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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wie viel andere Stimmen. Er hatte, auf sympathetische Weise, den
Herzschlag der Zeit errathen und den Punkt getroffen, wo sein sub¬
jektiver Sturm und Drang mit dem allgemeinen zusammenklingen
mußte. Nationaldeutsches oder Volksthümliches hatten diese Klänge
allerdings nicht, aber der hinreißende Ton innerer Wahrheit darin
erschloß ihnen jedes Ohr in jenen kosmopolitisch theilnehmenden Tagen.

Kurz vorher war Börne gestorben, und mit dem Ver¬
stummen dieses gewaltigen Rufers in der Wüste begannen auch die
revolutionären Fantasien, -- denn mehr war es nicht, -- in Deutsch¬
land zu erlöschen. Ihr letztes Auflodern, zum Theil durch ihn her¬
vorgerufen, fiel mit dem Enthusiasmus der Jugend für Beck'S Nächte
zusammen. °Jm Schatten Börne's hatte der Dichter den Trägerund
den Herold seiner eigenen Stimmung gefunden; in ihm sah er sein
Gefühl der Heimathlosigkeit, der politischen Enttäuschung und des
Grolls über die Prosa der philiströsen Gegenwart in höchster Potenz
ausgesprochen; und die Monologe, die er dem Todten von Pore la
Chaise in den Mund gelegt, sind jedenfalls von tieferer Bedeutung,
als manche andere seiner studentisch-rcnommistischen Töne. Beck'S
Börne sieht man eS freilich nicht an, daß er einst Cameralistik studirt,
daß er den Stoßdegen des Witzes führte und alle seine Pappenhei¬
mer in- und auswendig kannte. Auch hat der wirkliche Börne nie'
mals rin Gott gegrollt, wie er es bei Beck nicht etwa blos von
sich rühmt, sondern wirklich thut; denn jeder zur lebendigen That ge¬
rüstete Mann fühlt das Bedürfniß, im Sturm gegen die ganze Welt
wenigstens einen Halt und in den innersten Gemächern seines Her¬
zens sichern Frieden zu haben; entweder er ist kalt und eisern genug,
um gar nicht an den Himmel zu denken, oder er glaubt, wie Börne,
an den Gott seiner Kindheit als seinen einzigen Freund auf Erden.
Aber stellt man sich den Pariser Eremiten als jungen Mann mit
etwas mehr Phantasie und weniger Scharfsinn vor, so konnte er sein
Leid nicht mächtiger wiedergeben, als es Beck in seinem Namen
that. Die Nächte haben dadurch, daß sie den revolutionären Börne
im Wappen führen, auch einen poetischen Vorzug. Politische Poesie,
wenn sie überhaupt Poesie sein soll, muß entweder streng konservativ
oder grundrevolutionär sein. Den besonnenen Fortschritt können nur
geharnischte Magister besingen. Poetisch ist die Ehrfurcht vor dem
Traditionellen, poetisch ist auch die Zerstörungslust und die leiden-


wie viel andere Stimmen. Er hatte, auf sympathetische Weise, den
Herzschlag der Zeit errathen und den Punkt getroffen, wo sein sub¬
jektiver Sturm und Drang mit dem allgemeinen zusammenklingen
mußte. Nationaldeutsches oder Volksthümliches hatten diese Klänge
allerdings nicht, aber der hinreißende Ton innerer Wahrheit darin
erschloß ihnen jedes Ohr in jenen kosmopolitisch theilnehmenden Tagen.

Kurz vorher war Börne gestorben, und mit dem Ver¬
stummen dieses gewaltigen Rufers in der Wüste begannen auch die
revolutionären Fantasien, — denn mehr war es nicht, — in Deutsch¬
land zu erlöschen. Ihr letztes Auflodern, zum Theil durch ihn her¬
vorgerufen, fiel mit dem Enthusiasmus der Jugend für Beck'S Nächte
zusammen. °Jm Schatten Börne's hatte der Dichter den Trägerund
den Herold seiner eigenen Stimmung gefunden; in ihm sah er sein
Gefühl der Heimathlosigkeit, der politischen Enttäuschung und des
Grolls über die Prosa der philiströsen Gegenwart in höchster Potenz
ausgesprochen; und die Monologe, die er dem Todten von Pore la
Chaise in den Mund gelegt, sind jedenfalls von tieferer Bedeutung,
als manche andere seiner studentisch-rcnommistischen Töne. Beck'S
Börne sieht man eS freilich nicht an, daß er einst Cameralistik studirt,
daß er den Stoßdegen des Witzes führte und alle seine Pappenhei¬
mer in- und auswendig kannte. Auch hat der wirkliche Börne nie'
mals rin Gott gegrollt, wie er es bei Beck nicht etwa blos von
sich rühmt, sondern wirklich thut; denn jeder zur lebendigen That ge¬
rüstete Mann fühlt das Bedürfniß, im Sturm gegen die ganze Welt
wenigstens einen Halt und in den innersten Gemächern seines Her¬
zens sichern Frieden zu haben; entweder er ist kalt und eisern genug,
um gar nicht an den Himmel zu denken, oder er glaubt, wie Börne,
an den Gott seiner Kindheit als seinen einzigen Freund auf Erden.
Aber stellt man sich den Pariser Eremiten als jungen Mann mit
etwas mehr Phantasie und weniger Scharfsinn vor, so konnte er sein
Leid nicht mächtiger wiedergeben, als es Beck in seinem Namen
that. Die Nächte haben dadurch, daß sie den revolutionären Börne
im Wappen führen, auch einen poetischen Vorzug. Politische Poesie,
wenn sie überhaupt Poesie sein soll, muß entweder streng konservativ
oder grundrevolutionär sein. Den besonnenen Fortschritt können nur
geharnischte Magister besingen. Poetisch ist die Ehrfurcht vor dem
Traditionellen, poetisch ist auch die Zerstörungslust und die leiden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/40>, abgerufen am 22.07.2024.