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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Herz und sie ward die Braut des Herrn. Bei den Aegyptern wiegte
sich die keusche Isis im Lotoskelch, dem Symbol der geheimnißvoll
zeugenden Natur. Die ersten Christen nahmen die Rose mit dem
Dorn als Zeichen dieses Geheimnisses und als Kos-l in^seien, ver¬
ehrten sie die Jungfrau Maria. Wir wollen vom Glauben der
Völker nicht den Duft verscheuchen, nicht das Farbenspiel, das ihn
umgibt, mit roher Hand verwischen, aber wir, die wir die Einge¬
weihten sind, müssen Märchen und Wahrheit unterscheiden lernen.
Amen! Steh' uns Rede, Neuling, bevor wir Dich zu den Geheim¬
nissen unseres Tempels zulassen.

Der Redner schwieg und ich hätte wohl eines längeren Besin¬
nens bedurft, um über so tiefe Sachen in aller Einfalt und Klarheit
mein Bewußtsein zusammenzufassen. Mir stieg ein Widersinn in der
Rede, die ich vernommen, alsbald zu Kopfe. Christus soll nicht Gott
sein! hatte die Stimme aus dem Dunkeln gesagt. Christus ein
Mensch? Nun wohl! Wenn er aber ein so göttlich reiner Mensch
war, daß kein Fehl in ihm befunden wurde, warum soll ich seine
heilige Natur nicht eine göttliche nennen? Sind wir Alle Kinder
Gottes, warum ist Er dann nicht der Sohn, der einzig reine, wahr¬
hafte, bis in alle Ewigkeit giltige? Warum, wenn es der Brücke
zwischen Himmel und Erde bedarf, halt' ich nicht an diesem Grund¬
pfeiler der Wahrheit fest? Ihr Männer da im Finstern, sagt' ich,
deren dunkle Weisheit ich gern ganz fassen und ein's helle Licht
ziehen möchte, Ihr habt da im Glauben der Menschen einen Unter¬
schied aufgerufen, den die Welt bisher wohl noch nicht kannte. Ihr
wollt nicht, daß ich im Heiland den Gott anbete, welcher Mensch
ward; aber Ihr gebt zu, den Menschen in ihm zu sehn, der den
Quell der Gottheit in sich entdeckte. Die Menschen brauchen vielleicht
einen Gott in seiner Person. Was die Völker bedürfen, das glauben sie;
und waS sie glauben, ist ihre Wahrheit. Mich freilich drängt es mehr,
einen Bruder von gleicher Art und gleichem Blut in ihm zu sehen, der
mir die Möglichkeit bestätigt, der reine Mensch könne noch alle Zeit das
Göttliche in sich selber finden. Er hat den Gott im Menschen ent¬
deckt: warum soll ich ihn nicht Gott nennen? Und wenn Ihr den Zwie¬
spalt in den Religionen tilgen wollt, nun so denk' ich, hierin liegt
der feste Mittelpunkt der Eintracht aller Zeiten und aller Völker!


Herz und sie ward die Braut des Herrn. Bei den Aegyptern wiegte
sich die keusche Isis im Lotoskelch, dem Symbol der geheimnißvoll
zeugenden Natur. Die ersten Christen nahmen die Rose mit dem
Dorn als Zeichen dieses Geheimnisses und als Kos-l in^seien, ver¬
ehrten sie die Jungfrau Maria. Wir wollen vom Glauben der
Völker nicht den Duft verscheuchen, nicht das Farbenspiel, das ihn
umgibt, mit roher Hand verwischen, aber wir, die wir die Einge¬
weihten sind, müssen Märchen und Wahrheit unterscheiden lernen.
Amen! Steh' uns Rede, Neuling, bevor wir Dich zu den Geheim¬
nissen unseres Tempels zulassen.

