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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wölbe, der alle Menschen als Brüder umfaßt, das ist unser großes
Ziel.

-- Ihr nennt Euch Rosenkreuzer? sagte ich schüchtern.

-- Der Namen, antwortete er ausweichend, sind so viele wie
der Wohnungen im Reiche unsers himmlischen Vaters. Trägt Er
selbst nicht viele Namen und keiner erschöpft seine ganze Natur!
^r-tteruitilg <üluisti heißt unser Bund für die, die zum Gekreuzigten
beten. Als reine Lehre erscheint unser Bekenntniß für die, welche die
Satzung der Menschen fliehen. Ein Bund von Brüdern heißen wir
denen, die hilfsbedürftig in der Welt irren. Rosenkreuzer nennen
sich unsere Chemiker, die nach den verborgenen Quellen der Natur
forschen. Wir sammeln, was zerstreut ist, reichen Jedem die Hand,
der den Fluch der Vereinzelung mit Schmerzen fühlt. Dich aber,
den die Sehnsticht in die Welt hinaustreibt, den Gott zu suchen, den
die Menschheit nicht mehr als den Vater Aller kennen will, Dich
begrüß' ich als auserlesenen Sohn der neuen unsichtbaren Kirche.
Mit diesem Kusse weih' ich Dich ein und unter diesem Zeichen wirst
Du der Unsrige werden!

Er machte mit dein linken Daumen ein Kreuz über seinem und
meinem Herzen und legte dann meine Hände in einander, sah gen
Himmel und sprach ein Gebet, das den Allgegenwärtigen zum Zeu¬
gen anrief. Ich stand betäubt und gab mich ihm willenlos hin.
Die Gewalt seiner Entzückung trieb mich über mich selbst hinaus.
Ich fühlte, daß mich deutscher Geist mit seinem Fittich berührte.

Pater Burkhardt aber hatte alle Viere von sich gestreckt und
schnarchte tief und schwer. So sicher fühlt sich heutzutage ein Sohn
Loyola's im heiligen römischen Reich!




Ich habe mich hier recht fleißig umgesehen im großmächtigen
Schöppenstädt. Wer hier Antiquitätensammler und Naritätenkrämcr
wäre, hätte von früh bis spät alle Hände voll zu thun. Aber es
hält schwer, die Leute zu zwingen, mit ihren schönen Siebensachen
herauszurücken. Dies Nürnberg ist eine Welt voll Kunstfleiß, aus


wölbe, der alle Menschen als Brüder umfaßt, das ist unser großes
Ziel.

— Ihr nennt Euch Rosenkreuzer? sagte ich schüchtern.

— Der Namen, antwortete er ausweichend, sind so viele wie
der Wohnungen im Reiche unsers himmlischen Vaters. Trägt Er
selbst nicht viele Namen und keiner erschöpft seine ganze Natur!
^r-tteruitilg <üluisti heißt unser Bund für die, die zum Gekreuzigten
beten. Als reine Lehre erscheint unser Bekenntniß für die, welche die
Satzung der Menschen fliehen. Ein Bund von Brüdern heißen wir
denen, die hilfsbedürftig in der Welt irren. Rosenkreuzer nennen
sich unsere Chemiker, die nach den verborgenen Quellen der Natur
forschen. Wir sammeln, was zerstreut ist, reichen Jedem die Hand,
der den Fluch der Vereinzelung mit Schmerzen fühlt. Dich aber,
den die Sehnsticht in die Welt hinaustreibt, den Gott zu suchen, den
die Menschheit nicht mehr als den Vater Aller kennen will, Dich
begrüß' ich als auserlesenen Sohn der neuen unsichtbaren Kirche.
Mit diesem Kusse weih' ich Dich ein und unter diesem Zeichen wirst
Du der Unsrige werden!

Er machte mit dein linken Daumen ein Kreuz über seinem und
meinem Herzen und legte dann meine Hände in einander, sah gen
Himmel und sprach ein Gebet, das den Allgegenwärtigen zum Zeu¬
gen anrief. Ich stand betäubt und gab mich ihm willenlos hin.
Die Gewalt seiner Entzückung trieb mich über mich selbst hinaus.
Ich fühlte, daß mich deutscher Geist mit seinem Fittich berührte.

Pater Burkhardt aber hatte alle Viere von sich gestreckt und
schnarchte tief und schwer. So sicher fühlt sich heutzutage ein Sohn
Loyola's im heiligen römischen Reich!




Ich habe mich hier recht fleißig umgesehen im großmächtigen
Schöppenstädt. Wer hier Antiquitätensammler und Naritätenkrämcr
wäre, hätte von früh bis spät alle Hände voll zu thun. Aber es
hält schwer, die Leute zu zwingen, mit ihren schönen Siebensachen
herauszurücken. Dies Nürnberg ist eine Welt voll Kunstfleiß, aus


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[0321] wölbe, der alle Menschen als Brüder umfaßt, das ist unser großes Ziel. — Ihr nennt Euch Rosenkreuzer? sagte ich schüchtern. — Der Namen, antwortete er ausweichend, sind so viele wie der Wohnungen im Reiche unsers himmlischen Vaters. Trägt Er selbst nicht viele Namen und keiner erschöpft seine ganze Natur! ^r-tteruitilg <üluisti heißt unser Bund für die, die zum Gekreuzigten beten. Als reine Lehre erscheint unser Bekenntniß für die, welche die Satzung der Menschen fliehen. Ein Bund von Brüdern heißen wir denen, die hilfsbedürftig in der Welt irren. Rosenkreuzer nennen sich unsere Chemiker, die nach den verborgenen Quellen der Natur forschen. Wir sammeln, was zerstreut ist, reichen Jedem die Hand, der den Fluch der Vereinzelung mit Schmerzen fühlt. Dich aber, den die Sehnsticht in die Welt hinaustreibt, den Gott zu suchen, den die Menschheit nicht mehr als den Vater Aller kennen will, Dich begrüß' ich als auserlesenen Sohn der neuen unsichtbaren Kirche. Mit diesem Kusse weih' ich Dich ein und unter diesem Zeichen wirst Du der Unsrige werden! Er machte mit dein linken Daumen ein Kreuz über seinem und meinem Herzen und legte dann meine Hände in einander, sah gen Himmel und sprach ein Gebet, das den Allgegenwärtigen zum Zeu¬ gen anrief. Ich stand betäubt und gab mich ihm willenlos hin. Die Gewalt seiner Entzückung trieb mich über mich selbst hinaus. Ich fühlte, daß mich deutscher Geist mit seinem Fittich berührte. Pater Burkhardt aber hatte alle Viere von sich gestreckt und schnarchte tief und schwer. So sicher fühlt sich heutzutage ein Sohn Loyola's im heiligen römischen Reich! Ich habe mich hier recht fleißig umgesehen im großmächtigen Schöppenstädt. Wer hier Antiquitätensammler und Naritätenkrämcr wäre, hätte von früh bis spät alle Hände voll zu thun. Aber es hält schwer, die Leute zu zwingen, mit ihren schönen Siebensachen herauszurücken. Dies Nürnberg ist eine Welt voll Kunstfleiß, aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/321>, abgerufen am 23.07.2024.