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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Gibt es im Bereich Eurer Macht geheime Mittel, die schöne Knospe
eines blühenden Mädchens vor dem stillen Wurm deS Todes zu ret¬
ten? -- Er wollte weiter sprechen, aber das Wort erstarb auf seiner
Lippe. Es war nach und nach wieder dunkel geworden im Saale.
Aus dem Kelch der Lotosblume, der sich langsam auseinander brei¬
tete, spielten von Neuem die blauen Flammen, und aus der Wolke
über ihnen hob sich in weißen Schleiern eine Frauengestalt. Wie
die Hülle allmälig sank, schüttelte ein schönes marmorblasses Antlitz
die Locken von der Stirn. Mit ausgebreiteten Armen stürzte der
Prinz in die Mitte des Saales. -- Klotilde! rief er, daß es am
Gewölbe widerhallte. Aber er weckte auch noch ein Echo anderer
Art im Saale. Zornig, wie ein gereizter Löwe aus seiner Höhle,
sprang der Reichsgraf, den wir längst nicht mehr zu den Anwesenden
zählten, aus dem Haufen der Zuschauer. El, potz tausend, Durch¬
laucht Eidam! schrie er dem Prinzen mit seiner schmetternden Com-
mandostimme entgegen, regiert Euch denn der Kuckuck, meine Tochter
hier preiszugeben? Von Schwarzkünstlern werd' ich sie doch wohl
nicht sollen curiren lassen, und wenn sie zehnfach verhert wäre!
Der Prinz schrie auf wie aus einem traumhaften Schlaf und
stürzte halb ohnmächtig in einen Sessel zurück. Es dauerte jedoch
nur wenige Secunden, während welcher die Versammlung schwei¬
gend ihre Pulse zählte, dann raffte er sich plötzlich auf und trat ent¬
schlossen dem alten Herrn entgegen. Dieser stand mit dem sprühenden
Zorn seines Antlitzes wie ein Kämpfer da, der seinen Gegner nöthi¬
gen Falls mit beiden Fäusten in Empfang nimmt. So verharrten
Schwiegervater und Sohn eine ganze Weile in wortloser Haltung
einander gegenüber.

-- Laßt doch den Spuk da oben fort und macht dem albernen
Spaß ein Ende! rief der Reichsgraf nach der Höhe. Wenn Ihr
Geister citiren wollt, meine Herren, so laßt einmal Todte kommen,
von Lebenden hat man hübsche Abbilder! Meine Tochter ist gut
copirt', aber Geistcrerscheinungen verlange ich in oiigi".ni! Verstan¬
den? Ich wünsche nochmals gute Nacht, und wenn noch einige
Maurer hier anwesend sind, so bitt' ich ergebenst um Ercüse. Nichts
für ungut, Messieurs!

Er wollte sort, den Schauplatz verlassen, aber die peinliche Stille
wurde bald von einem neuen Lärm unterbrochen, der in der seltsamen


Gibt es im Bereich Eurer Macht geheime Mittel, die schöne Knospe
eines blühenden Mädchens vor dem stillen Wurm deS Todes zu ret¬
ten? — Er wollte weiter sprechen, aber das Wort erstarb auf seiner
Lippe. Es war nach und nach wieder dunkel geworden im Saale.
Aus dem Kelch der Lotosblume, der sich langsam auseinander brei¬
tete, spielten von Neuem die blauen Flammen, und aus der Wolke
über ihnen hob sich in weißen Schleiern eine Frauengestalt. Wie
die Hülle allmälig sank, schüttelte ein schönes marmorblasses Antlitz
die Locken von der Stirn. Mit ausgebreiteten Armen stürzte der
Prinz in die Mitte des Saales. — Klotilde! rief er, daß es am
Gewölbe widerhallte. Aber er weckte auch noch ein Echo anderer
Art im Saale. Zornig, wie ein gereizter Löwe aus seiner Höhle,
sprang der Reichsgraf, den wir längst nicht mehr zu den Anwesenden
zählten, aus dem Haufen der Zuschauer. El, potz tausend, Durch¬
laucht Eidam! schrie er dem Prinzen mit seiner schmetternden Com-
mandostimme entgegen, regiert Euch denn der Kuckuck, meine Tochter
hier preiszugeben? Von Schwarzkünstlern werd' ich sie doch wohl
nicht sollen curiren lassen, und wenn sie zehnfach verhert wäre!
Der Prinz schrie auf wie aus einem traumhaften Schlaf und
stürzte halb ohnmächtig in einen Sessel zurück. Es dauerte jedoch
nur wenige Secunden, während welcher die Versammlung schwei¬
gend ihre Pulse zählte, dann raffte er sich plötzlich auf und trat ent¬
schlossen dem alten Herrn entgegen. Dieser stand mit dem sprühenden
Zorn seines Antlitzes wie ein Kämpfer da, der seinen Gegner nöthi¬
gen Falls mit beiden Fäusten in Empfang nimmt. So verharrten
Schwiegervater und Sohn eine ganze Weile in wortloser Haltung
einander gegenüber.

