Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

bäume wird uns diese Landgondcl auch noch über den Kopf zusam¬
menbrechen!

Die Karosse hielt; und der letzte Schlagbaum der vorsichtig
verwahrten freien Reichsstadt erweckte die Hoffnung, daß Gepäck und
Papiere hier zum letzten Male untersucht werden mochten.

-- Zwei erzkatholische Seelen! lachte Burkhardt vor sich hin,
als der roth- und weißgestickte Sergeant uns offenherzig die Frage
vorlegte, ob wir keine verbotene Waare einschleppten. Fire Luft,
sagte der Pater, mit der wir Euer ketzerisches Nest noch in die Höhe
zu sprengen gedenken!

Bald seufzend, bald lachend wand er sich zum Wagen hinaus,
um in's Zollhaus zu treten. Wir waren jedoch der Weitläufigkeiten
schnell überhoben; unser braver Pastor Dreykorn hatte für uns gut
gesagt und so öffneten sich uns dann, ob wir gleich als reformirte
Christen im Rathsbuche verzeichnet wurden, die schweren eisernen
Riegel des großen lutherischen Burgverließes. Je strenger die Gesetze,
desto leichter die Umgehung, und so hielten wir ungehindert unsern
Einzug in die merkwürdige Stadt, in der jedes Haus mit seinen
eckigen Schnörkeleien an die Verse des wunderbaren Schusters Haus
Sachs, jeder scharfkantig hervorspringende Giebel und Erker an ein
Bild vom Meister Albrecht Dürer erinnert. Alles hier ist so hölzern
und knöchern, wie jener dichtete, dieser malte, und doch waltet in Allein
die stille Erhabenheit einer rührenden Einfalt der Seele. So in
aller Demuth stark, simpel, aber kräftig, hausbacken, aber ehrlich treu:
mich dünkt, wenn das orthodoxes Lutherthum ist, so wird mir's
wohl gefallen in der guten Stadt Nürnberg.

-- Ihr seid schon zum Nürnberger reif! lachte Burkhardt. Laßt
Euch vom Pastor Dreykorn in den großen heimlichen Bund der
Menschenfreunde aufnehmen! Ich gehe ohnedies weiter hinein in'S
Land. -- Er hatte nur schon früher davon erzählt, daß Nürnberg der
Mittelpunkt einer großen Verbrüderung sei, die sich durch ganz
Deutschland erstreckte und zu der sich Mitglieder aller Religionen be¬
kennten. Die Aufklärung birgt sich in Deutschland wie das erste
Christenthum in stillen Höhlen, die man Freimaurerlogen nennt.
Seid Ihr ein Maurer? fragt' ich Burkhardt.

^- Phe! erwiederte er mit komischer Grandezza. Stumm wie
ein Fisch! Laßt Euch nur aufnehmen, es wird zu Eueren Phantasien


Vircnzlwtc", II. 40

bäume wird uns diese Landgondcl auch noch über den Kopf zusam¬
menbrechen!

Die Karosse hielt; und der letzte Schlagbaum der vorsichtig
verwahrten freien Reichsstadt erweckte die Hoffnung, daß Gepäck und
Papiere hier zum letzten Male untersucht werden mochten.

— Zwei erzkatholische Seelen! lachte Burkhardt vor sich hin,
als der roth- und weißgestickte Sergeant uns offenherzig die Frage
vorlegte, ob wir keine verbotene Waare einschleppten. Fire Luft,
sagte der Pater, mit der wir Euer ketzerisches Nest noch in die Höhe
zu sprengen gedenken!

