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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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der Hut und meint, sie kämen hierher, um die Überlegenheit ihrer
norddeutschen Bildung zu zeigen und die Einheimischen aus ihren
Stellungen zu verdrängen, während doch die Annahme, daß sie von
den Liebenswürdigkeiten Münchens und von einem wirklichen Interesse
für die Stadt sich angezogen fühlen, bei weitem näher liegt. Trotz¬
dem ist eS Thatsache, daß hier viel mehr außerbaierische Deutsche in
öffentlicher Wirksamkeit sind, als z. B. in dem sonst so geschmeidigen
und liberalen Sachsen außersächsische. In dieser Hinsicht darf Preu¬
ßen allen deutschen Staaten, Berlin allen deutschen Städten Muster
sein. Man fragt da nicht: woher des Landes? man fragt da nur
nach der Intelligenz und moralischen Tüchtigkeit. Ueber diesem wahr¬
haft großstädtischen und großstaatischen Zug sollte man billigerweise
so manche weit verschriene unliebenswürdige Eigenschaft der Ber¬
liner vergessen. Freilich sind in Deutschland die moralischen Tugen¬
den und Untugenden sehr ungleichmäßig vertheilt, und die einfach
tiefe Natur des Schwaben läßt sich mit der beweglichen, geistig co-
quetren Natur des Berliners in einem und demselben Individuum
vereint gar nicht denken. Was den Baier betrifft, so ist sein Ver¬
trauen zu erwecken schwer, aber auch eben so schwer es zu verlieren.
Er macht nicht viel Worte, aber sein Wort hält er in Ehren. Mög¬
lich, daß auch hier wie überall die echte Biederkeit nicht die Regel
ist, aber sie ist wenigstens als Ausnahme häufiger als in vielen an¬
deren deutschen Gegenden von höherer Allgemeincultur.

Wer in seinem Vertrauen auf die Menschheit erschüttert ist', der
komme nur dreist hierher, wenn an ihm der moderne Culturfirniß
den menschlichen Kern nicht zu sehr überdeckt hat; er wird, bei eini¬
germaßen günstige,, Umständen, redliche Seelen genug finden, welche
sein vom Hagelschlage bitterer Erfahrungen niedergeschmettertes Men¬
schenvertrauen wieder aufrichten werden. Mit dieser in sich abge¬
schlossenen Ehrenhaftigkeit der besseren Altbaiern steht auch ihre Ab¬
geschlossenheit gegen die Presse in einem Zusammenhange, den sich
der Denkende leicht wird enträthseln können.

Indeß erlaube man mir, da ich gegenwärtig gerade mit einem
sehr wahren Märchen: "Von der häßlichen Frau Wahrheit, die von
Haus und Hof vertrieben wurde," beschäftigt bin, diese Abtheilung
meiner Münchner Skizzen mit einer Rhapsodie über die Wahrheit
abzuschließen. Die Wahrheit ist eigentlich ein garstiges Geschöpf;


der Hut und meint, sie kämen hierher, um die Überlegenheit ihrer
norddeutschen Bildung zu zeigen und die Einheimischen aus ihren
Stellungen zu verdrängen, während doch die Annahme, daß sie von
den Liebenswürdigkeiten Münchens und von einem wirklichen Interesse
für die Stadt sich angezogen fühlen, bei weitem näher liegt. Trotz¬
dem ist eS Thatsache, daß hier viel mehr außerbaierische Deutsche in
öffentlicher Wirksamkeit sind, als z. B. in dem sonst so geschmeidigen
und liberalen Sachsen außersächsische. In dieser Hinsicht darf Preu¬
ßen allen deutschen Staaten, Berlin allen deutschen Städten Muster
sein. Man fragt da nicht: woher des Landes? man fragt da nur
nach der Intelligenz und moralischen Tüchtigkeit. Ueber diesem wahr¬
haft großstädtischen und großstaatischen Zug sollte man billigerweise
so manche weit verschriene unliebenswürdige Eigenschaft der Ber¬
liner vergessen. Freilich sind in Deutschland die moralischen Tugen¬
den und Untugenden sehr ungleichmäßig vertheilt, und die einfach
tiefe Natur des Schwaben läßt sich mit der beweglichen, geistig co-
quetren Natur des Berliners in einem und demselben Individuum
vereint gar nicht denken. Was den Baier betrifft, so ist sein Ver¬
trauen zu erwecken schwer, aber auch eben so schwer es zu verlieren.
Er macht nicht viel Worte, aber sein Wort hält er in Ehren. Mög¬
lich, daß auch hier wie überall die echte Biederkeit nicht die Regel
ist, aber sie ist wenigstens als Ausnahme häufiger als in vielen an¬
deren deutschen Gegenden von höherer Allgemeincultur.

