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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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serm Wege findet. Wir stören Niemand, kränken Niemand. Wir
reichen nur die Hand, wo man sie uns bietet, sammeln das Zer¬
streute, das sich zu uns flüchtet, drücken das Verlorene an's Herz,
wenn es sich wieder zu uns findet. Kiüvil vvuia!

-- Soviel ich weiß, sagt' ich, suchen die Freimaurer einen Bru.
derbund unter Menschen, gleichviel wes Glaubens Kinder sie sind,
welchem Volke, welchem Lande sie angehören. Der Mensch will
den Menschen finden. Das ist, wie ich denk', der Zweck ihrer edlen,
schönen Vereinigung.

-- Was die Deutschen thun, sagte Burkhardt, daS thun sie im¬
mer als Menschen. Sie kommen heimlich zusammen, legen drau-
sM Pantoffel, Perrücken und Vorurtheile ab, schließen die Thüre
hinter sich zu, lauschen noch einmal durch's Schlüsselloch und reichen
sich dann großartig im Stillen als Menschen die Hand. Sie sind
"als Menschen" so lieb und gut! Nachher aber, im Handeln und
Wandeln, Thun und Treiben, draußen auf der Gasse, reitet jeder
immerdar seinen ganz besondern steifen Gaul und die Perrücke sitzt
ihm wie angegossen aus dem Schädel! Es sind nur Inoill", iatvrvall-l,
wenn sie sich so universell als Menschen fühlen, Sonntagsgedanken,
Festtagskleider! Montags aber zieht jeder wieder seinen Schmierkittel
an und dann geht's die ganze Woche über so feindselig unter ihnen
her, als wär' dies heilige römische Reich schier ein Wespennest!

-- Ist Pastor Dreykorn Maurer? fragt' ich.

-- El, was habt Ihr 'ne lose Zunge! schalt der Alte.

-- Was kümmert's mich! Meinetwegen ist er ein Rosenkreu¬
zer! --

Der Wagen hielt an der Jakobspfarre, wo Pastor Dreykorn
haust. Ein altes graues Gemäuer, den Bollwerken ähnlich, in wel¬
chen sich weiland die deutschen Ritter verschanzten, nahm uns auf
in seine wüsten Räume. Die eisenbeschlagene Thür fuhr rasselnd
hinter uns zu, wir standen in einem weiten Vorsaal mit Estrich am
wellenförmigen Boden, mit zerbröckelter Stnccatur am Sims; in den
Kreuzgängen, die nach beiden Seiten hinunterliefen, hallte unser Tritt
dröhnend nach und wenn man erschreckt hinter sich blickte, schien der
Boden sich heben, die alten steinernen Gestalten aus den Nischen
treten zu wollen. In die oberen Räume führte eine kleine seltsam
geschnitzte Wendeltreppe, die man wie eine Zugbrücke hinter sich auf-


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serm Wege findet. Wir stören Niemand, kränken Niemand. Wir
reichen nur die Hand, wo man sie uns bietet, sammeln das Zer¬
streute, das sich zu uns flüchtet, drücken das Verlorene an's Herz,
wenn es sich wieder zu uns findet. Kiüvil vvuia!

— Soviel ich weiß, sagt' ich, suchen die Freimaurer einen Bru.
derbund unter Menschen, gleichviel wes Glaubens Kinder sie sind,
welchem Volke, welchem Lande sie angehören. Der Mensch will
den Menschen finden. Das ist, wie ich denk', der Zweck ihrer edlen,
schönen Vereinigung.

— Was die Deutschen thun, sagte Burkhardt, daS thun sie im¬
mer als Menschen. Sie kommen heimlich zusammen, legen drau-
sM Pantoffel, Perrücken und Vorurtheile ab, schließen die Thüre
hinter sich zu, lauschen noch einmal durch's Schlüsselloch und reichen
sich dann großartig im Stillen als Menschen die Hand. Sie sind
„als Menschen" so lieb und gut! Nachher aber, im Handeln und
Wandeln, Thun und Treiben, draußen auf der Gasse, reitet jeder
immerdar seinen ganz besondern steifen Gaul und die Perrücke sitzt
ihm wie angegossen aus dem Schädel! Es sind nur Inoill», iatvrvall-l,
wenn sie sich so universell als Menschen fühlen, Sonntagsgedanken,
Festtagskleider! Montags aber zieht jeder wieder seinen Schmierkittel
an und dann geht's die ganze Woche über so feindselig unter ihnen
her, als wär' dies heilige römische Reich schier ein Wespennest!

