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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zahlreiche Divans entgegenwirken, von denen man mit Bequemlichkeit
die dusterfüllten Räume mit ihrer bunten Menschenmenge überblicken
kann. Wer diese Galerien in beiden Etagen, aus welchen zugleich
soupirt wird, langsamen Schrittes durchwandelt und sich die Sitzenden
und Gehenden besieht, wird kaum in einer vollen Stunde seine Wan¬
derung zurückgelegt haben. Doch alle diese Vorzüge haben die 4WV
Besucher dieses Locales über die Entbehrungen nicht getröstet, die sie in
der That erdulden mußten und wohin man namentlich den Mangel
eines Rauchzimmers rechnet. -- Es ist unverantwortlich, wie nachläs¬
sig unsere Polizei sich bei der Prüfung solcher Anstalten benimmt,
welche dem Vergnügen des Publicums dienen sollen; man scheint dabei
lediglich von der Voraussetzung auszugehen, für die Ballfreunde müsse
Alles gut sein. Ware dem nicht so, würden unmöglich derlei bedauer¬
liche Störungen vorfallen können, wie sie am Abende des Eröffnungs¬
tages wirklich vorgefallen sind und welche sogar die Einschreitung einer
bedeutenden militärischen Hilfe nothwendig machten. Womit will man
die unbegreifliche Nachlässigkeit entschuldigen, daß die hiesige Bau¬
polizei dulden konnte, bei einem Ballsaal von diesem Umfang, der an
Personen fassen kann, blos ein einziges Garderobezimmer an¬
zulegen, dessen Thüre obendrein der Oeffnung eines Hundcstalles
gleicht? Nimmt man an, daß die Besorgung eines Mantels u. dergl.
blos eine halbe Minute in Anspruch nimmt, so sind bei einer Anzahl
von 4lM Vallgästen schon 33 Stunden erforderlich! So mußte es
wohl geschehen, daß eine förmliche Mäntelemeute ausbrach, bei der
trotzdem, daß die Soldaten zur Aufpflanzung der Bajonette comman¬
dier wurden, in Folge der Kolbenstöße mehrfache Verwundungen Statt
gefunden haben sollen. Viele ergrissen den vernünftigsten Ausweg und
fuhren ohne Oberrock von bannen und ließen erst am folgenden Tage
ihre Kleidungsstücke bei der Polizei requiriren.

In der letztern Zeit hat der Tod wieder starke Ernte gehalten
und dabei auch manchen Baum entwurz.le, der ein Lebensbaum für
Wissenschaft und Kunst gewesen und dessen Schatten die Zurückgeblie¬
benen schmerzlich vermissen werden. Dies gilt ganz vorzüglich von
dem kunstreichen Professor Dr. Berres, der als erster Professor an der
Hochschule segensvoll wirkte und eine der ersten Zierden der medicini¬
schen Facultät war, die noch immer die Glanzseite unserer Universität
bildet. Er war ein echter Priester der Wissenschaft, rastlos und viel¬
seitig und dabei von den liebenswürdigsten Sitten. Aus Göding in
Mähren gebürtig, schwang er sich vom einfachen Badergehilfen zu der
ansehnlichen Stellung empor, die er bei seinem frühzeitigen Hintritt
einnahm. In dem Alter von 21 Jahren, 1817, wurde er bereits
Professor der Anatomie an der Hochschule zu Lemberg und kam I83V
in gleicher Eigenschaft an die Wiener Universität. Sein großes und
eigentliches Lebenswerk ist die "Anthropotomie", die besonders in der


zahlreiche Divans entgegenwirken, von denen man mit Bequemlichkeit
die dusterfüllten Räume mit ihrer bunten Menschenmenge überblicken
kann. Wer diese Galerien in beiden Etagen, aus welchen zugleich
soupirt wird, langsamen Schrittes durchwandelt und sich die Sitzenden
und Gehenden besieht, wird kaum in einer vollen Stunde seine Wan¬
derung zurückgelegt haben. Doch alle diese Vorzüge haben die 4WV
Besucher dieses Locales über die Entbehrungen nicht getröstet, die sie in
der That erdulden mußten und wohin man namentlich den Mangel
eines Rauchzimmers rechnet. — Es ist unverantwortlich, wie nachläs¬
sig unsere Polizei sich bei der Prüfung solcher Anstalten benimmt,
welche dem Vergnügen des Publicums dienen sollen; man scheint dabei
lediglich von der Voraussetzung auszugehen, für die Ballfreunde müsse
Alles gut sein. Ware dem nicht so, würden unmöglich derlei bedauer¬
liche Störungen vorfallen können, wie sie am Abende des Eröffnungs¬
tages wirklich vorgefallen sind und welche sogar die Einschreitung einer
bedeutenden militärischen Hilfe nothwendig machten. Womit will man
die unbegreifliche Nachlässigkeit entschuldigen, daß die hiesige Bau¬
polizei dulden konnte, bei einem Ballsaal von diesem Umfang, der an
Personen fassen kann, blos ein einziges Garderobezimmer an¬
zulegen, dessen Thüre obendrein der Oeffnung eines Hundcstalles
gleicht? Nimmt man an, daß die Besorgung eines Mantels u. dergl.
blos eine halbe Minute in Anspruch nimmt, so sind bei einer Anzahl
von 4lM Vallgästen schon 33 Stunden erforderlich! So mußte es
wohl geschehen, daß eine förmliche Mäntelemeute ausbrach, bei der
trotzdem, daß die Soldaten zur Aufpflanzung der Bajonette comman¬
dier wurden, in Folge der Kolbenstöße mehrfache Verwundungen Statt
gefunden haben sollen. Viele ergrissen den vernünftigsten Ausweg und
fuhren ohne Oberrock von bannen und ließen erst am folgenden Tage
ihre Kleidungsstücke bei der Polizei requiriren.

In der letztern Zeit hat der Tod wieder starke Ernte gehalten
und dabei auch manchen Baum entwurz.le, der ein Lebensbaum für
Wissenschaft und Kunst gewesen und dessen Schatten die Zurückgeblie¬
benen schmerzlich vermissen werden. Dies gilt ganz vorzüglich von
dem kunstreichen Professor Dr. Berres, der als erster Professor an der
Hochschule segensvoll wirkte und eine der ersten Zierden der medicini¬
schen Facultät war, die noch immer die Glanzseite unserer Universität
bildet. Er war ein echter Priester der Wissenschaft, rastlos und viel¬
seitig und dabei von den liebenswürdigsten Sitten. Aus Göding in
Mähren gebürtig, schwang er sich vom einfachen Badergehilfen zu der
ansehnlichen Stellung empor, die er bei seinem frühzeitigen Hintritt
einnahm. In dem Alter von 21 Jahren, 1817, wurde er bereits
Professor der Anatomie an der Hochschule zu Lemberg und kam I83V
in gleicher Eigenschaft an die Wiener Universität. Sein großes und
eigentliches Lebenswerk ist die „Anthropotomie", die besonders in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/282>, abgerufen am 22.07.2024.