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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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fast mit mühsam unterdrückter Erbitterung. Er sprach französisch und
zwar mit einem Dialekt, an welchem man den Russen errieth. Wie
ich später hörte, war es ein Graf Golowkin, ein Neffe des unglück¬
lichen Abenteurers und Günstlings gleiches Namens, der in Sibirien
umkam. Diese Familie, ursprünglich polnischen Geblütes, muß nun
einmal, wie es scheint, zu jeder Intrigue in Europa ihre Deputirten
schicken. Der Protestantismus der tyrannischen Hochkirche Alteng¬
lands, sagte er, habe den Verdacht gehegt, der Bund der Rosenkreu¬
zer stände im Dienste Roms. Es sei deutscher Männer unwürdig,
hierin Englands Vorurtheilen beizupflichten. Die Geschichte des No-
senkreuzcrbundeS liefere weit eher vom Gegentheil das Zeugniß. Zur
Zeit des unheilvollen dreißigjährigen Krieges hätten die Rosenkreuzer
die Sache der bedrückten Protestanten zu der ihrigen gemacht. Auf
den mildgesinntcn Kaiser Matthias war jener hartherzige Ferdinand
gefolgt, dem die meist protestantischen Stände ob der Ens die Hul¬
digung versagten. In der Darstellung seines Lebens erzählte der
Rosenkreuzer Andrea von den Reisen nach Oesterreich, die er auf
Anstiften deS dortigen protestantischen Adels unternahm. Er gestehe
ganz harmlos ein, in Linz einen geheimen Austrag gehabt und viele
der reinen Lehre zugethane Edelleute dort um sich versammelt zu
haben.

-- Will man die Maurerei zum Deckmantel von allerlei heim¬
lichem Aufruhr und Empörung machen? erscholl die barsche Stimme
des Reichsgrafen herüber. -- Allgemeiner Tumult schien die Antwort
auf diese Frage.

-- Wir sprechen hier als Maurer, nahm der Reichsgraf das
Wort und erhob sich von Neuem. Sein Auge flog über die Ver¬
sammlung hin und her und wo sein Blick haften blieb, kehrte die
Stille zurück.

-- Ich bin hier Nichts als der Abgesandte meiner Loge. Als
solcher erheb' ich meine Stimme. Vergessen wir nicht, daß es die
Maurerei nicht mit dem Wirrwarr der Religionömeimmgen zu thun
hat. Meine Herren, wir sind weder Schönredner noch Katheder-
Helden, wir gehen in die Loge, um den Disput loszuwerden. In
der Religion werden wir geboren und erzogen; gut! Die Maurerei
setzt das Christenthum voraus; gut! Aber deshalb eben debattirt sie
nicht über Glaubenssachen. Die Kirche macht uns zu Christen, die


fast mit mühsam unterdrückter Erbitterung. Er sprach französisch und
zwar mit einem Dialekt, an welchem man den Russen errieth. Wie
ich später hörte, war es ein Graf Golowkin, ein Neffe des unglück¬
lichen Abenteurers und Günstlings gleiches Namens, der in Sibirien
umkam. Diese Familie, ursprünglich polnischen Geblütes, muß nun
einmal, wie es scheint, zu jeder Intrigue in Europa ihre Deputirten
schicken. Der Protestantismus der tyrannischen Hochkirche Alteng¬
lands, sagte er, habe den Verdacht gehegt, der Bund der Rosenkreu¬
zer stände im Dienste Roms. Es sei deutscher Männer unwürdig,
hierin Englands Vorurtheilen beizupflichten. Die Geschichte des No-
senkreuzcrbundeS liefere weit eher vom Gegentheil das Zeugniß. Zur
Zeit des unheilvollen dreißigjährigen Krieges hätten die Rosenkreuzer
die Sache der bedrückten Protestanten zu der ihrigen gemacht. Auf
den mildgesinntcn Kaiser Matthias war jener hartherzige Ferdinand
gefolgt, dem die meist protestantischen Stände ob der Ens die Hul¬
digung versagten. In der Darstellung seines Lebens erzählte der
Rosenkreuzer Andrea von den Reisen nach Oesterreich, die er auf
Anstiften deS dortigen protestantischen Adels unternahm. Er gestehe
ganz harmlos ein, in Linz einen geheimen Austrag gehabt und viele
der reinen Lehre zugethane Edelleute dort um sich versammelt zu
haben.

