben und neben ihrem unläugbaren Menschenrechte, ihren unab¬
weisbaren Ansprüchen auf bürgerliche Gleichstellung in einem Staate,
dessen Lasten sie zu gleichen Theilen mit den Christen tragen — neben
diesen guten Gründen machten sich auch viele Lächerlichkeiten geltend.
Die Sache wurde dermaßen ungeschickt von beiden Seiten hin und
hergeträtscht, daß sie endlich widerlich ward. Um die öffentliche Mei¬
nung nicht noch befangener zu machen, um Reibungen, die bis dahin
nur auf dem Papiere Statt gefunden, nicht auf das gefährliche Ter¬
rain der Straßen zu verpflanzen, beseitigte man die ganze Angele¬
genheit. Sie taucht aber, wie die große Seeschlange, von Zeit zu
Zeit immer wieder auf. Im November erst und jetzt abermals ragte
der Kopf dieses absonderlichen Ungeheuers über die Fluth der ge¬
wöhnlichen Tagesereignisse. Das ehrbare Kollegium unserer Oberalten
entsetzte sich darob und wollte dem Monstrum ohne weitere Zögerung
den Garaus machen. Vom Senat war ihm eine Proposition zur
Nechtserweiterung der Jsraelucn vorgelegt, um sie — nach dem ge¬
setzlichen Gang — an die Bürgerschaft zu bringen. Das ehrbare
Kollegium der Oberalten hat die ganze Sache zurückgewiesen. Mir ist
ein von der Censur gestrichener Artikel gegen dies Verfahren der
Ober- oder Ueberalten, aus christlicher Feder, zu Gesicht gekommen.
Die Hamburger Censur hat sich auf dem Gebiete des Allgemeinen
zu größerer Milde bequemt, aber in Bezug auf die städtischen Be¬
hörden bildet sie noch immer eine Mauer zu Schutz und Trutz, einen
undurchdringlichen Schild, wie der des Ajar. — Uebrigens ist die allge¬
meine Stimmung derJudenemancipativnjetztso wenig geneigt, als früher.
Die oben erwähnten kleinlichen Gründe stemmen sich ihr auch jetzt noch ent¬
gegen. Wenn sich zur angeborenen Intoleranz noch ein im merkantilischen
und zunftmäßigen Feuer gehärteter Egoismus gesellt, dann wird die
erstere uneinnehmbarer als die Festung Königsstein. Es hieß hier


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[0417] in der Altstadt und in der intoleranten Vorstadt Se. Pauli zu woh¬ nen. Das war etwas, aber noch sehr wenig. Im Herbste 1843 kam die Frage der Judenemancipation ernstlicher als je aufs Tapet. Der Gewerbneid namentlich, die Besorgniß, auf dein Gebiete des Zunftwesens eine übertrieben gefürchtete Concurrenz hervorzurufen, ließ eine ganze Armee von Federn gegen die Juden in's Feld rücken. Sie vertheidigten sich ziemlich ungeschickt. Fehler wollten sie gar nicht haben und neben ihrem unläugbaren Menschenrechte, ihren unab¬ weisbaren Ansprüchen auf bürgerliche Gleichstellung in einem Staate, dessen Lasten sie zu gleichen Theilen mit den Christen tragen — neben diesen guten Gründen machten sich auch viele Lächerlichkeiten geltend. Die Sache wurde dermaßen ungeschickt von beiden Seiten hin und hergeträtscht, daß sie endlich widerlich ward. Um die öffentliche Mei¬ nung nicht noch befangener zu machen, um Reibungen, die bis dahin nur auf dem Papiere Statt gefunden, nicht auf das gefährliche Ter¬ rain der Straßen zu verpflanzen, beseitigte man die ganze Angele¬ genheit. Sie taucht aber, wie die große Seeschlange, von Zeit zu Zeit immer wieder auf. Im November erst und jetzt abermals ragte der Kopf dieses absonderlichen Ungeheuers über die Fluth der ge¬ wöhnlichen Tagesereignisse. Das ehrbare Kollegium unserer Oberalten entsetzte sich darob und wollte dem Monstrum ohne weitere Zögerung den Garaus machen. Vom Senat war ihm eine Proposition zur Nechtserweiterung der Jsraelucn vorgelegt, um sie — nach dem ge¬ setzlichen Gang — an die Bürgerschaft zu bringen. Das ehrbare Kollegium der Oberalten hat die ganze Sache zurückgewiesen. Mir ist ein von der Censur gestrichener Artikel gegen dies Verfahren der Ober- oder Ueberalten, aus christlicher Feder, zu Gesicht gekommen. Die Hamburger Censur hat sich auf dem Gebiete des Allgemeinen zu größerer Milde bequemt, aber in Bezug auf die städtischen Be¬ hörden bildet sie noch immer eine Mauer zu Schutz und Trutz, einen undurchdringlichen Schild, wie der des Ajar. — Uebrigens ist die allge¬ meine Stimmung derJudenemancipativnjetztso wenig geneigt, als früher. Die oben erwähnten kleinlichen Gründe stemmen sich ihr auch jetzt noch ent¬ gegen. Wenn sich zur angeborenen Intoleranz noch ein im merkantilischen und zunftmäßigen Feuer gehärteter Egoismus gesellt, dann wird die erstere uneinnehmbarer als die Festung Königsstein. Es hieß hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/417>, abgerufen am 22.07.2024.