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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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dieser oberschwäbischen Aufregung stecken übrigens durch ein eigenes
Spiel der Interessen vorzugsweise auch die Mediatistrten, welche sich
immer noch nicht darein fügen können, von Stuttgart aus regiert zu
werden. /"Die Würtenberger," sagt achselzuckend der oberschwäbische
Standesherr; er betrachtet sein Land alß. occupirt, er vermeidet es,
sich in Stuttgart sehen zu lassen, ep-bringt seine Söhne nicht in
würtembergischen, sondern in österreichischem Militärdienste unter und
hält gegen seine Untergebenen streng auf die ihm gebliebenen Ehren ^
rechte, besserer Zeiten harrend. Die Verbindung mit dem Ultramon-
tanismus paßt herrlich in dieses System; denn jener ist den in Wür-
temberg gangbaren Negierungömanmen, welche zu Förderung der
politischen Gleichförmigkeit die religiöse Toleranz hegen, spinnefeind.
So gewahrt man denn das wunderliche Schauspiel, daß der Adel
und seine Unterthanen, die sich sonst der Gulden und Lehen halber
stets mit Processen heimsuchen, daß der Hochtory Fürst von Zeil und
der Agitator Wiese brüderlich mit einander gehen. Welch ein mäch¬
tiger Trieb der Zeit, der solche Gruppirungen schaffen kann!

Dieser Trieb beurkundet sich aber auch recht deutlich in dem
Tumulte, welchen die Vischer'sche Angelegenheit hervorgerufen hat.
Allgemeines Durcheinanderrennen der Meinungen, Verzweiflungsge¬
schrei der Orthodvrcn, panisches Schrecken der Menge, muthiger
Fcldruf der Neuerer. Vischer's Inauguralrede hätte ihre Wirkung
nicht über den Kreis seiner Hörer ausgedehnt, wenn nicht ein Zions-
wächter in der Allgemeinen Augsburger Zeitung die Lärmtrommel
geschlagen hätte. Dadurch ließen sich Geistliche hier und auf dem
Lande zu Kreuzpredigten verleiten: der gemeine Mann wurde alarmirt,
das Gerücht wußte von schrecklichen Blasphemien, die Bischer aus-
geschäumt hatte, -- kurz, jetzt oder nie hatte das Thier des Abgrun¬
des seinen Rachen geöffnet, aus welchem die Philosophie herauözün-
gelte. Es fehlte Nichts als die Nachricht, daß man zu Tübingen
den Teufel am hellen Tag habe auf Stelzen gehen sehen, die Bi-
scher'sche Rede unterm Arm. Das Schönste dabei war aber ohne
Zweifel, daß die Donner der Kanzelberedsamkeit losbrachen, ehe der
Inhalt der Vischer'schen Rede nur bekannt war. Jetzt ist sie auf
Provocation der Eiferer im Druck erschienen -- und siehe, von Got-
tesläugnung keine Spur: wer welche darin findet, ist ein größrer
Herenmeister als Albertus Magnus oder als Albertus Knapp, der


dieser oberschwäbischen Aufregung stecken übrigens durch ein eigenes
Spiel der Interessen vorzugsweise auch die Mediatistrten, welche sich
immer noch nicht darein fügen können, von Stuttgart aus regiert zu
werden. /„Die Würtenberger," sagt achselzuckend der oberschwäbische
Standesherr; er betrachtet sein Land alß. occupirt, er vermeidet es,
sich in Stuttgart sehen zu lassen, ep-bringt seine Söhne nicht in
würtembergischen, sondern in österreichischem Militärdienste unter und
hält gegen seine Untergebenen streng auf die ihm gebliebenen Ehren ^
rechte, besserer Zeiten harrend. Die Verbindung mit dem Ultramon-
tanismus paßt herrlich in dieses System; denn jener ist den in Wür-
temberg gangbaren Negierungömanmen, welche zu Förderung der
politischen Gleichförmigkeit die religiöse Toleranz hegen, spinnefeind.
So gewahrt man denn das wunderliche Schauspiel, daß der Adel
und seine Unterthanen, die sich sonst der Gulden und Lehen halber
stets mit Processen heimsuchen, daß der Hochtory Fürst von Zeil und
der Agitator Wiese brüderlich mit einander gehen. Welch ein mäch¬
tiger Trieb der Zeit, der solche Gruppirungen schaffen kann!