Bald seufzend, bald lachend wand er sich zum Wagen hinaus,
um in's Zollhaus zu treten. Wir waren jedoch der Weitläufigkeiten
schnell überhoben; unser braver Pastor Dreykorn hatte für uns gut
gesagt und so öffneten sich uns dann, ob wir gleich als reformirte
Christen im Rathsbuche verzeichnet wurden, die schweren eisernen
Riegel des großen lutherischen Burgverließes. Je strenger die Gesetze,
desto leichter die Umgehung, und so hielten wir ungehindert unsern
Einzug in die merkwürdige Stadt, in der jedes Haus mit seinen
eckigen Schnörkeleien an die Verse des wunderbaren Schusters Haus
Sachs, jeder scharfkantig hervorspringende Giebel und Erker an ein
Bild vom Meister Albrecht Dürer erinnert. Alles hier ist so hölzern
und knöchern, wie jener dichtete, dieser malte, und doch waltet in Allein
die stille Erhabenheit einer rührenden Einfalt der Seele. So in
aller Demuth stark, simpel, aber kräftig, hausbacken, aber ehrlich treu:
mich dünkt, wenn das orthodoxes Lutherthum ist, so wird mir's
wohl gefallen in der guten Stadt Nürnberg.

— Ihr seid schon zum Nürnberger reif! lachte Burkhardt. Laßt
Euch vom Pastor Dreykorn in den großen heimlichen Bund der
Menschenfreunde aufnehmen! Ich gehe ohnedies weiter hinein in'S
Land. — Er hatte nur schon früher davon erzählt, daß Nürnberg der
Mittelpunkt einer großen Verbrüderung sei, die sich durch ganz
Deutschland erstreckte und zu der sich Mitglieder aller Religionen be¬
kennten. Die Aufklärung birgt sich in Deutschland wie das erste
Christenthum in stillen Höhlen, die man Freimaurerlogen nennt.
Seid Ihr ein Maurer? fragt' ich Burkhardt.

^- Phe! erwiederte er mit komischer Grandezza. Stumm wie
ein Fisch! Laßt Euch nur aufnehmen, es wird zu Eueren Phantasien