— Laßt doch den Spuk da oben fort und macht dem albernen
Spaß ein Ende! rief der Reichsgraf nach der Höhe. Wenn Ihr
Geister citiren wollt, meine Herren, so laßt einmal Todte kommen,
von Lebenden hat man hübsche Abbilder! Meine Tochter ist gut
copirt', aber Geistcrerscheinungen verlange ich in oiigi».ni! Verstan¬
den? Ich wünsche nochmals gute Nacht, und wenn noch einige
Maurer hier anwesend sind, so bitt' ich ergebenst um Ercüse. Nichts
für ungut, Messieurs!

Er wollte sort, den Schauplatz verlassen, aber die peinliche Stille
wurde bald von einem neuen Lärm unterbrochen, der in der seltsamen


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[0410] Gibt es im Bereich Eurer Macht geheime Mittel, die schöne Knospe eines blühenden Mädchens vor dem stillen Wurm deS Todes zu ret¬ ten? — Er wollte weiter sprechen, aber das Wort erstarb auf seiner Lippe. Es war nach und nach wieder dunkel geworden im Saale. Aus dem Kelch der Lotosblume, der sich langsam auseinander brei¬ tete, spielten von Neuem die blauen Flammen, und aus der Wolke über ihnen hob sich in weißen Schleiern eine Frauengestalt. Wie die Hülle allmälig sank, schüttelte ein schönes marmorblasses Antlitz die Locken von der Stirn. Mit ausgebreiteten Armen stürzte der Prinz in die Mitte des Saales. — Klotilde! rief er, daß es am Gewölbe widerhallte. Aber er weckte auch noch ein Echo anderer Art im Saale. Zornig, wie ein gereizter Löwe aus seiner Höhle, sprang der Reichsgraf, den wir längst nicht mehr zu den Anwesenden zählten, aus dem Haufen der Zuschauer. El, potz tausend, Durch¬ laucht Eidam! schrie er dem Prinzen mit seiner schmetternden Com- mandostimme entgegen, regiert Euch denn der Kuckuck, meine Tochter hier preiszugeben? Von Schwarzkünstlern werd' ich sie doch wohl nicht sollen curiren lassen, und wenn sie zehnfach verhert wäre! Der Prinz schrie auf wie aus einem traumhaften Schlaf und stürzte halb ohnmächtig in einen Sessel zurück. Es dauerte jedoch nur wenige Secunden, während welcher die Versammlung schwei¬ gend ihre Pulse zählte, dann raffte er sich plötzlich auf und trat ent¬ schlossen dem alten Herrn entgegen. Dieser stand mit dem sprühenden Zorn seines Antlitzes wie ein Kämpfer da, der seinen Gegner nöthi¬ gen Falls mit beiden Fäusten in Empfang nimmt. So verharrten Schwiegervater und Sohn eine ganze Weile in wortloser Haltung einander gegenüber. — Laßt doch den Spuk da oben fort und macht dem albernen Spaß ein Ende! rief der Reichsgraf nach der Höhe. Wenn Ihr Geister citiren wollt, meine Herren, so laßt einmal Todte kommen, von Lebenden hat man hübsche Abbilder! Meine Tochter ist gut copirt', aber Geistcrerscheinungen verlange ich in oiigi».ni! Verstan¬ den? Ich wünsche nochmals gute Nacht, und wenn noch einige Maurer hier anwesend sind, so bitt' ich ergebenst um Ercüse. Nichts für ungut, Messieurs! Er wollte sort, den Schauplatz verlassen, aber die peinliche Stille wurde bald von einem neuen Lärm unterbrochen, der in der seltsamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/410>, abgerufen am 23.07.2024.