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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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erschienen) und wenn es gleich den Titel führt: die Prostitution in
Paris*) so ist das Hauptresultat desselben in allen größern Städten
Deutschlands trotz ihrer affectirter Tugendhaftigkeit an den Straßenecken
eben so leicht zu finden, als in dem lasterhaften Paris. Der Grundsatz der
französischen Gesetzgebung hat sich bisher als der praktischste bewiesen;
ein Uebel, das man nicht ausrotten kann, muß man zwingen, aus
seinen Schlupfwinkeln an's Tageslicht zu kommen, um es wenigstens
streng bewachen zu können. Der deutsche Charakter mit seiner Scheu
vor aller Oeffentlichkeit, der lieber hundert Justizfthler bei verschlossenen
Thüren begehen laßt, um nur nicht zwei Personen öffentlich zu com-
promittiren, bleibt sich auch hier treu. Der moralische Schein ist ihm
mehr als das moralische Sein. Der Schein ist allerdings durch das
französische Prinzip mehr verletzt. Aber Tausende und Tausende von
Personen sind dadurch vom Untergange gerettet. Wie viel gewissenhafter,
moralischer und vorsorglicher handelt die Stadt Paris gegen die
Fremden, die sie besuchen, als z. B. eine bekannte deutsche Meßstadt,
die in dieser Beziehung eine traurige (Zelebritat genießt. Paris hat
durch seine klugen Maßregeln aufgehört, jene Stadt der Seuche zu
sein, als die es früher gegolten. Kann jene tugendhafte deutsche
Meßstadt Gleiches von sich rühmen? Freilich der moralische Ruf ihrer
Munizipalität ist gesichert, sie ignorirt die Existenz der entarteten weib¬
lichen Klasse, von der zu jeder Messe gegen Tausend ihre Pilger¬
fahrt nach der heiligen Stadt antreten, sie ignorirt sie wie der Herzog
von Modena die Juliusrevolution nicht anerkennt. Ist die Julirevo¬
lution darum ausgerottet? Gabe es eine Statistik, welche die Klagen
der Fremden, welche Paris besuchten, mit den Klagen derer, welche
jene Meßstadt besuchten, in Tabellen zusammenstellte, so würde das
Resultat nicht zum Vortheil der Letzteren ausfallen. Ich will das
Bild hier nicht ausmalen, ich will nicht alle abscheulichen Folgen
jener unzeitig offiziellen Scheinheiliqkcit schildern, die sich um das Laster
nicht kümmert, weil sie affectirt, es nicht zu kennen, aber von einer
einzigen Seite sei erlaubt, den Schleier zu lüften. Die ernsthaftesten
englischen und französischen Journale sprechen davon ohne Scheu,
warum soll ein deutsches Blatt nicht mit Zurückhaltung davon sprechen
dürfen? Von den tausend leichtsinnigen Geschöpfen, die jährlich aus
Böhmen, Schlesien u. s. w. nach jenen Messen ziehen, um unter
Allem, was dort feilgeboten wird, auch ihre Reize auf den Markt zu
bringen, gibt es Viele, die von weit her mit vielen Kosten diese Reise
unternehmen im Vertrauen, daß die Schönheit, mit welcher sie die
gutmüthige Natur ausgestattet, ihnen zu einem hundertfachen Ersatze
verhelfen werde. Oft sind es infame Sklavenhandlerinnen, welche im
civilisirten frommen Deutschland mit einem ganzen Harem von Leib-



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erschienen) und wenn es gleich den Titel führt: die Prostitution in
Paris*) so ist das Hauptresultat desselben in allen größern Städten
Deutschlands trotz ihrer affectirter Tugendhaftigkeit an den Straßenecken
eben so leicht zu finden, als in dem lasterhaften Paris. Der Grundsatz der
französischen Gesetzgebung hat sich bisher als der praktischste bewiesen;
ein Uebel, das man nicht ausrotten kann, muß man zwingen, aus
seinen Schlupfwinkeln an's Tageslicht zu kommen, um es wenigstens
streng bewachen zu können. Der deutsche Charakter mit seiner Scheu
vor aller Oeffentlichkeit, der lieber hundert Justizfthler bei verschlossenen
Thüren begehen laßt, um nur nicht zwei Personen öffentlich zu com-
promittiren, bleibt sich auch hier treu. Der moralische Schein ist ihm
mehr als das moralische Sein. Der Schein ist allerdings durch das
französische Prinzip mehr verletzt. Aber Tausende und Tausende von
Personen sind dadurch vom Untergange gerettet. Wie viel gewissenhafter,
moralischer und vorsorglicher handelt die Stadt Paris gegen die
Fremden, die sie besuchen, als z. B. eine bekannte deutsche Meßstadt,
die in dieser Beziehung eine traurige (Zelebritat genießt. Paris hat
durch seine klugen Maßregeln aufgehört, jene Stadt der Seuche zu
sein, als die es früher gegolten. Kann jene tugendhafte deutsche
Meßstadt Gleiches von sich rühmen? Freilich der moralische Ruf ihrer
Munizipalität ist gesichert, sie ignorirt die Existenz der entarteten weib¬
lichen Klasse, von der zu jeder Messe gegen Tausend ihre Pilger¬
fahrt nach der heiligen Stadt antreten, sie ignorirt sie wie der Herzog
von Modena die Juliusrevolution nicht anerkennt. Ist die Julirevo¬
lution darum ausgerottet? Gabe es eine Statistik, welche die Klagen
der Fremden, welche Paris besuchten, mit den Klagen derer, welche
jene Meßstadt besuchten, in Tabellen zusammenstellte, so würde das
Resultat nicht zum Vortheil der Letzteren ausfallen. Ich will das
Bild hier nicht ausmalen, ich will nicht alle abscheulichen Folgen
jener unzeitig offiziellen Scheinheiliqkcit schildern, die sich um das Laster
nicht kümmert, weil sie affectirt, es nicht zu kennen, aber von einer
einzigen Seite sei erlaubt, den Schleier zu lüften. Die ernsthaftesten
englischen und französischen Journale sprechen davon ohne Scheu,
warum soll ein deutsches Blatt nicht mit Zurückhaltung davon sprechen
dürfen? Von den tausend leichtsinnigen Geschöpfen, die jährlich aus
Böhmen, Schlesien u. s. w. nach jenen Messen ziehen, um unter
Allem, was dort feilgeboten wird, auch ihre Reize auf den Markt zu
bringen, gibt es Viele, die von weit her mit vielen Kosten diese Reise
unternehmen im Vertrauen, daß die Schönheit, mit welcher sie die
gutmüthige Natur ausgestattet, ihnen zu einem hundertfachen Ersatze
verhelfen werde. Oft sind es infame Sklavenhandlerinnen, welche im
civilisirten frommen Deutschland mit einem ganzen Harem von Leib-



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/390>, abgerufen am 22.07.2024.