Vircnzlwtc», II. 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269730"/>
            <p xml:id="ID_893" prev="#ID_892"> bäume wird uns diese Landgondcl auch noch über den Kopf zusam¬<lb/>
menbrechen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_894"> Die Karosse hielt; und der letzte Schlagbaum der vorsichtig<lb/>
verwahrten freien Reichsstadt erweckte die Hoffnung, daß Gepäck und<lb/>
Papiere hier zum letzten Male untersucht werden mochten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_895"> &#x2014; Zwei erzkatholische Seelen! lachte Burkhardt vor sich hin,<lb/>
als der roth- und weißgestickte Sergeant uns offenherzig die Frage<lb/>
vorlegte, ob wir keine verbotene Waare einschleppten. Fire Luft,<lb/>
sagte der Pater, mit der wir Euer ketzerisches Nest noch in die Höhe<lb/>
zu sprengen gedenken!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_896"> Bald seufzend, bald lachend wand er sich zum Wagen hinaus,<lb/>
um in's Zollhaus zu treten. Wir waren jedoch der Weitläufigkeiten<lb/>
schnell überhoben; unser braver Pastor Dreykorn hatte für uns gut<lb/>
gesagt und so öffneten sich uns dann, ob wir gleich als reformirte<lb/>
Christen im Rathsbuche verzeichnet wurden, die schweren eisernen<lb/>
Riegel des großen lutherischen Burgverließes. Je strenger die Gesetze,<lb/>
desto leichter die Umgehung, und so hielten wir ungehindert unsern<lb/>
Einzug in die merkwürdige Stadt, in der jedes Haus mit seinen<lb/>
eckigen Schnörkeleien an die Verse des wunderbaren Schusters Haus<lb/>
Sachs, jeder scharfkantig hervorspringende Giebel und Erker an ein<lb/>
Bild vom Meister Albrecht Dürer erinnert. Alles hier ist so hölzern<lb/>
und knöchern, wie jener dichtete, dieser malte, und doch waltet in Allein<lb/>
die stille Erhabenheit einer rührenden Einfalt der Seele. So in<lb/>
aller Demuth stark, simpel, aber kräftig, hausbacken, aber ehrlich treu:<lb/>
mich dünkt, wenn das orthodoxes Lutherthum ist, so wird mir's<lb/>
wohl gefallen in der guten Stadt Nürnberg.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_897"> &#x2014; Ihr seid schon zum Nürnberger reif! lachte Burkhardt. Laßt<lb/>
Euch vom Pastor Dreykorn in den großen heimlichen Bund der<lb/>
Menschenfreunde aufnehmen! Ich gehe ohnedies weiter hinein in'S<lb/>
Land. &#x2014; Er hatte nur schon früher davon erzählt, daß Nürnberg der<lb/>
Mittelpunkt einer großen Verbrüderung sei, die sich durch ganz<lb/>
Deutschland erstreckte und zu der sich Mitglieder aller Religionen be¬<lb/>
kennten. Die Aufklärung birgt sich in Deutschland wie das erste<lb/>
Christenthum in stillen Höhlen, die man Freimaurerlogen nennt.<lb/>
Seid Ihr ein Maurer? fragt' ich Burkhardt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_898" next="#ID_899"> ^- Phe! erwiederte er mit komischer Grandezza. Stumm wie<lb/>
ein Fisch! Laßt Euch nur aufnehmen, es wird zu Eueren Phantasien</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Vircnzlwtc», II. 40</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] bäume wird uns diese Landgondcl auch noch über den Kopf zusam¬ menbrechen! Die Karosse hielt; und der letzte Schlagbaum der vorsichtig verwahrten freien Reichsstadt erweckte die Hoffnung, daß Gepäck und Papiere hier zum letzten Male untersucht werden mochten. — Zwei erzkatholische Seelen! lachte Burkhardt vor sich hin, als der roth- und weißgestickte Sergeant uns offenherzig die Frage vorlegte, ob wir keine verbotene Waare einschleppten. Fire Luft, sagte der Pater, mit der wir Euer ketzerisches Nest noch in die Höhe zu sprengen gedenken! Bald seufzend, bald lachend wand er sich zum Wagen hinaus, um in's Zollhaus zu treten. Wir waren jedoch der Weitläufigkeiten schnell überhoben; unser braver Pastor Dreykorn hatte für uns gut gesagt und so öffneten sich uns dann, ob wir gleich als reformirte Christen im Rathsbuche verzeichnet wurden, die schweren eisernen Riegel des großen lutherischen Burgverließes. Je strenger die Gesetze, desto leichter die Umgehung, und so hielten wir ungehindert unsern Einzug in die merkwürdige Stadt, in der jedes Haus mit seinen eckigen Schnörkeleien an die Verse des wunderbaren Schusters Haus Sachs, jeder scharfkantig hervorspringende Giebel und Erker an ein Bild vom Meister Albrecht Dürer erinnert. Alles hier ist so hölzern und knöchern, wie jener dichtete, dieser malte, und doch waltet in Allein die stille Erhabenheit einer rührenden Einfalt der Seele. So in aller Demuth stark, simpel, aber kräftig, hausbacken, aber ehrlich treu: mich dünkt, wenn das orthodoxes Lutherthum ist, so wird mir's wohl gefallen in der guten Stadt Nürnberg. — Ihr seid schon zum Nürnberger reif! lachte Burkhardt. Laßt Euch vom Pastor Dreykorn in den großen heimlichen Bund der Menschenfreunde aufnehmen! Ich gehe ohnedies weiter hinein in'S Land. — Er hatte nur schon früher davon erzählt, daß Nürnberg der Mittelpunkt einer großen Verbrüderung sei, die sich durch ganz Deutschland erstreckte und zu der sich Mitglieder aller Religionen be¬ kennten. Die Aufklärung birgt sich in Deutschland wie das erste Christenthum in stillen Höhlen, die man Freimaurerlogen nennt. Seid Ihr ein Maurer? fragt' ich Burkhardt. ^- Phe! erwiederte er mit komischer Grandezza. Stumm wie ein Fisch! Laßt Euch nur aufnehmen, es wird zu Eueren Phantasien Vircnzlwtc», II. 40

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/315>, abgerufen am 23.07.2024.