Dieser Trieb beurkundet sich aber auch recht deutlich in dem
Tumulte, welchen die Vischer'sche Angelegenheit hervorgerufen hat.
Allgemeines Durcheinanderrennen der Meinungen, Verzweiflungsge¬
schrei der Orthodvrcn, panisches Schrecken der Menge, muthiger
Fcldruf der Neuerer. Vischer's Inauguralrede hätte ihre Wirkung
nicht über den Kreis seiner Hörer ausgedehnt, wenn nicht ein Zions-
wächter in der Allgemeinen Augsburger Zeitung die Lärmtrommel
geschlagen hätte. Dadurch ließen sich Geistliche hier und auf dem
Lande zu Kreuzpredigten verleiten: der gemeine Mann wurde alarmirt,
das Gerücht wußte von schrecklichen Blasphemien, die Bischer aus-
geschäumt hatte, — kurz, jetzt oder nie hatte das Thier des Abgrun¬
des seinen Rachen geöffnet, aus welchem die Philosophie herauözün-
gelte. Es fehlte Nichts als die Nachricht, daß man zu Tübingen
den Teufel am hellen Tag habe auf Stelzen gehen sehen, die Bi-
scher'sche Rede unterm Arm. Das Schönste dabei war aber ohne
Zweifel, daß die Donner der Kanzelberedsamkeit losbrachen, ehe der
Inhalt der Vischer'schen Rede nur bekannt war. Jetzt ist sie auf
Provocation der Eiferer im Druck erschienen — und siehe, von Got-
tesläugnung keine Spur: wer welche darin findet, ist ein größrer
Herenmeister als Albertus Magnus oder als Albertus Knapp, der


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[0329] dieser oberschwäbischen Aufregung stecken übrigens durch ein eigenes Spiel der Interessen vorzugsweise auch die Mediatistrten, welche sich immer noch nicht darein fügen können, von Stuttgart aus regiert zu werden. /„Die Würtenberger," sagt achselzuckend der oberschwäbische Standesherr; er betrachtet sein Land alß. occupirt, er vermeidet es, sich in Stuttgart sehen zu lassen, ep-bringt seine Söhne nicht in würtembergischen, sondern in österreichischem Militärdienste unter und hält gegen seine Untergebenen streng auf die ihm gebliebenen Ehren ^ rechte, besserer Zeiten harrend. Die Verbindung mit dem Ultramon- tanismus paßt herrlich in dieses System; denn jener ist den in Wür- temberg gangbaren Negierungömanmen, welche zu Förderung der politischen Gleichförmigkeit die religiöse Toleranz hegen, spinnefeind. So gewahrt man denn das wunderliche Schauspiel, daß der Adel und seine Unterthanen, die sich sonst der Gulden und Lehen halber stets mit Processen heimsuchen, daß der Hochtory Fürst von Zeil und der Agitator Wiese brüderlich mit einander gehen. Welch ein mäch¬ tiger Trieb der Zeit, der solche Gruppirungen schaffen kann! Dieser Trieb beurkundet sich aber auch recht deutlich in dem Tumulte, welchen die Vischer'sche Angelegenheit hervorgerufen hat. Allgemeines Durcheinanderrennen der Meinungen, Verzweiflungsge¬ schrei der Orthodvrcn, panisches Schrecken der Menge, muthiger Fcldruf der Neuerer. Vischer's Inauguralrede hätte ihre Wirkung nicht über den Kreis seiner Hörer ausgedehnt, wenn nicht ein Zions- wächter in der Allgemeinen Augsburger Zeitung die Lärmtrommel geschlagen hätte. Dadurch ließen sich Geistliche hier und auf dem Lande zu Kreuzpredigten verleiten: der gemeine Mann wurde alarmirt, das Gerücht wußte von schrecklichen Blasphemien, die Bischer aus- geschäumt hatte, — kurz, jetzt oder nie hatte das Thier des Abgrun¬ des seinen Rachen geöffnet, aus welchem die Philosophie herauözün- gelte. Es fehlte Nichts als die Nachricht, daß man zu Tübingen den Teufel am hellen Tag habe auf Stelzen gehen sehen, die Bi- scher'sche Rede unterm Arm. Das Schönste dabei war aber ohne Zweifel, daß die Donner der Kanzelberedsamkeit losbrachen, ehe der Inhalt der Vischer'schen Rede nur bekannt war. Jetzt ist sie auf Provocation der Eiferer im Druck erschienen — und siehe, von Got- tesläugnung keine Spur: wer welche darin findet, ist ein größrer Herenmeister als Albertus Magnus oder als Albertus Knapp, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/329>, abgerufen am 23.07.2024.