— Ist Pastor Dreykorn Maurer? fragt' ich.

— El, was habt Ihr 'ne lose Zunge! schalt der Alte.

— Was kümmert's mich! Meinetwegen ist er ein Rosenkreu¬
zer! —

Der Wagen hielt an der Jakobspfarre, wo Pastor Dreykorn
haust. Ein altes graues Gemäuer, den Bollwerken ähnlich, in wel¬
chen sich weiland die deutschen Ritter verschanzten, nahm uns auf
in seine wüsten Räume. Die eisenbeschlagene Thür fuhr rasselnd
hinter uns zu, wir standen in einem weiten Vorsaal mit Estrich am
wellenförmigen Boden, mit zerbröckelter Stnccatur am Sims; in den
Kreuzgängen, die nach beiden Seiten hinunterliefen, hallte unser Tritt
dröhnend nach und wenn man erschreckt hinter sich blickte, schien der
Boden sich heben, die alten steinernen Gestalten aus den Nischen
treten zu wollen. In die oberen Räume führte eine kleine seltsam
geschnitzte Wendeltreppe, die man wie eine Zugbrücke hinter sich auf-


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[0317] serm Wege findet. Wir stören Niemand, kränken Niemand. Wir reichen nur die Hand, wo man sie uns bietet, sammeln das Zer¬ streute, das sich zu uns flüchtet, drücken das Verlorene an's Herz, wenn es sich wieder zu uns findet. Kiüvil vvuia! — Soviel ich weiß, sagt' ich, suchen die Freimaurer einen Bru. derbund unter Menschen, gleichviel wes Glaubens Kinder sie sind, welchem Volke, welchem Lande sie angehören. Der Mensch will den Menschen finden. Das ist, wie ich denk', der Zweck ihrer edlen, schönen Vereinigung. — Was die Deutschen thun, sagte Burkhardt, daS thun sie im¬ mer als Menschen. Sie kommen heimlich zusammen, legen drau- sM Pantoffel, Perrücken und Vorurtheile ab, schließen die Thüre hinter sich zu, lauschen noch einmal durch's Schlüsselloch und reichen sich dann großartig im Stillen als Menschen die Hand. Sie sind „als Menschen" so lieb und gut! Nachher aber, im Handeln und Wandeln, Thun und Treiben, draußen auf der Gasse, reitet jeder immerdar seinen ganz besondern steifen Gaul und die Perrücke sitzt ihm wie angegossen aus dem Schädel! Es sind nur Inoill», iatvrvall-l, wenn sie sich so universell als Menschen fühlen, Sonntagsgedanken, Festtagskleider! Montags aber zieht jeder wieder seinen Schmierkittel an und dann geht's die ganze Woche über so feindselig unter ihnen her, als wär' dies heilige römische Reich schier ein Wespennest! — Ist Pastor Dreykorn Maurer? fragt' ich. — El, was habt Ihr 'ne lose Zunge! schalt der Alte. — Was kümmert's mich! Meinetwegen ist er ein Rosenkreu¬ zer! — Der Wagen hielt an der Jakobspfarre, wo Pastor Dreykorn haust. Ein altes graues Gemäuer, den Bollwerken ähnlich, in wel¬ chen sich weiland die deutschen Ritter verschanzten, nahm uns auf in seine wüsten Räume. Die eisenbeschlagene Thür fuhr rasselnd hinter uns zu, wir standen in einem weiten Vorsaal mit Estrich am wellenförmigen Boden, mit zerbröckelter Stnccatur am Sims; in den Kreuzgängen, die nach beiden Seiten hinunterliefen, hallte unser Tritt dröhnend nach und wenn man erschreckt hinter sich blickte, schien der Boden sich heben, die alten steinernen Gestalten aus den Nischen treten zu wollen. In die oberen Räume führte eine kleine seltsam geschnitzte Wendeltreppe, die man wie eine Zugbrücke hinter sich auf- 40»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/317>, abgerufen am 23.07.2024.