— Will man die Maurerei zum Deckmantel von allerlei heim¬
lichem Aufruhr und Empörung machen? erscholl die barsche Stimme
des Reichsgrafen herüber. — Allgemeiner Tumult schien die Antwort
auf diese Frage.

— Wir sprechen hier als Maurer, nahm der Reichsgraf das
Wort und erhob sich von Neuem. Sein Auge flog über die Ver¬
sammlung hin und her und wo sein Blick haften blieb, kehrte die
Stille zurück.

— Ich bin hier Nichts als der Abgesandte meiner Loge. Als
solcher erheb' ich meine Stimme. Vergessen wir nicht, daß es die
Maurerei nicht mit dem Wirrwarr der Religionömeimmgen zu thun
hat. Meine Herren, wir sind weder Schönredner noch Katheder-
Helden, wir gehen in die Loge, um den Disput loszuwerden. In
der Religion werden wir geboren und erzogen; gut! Die Maurerei
setzt das Christenthum voraus; gut! Aber deshalb eben debattirt sie
nicht über Glaubenssachen. Die Kirche macht uns zu Christen, die


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[0378] fast mit mühsam unterdrückter Erbitterung. Er sprach französisch und zwar mit einem Dialekt, an welchem man den Russen errieth. Wie ich später hörte, war es ein Graf Golowkin, ein Neffe des unglück¬ lichen Abenteurers und Günstlings gleiches Namens, der in Sibirien umkam. Diese Familie, ursprünglich polnischen Geblütes, muß nun einmal, wie es scheint, zu jeder Intrigue in Europa ihre Deputirten schicken. Der Protestantismus der tyrannischen Hochkirche Alteng¬ lands, sagte er, habe den Verdacht gehegt, der Bund der Rosenkreu¬ zer stände im Dienste Roms. Es sei deutscher Männer unwürdig, hierin Englands Vorurtheilen beizupflichten. Die Geschichte des No- senkreuzcrbundeS liefere weit eher vom Gegentheil das Zeugniß. Zur Zeit des unheilvollen dreißigjährigen Krieges hätten die Rosenkreuzer die Sache der bedrückten Protestanten zu der ihrigen gemacht. Auf den mildgesinntcn Kaiser Matthias war jener hartherzige Ferdinand gefolgt, dem die meist protestantischen Stände ob der Ens die Hul¬ digung versagten. In der Darstellung seines Lebens erzählte der Rosenkreuzer Andrea von den Reisen nach Oesterreich, die er auf Anstiften deS dortigen protestantischen Adels unternahm. Er gestehe ganz harmlos ein, in Linz einen geheimen Austrag gehabt und viele der reinen Lehre zugethane Edelleute dort um sich versammelt zu haben. — Will man die Maurerei zum Deckmantel von allerlei heim¬ lichem Aufruhr und Empörung machen? erscholl die barsche Stimme des Reichsgrafen herüber. — Allgemeiner Tumult schien die Antwort auf diese Frage. — Wir sprechen hier als Maurer, nahm der Reichsgraf das Wort und erhob sich von Neuem. Sein Auge flog über die Ver¬ sammlung hin und her und wo sein Blick haften blieb, kehrte die Stille zurück. — Ich bin hier Nichts als der Abgesandte meiner Loge. Als solcher erheb' ich meine Stimme. Vergessen wir nicht, daß es die Maurerei nicht mit dem Wirrwarr der Religionömeimmgen zu thun hat. Meine Herren, wir sind weder Schönredner noch Katheder- Helden, wir gehen in die Loge, um den Disput loszuwerden. In der Religion werden wir geboren und erzogen; gut! Die Maurerei setzt das Christenthum voraus; gut! Aber deshalb eben debattirt sie nicht über Glaubenssachen. Die Kirche macht uns zu Christen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/378>, abgerufen am 23.07.2024.