Der Redner schwieg und ich hätte wohl eines längeren Besin¬
nens bedurft, um über so tiefe Sachen in aller Einfalt und Klarheit
mein Bewußtsein zusammenzufassen. Mir stieg ein Widersinn in der
Rede, die ich vernommen, alsbald zu Kopfe. Christus soll nicht Gott
sein! hatte die Stimme aus dem Dunkeln gesagt. Christus ein
Mensch? Nun wohl! Wenn er aber ein so göttlich reiner Mensch
war, daß kein Fehl in ihm befunden wurde, warum soll ich seine
heilige Natur nicht eine göttliche nennen? Sind wir Alle Kinder
Gottes, warum ist Er dann nicht der Sohn, der einzig reine, wahr¬
hafte, bis in alle Ewigkeit giltige? Warum, wenn es der Brücke
zwischen Himmel und Erde bedarf, halt' ich nicht an diesem Grund¬
pfeiler der Wahrheit fest? Ihr Männer da im Finstern, sagt' ich,
deren dunkle Weisheit ich gern ganz fassen und ein's helle Licht
ziehen möchte, Ihr habt da im Glauben der Menschen einen Unter¬
schied aufgerufen, den die Welt bisher wohl noch nicht kannte. Ihr
wollt nicht, daß ich im Heiland den Gott anbete, welcher Mensch
ward; aber Ihr gebt zu, den Menschen in ihm zu sehn, der den
Quell der Gottheit in sich entdeckte. Die Menschen brauchen vielleicht
einen Gott in seiner Person. Was die Völker bedürfen, das glauben sie;
und waS sie glauben, ist ihre Wahrheit. Mich freilich drängt es mehr,
einen Bruder von gleicher Art und gleichem Blut in ihm zu sehen, der
mir die Möglichkeit bestätigt, der reine Mensch könne noch alle Zeit das
Göttliche in sich selber finden. Er hat den Gott im Menschen ent¬
deckt: warum soll ich ihn nicht Gott nennen? Und wenn Ihr den Zwie¬
spalt in den Religionen tilgen wollt, nun so denk' ich, hierin liegt
der feste Mittelpunkt der Eintracht aller Zeiten und aller Völker!


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[0366] Herz und sie ward die Braut des Herrn. Bei den Aegyptern wiegte sich die keusche Isis im Lotoskelch, dem Symbol der geheimnißvoll zeugenden Natur. Die ersten Christen nahmen die Rose mit dem Dorn als Zeichen dieses Geheimnisses und als Kos-l in^seien, ver¬ ehrten sie die Jungfrau Maria. Wir wollen vom Glauben der Völker nicht den Duft verscheuchen, nicht das Farbenspiel, das ihn umgibt, mit roher Hand verwischen, aber wir, die wir die Einge¬ weihten sind, müssen Märchen und Wahrheit unterscheiden lernen. Amen! Steh' uns Rede, Neuling, bevor wir Dich zu den Geheim¬ nissen unseres Tempels zulassen. Der Redner schwieg und ich hätte wohl eines längeren Besin¬ nens bedurft, um über so tiefe Sachen in aller Einfalt und Klarheit mein Bewußtsein zusammenzufassen. Mir stieg ein Widersinn in der Rede, die ich vernommen, alsbald zu Kopfe. Christus soll nicht Gott sein! hatte die Stimme aus dem Dunkeln gesagt. Christus ein Mensch? Nun wohl! Wenn er aber ein so göttlich reiner Mensch war, daß kein Fehl in ihm befunden wurde, warum soll ich seine heilige Natur nicht eine göttliche nennen? Sind wir Alle Kinder Gottes, warum ist Er dann nicht der Sohn, der einzig reine, wahr¬ hafte, bis in alle Ewigkeit giltige? Warum, wenn es der Brücke zwischen Himmel und Erde bedarf, halt' ich nicht an diesem Grund¬ pfeiler der Wahrheit fest? Ihr Männer da im Finstern, sagt' ich, deren dunkle Weisheit ich gern ganz fassen und ein's helle Licht ziehen möchte, Ihr habt da im Glauben der Menschen einen Unter¬ schied aufgerufen, den die Welt bisher wohl noch nicht kannte. Ihr wollt nicht, daß ich im Heiland den Gott anbete, welcher Mensch ward; aber Ihr gebt zu, den Menschen in ihm zu sehn, der den Quell der Gottheit in sich entdeckte. Die Menschen brauchen vielleicht einen Gott in seiner Person. Was die Völker bedürfen, das glauben sie; und waS sie glauben, ist ihre Wahrheit. Mich freilich drängt es mehr, einen Bruder von gleicher Art und gleichem Blut in ihm zu sehen, der mir die Möglichkeit bestätigt, der reine Mensch könne noch alle Zeit das Göttliche in sich selber finden. Er hat den Gott im Menschen ent¬ deckt: warum soll ich ihn nicht Gott nennen? Und wenn Ihr den Zwie¬ spalt in den Religionen tilgen wollt, nun so denk' ich, hierin liegt der feste Mittelpunkt der Eintracht aller Zeiten und aller Völker!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/366>, abgerufen am 23.07.2024.