Wer in seinem Vertrauen auf die Menschheit erschüttert ist', der
komme nur dreist hierher, wenn an ihm der moderne Culturfirniß
den menschlichen Kern nicht zu sehr überdeckt hat; er wird, bei eini¬
germaßen günstige,, Umständen, redliche Seelen genug finden, welche
sein vom Hagelschlage bitterer Erfahrungen niedergeschmettertes Men¬
schenvertrauen wieder aufrichten werden. Mit dieser in sich abge¬
schlossenen Ehrenhaftigkeit der besseren Altbaiern steht auch ihre Ab¬
geschlossenheit gegen die Presse in einem Zusammenhange, den sich
der Denkende leicht wird enträthseln können.

Indeß erlaube man mir, da ich gegenwärtig gerade mit einem
sehr wahren Märchen: „Von der häßlichen Frau Wahrheit, die von
Haus und Hof vertrieben wurde," beschäftigt bin, diese Abtheilung
meiner Münchner Skizzen mit einer Rhapsodie über die Wahrheit
abzuschließen. Die Wahrheit ist eigentlich ein garstiges Geschöpf;


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[0272] der Hut und meint, sie kämen hierher, um die Überlegenheit ihrer norddeutschen Bildung zu zeigen und die Einheimischen aus ihren Stellungen zu verdrängen, während doch die Annahme, daß sie von den Liebenswürdigkeiten Münchens und von einem wirklichen Interesse für die Stadt sich angezogen fühlen, bei weitem näher liegt. Trotz¬ dem ist eS Thatsache, daß hier viel mehr außerbaierische Deutsche in öffentlicher Wirksamkeit sind, als z. B. in dem sonst so geschmeidigen und liberalen Sachsen außersächsische. In dieser Hinsicht darf Preu¬ ßen allen deutschen Staaten, Berlin allen deutschen Städten Muster sein. Man fragt da nicht: woher des Landes? man fragt da nur nach der Intelligenz und moralischen Tüchtigkeit. Ueber diesem wahr¬ haft großstädtischen und großstaatischen Zug sollte man billigerweise so manche weit verschriene unliebenswürdige Eigenschaft der Ber¬ liner vergessen. Freilich sind in Deutschland die moralischen Tugen¬ den und Untugenden sehr ungleichmäßig vertheilt, und die einfach tiefe Natur des Schwaben läßt sich mit der beweglichen, geistig co- quetren Natur des Berliners in einem und demselben Individuum vereint gar nicht denken. Was den Baier betrifft, so ist sein Ver¬ trauen zu erwecken schwer, aber auch eben so schwer es zu verlieren. Er macht nicht viel Worte, aber sein Wort hält er in Ehren. Mög¬ lich, daß auch hier wie überall die echte Biederkeit nicht die Regel ist, aber sie ist wenigstens als Ausnahme häufiger als in vielen an¬ deren deutschen Gegenden von höherer Allgemeincultur. Wer in seinem Vertrauen auf die Menschheit erschüttert ist', der komme nur dreist hierher, wenn an ihm der moderne Culturfirniß den menschlichen Kern nicht zu sehr überdeckt hat; er wird, bei eini¬ germaßen günstige,, Umständen, redliche Seelen genug finden, welche sein vom Hagelschlage bitterer Erfahrungen niedergeschmettertes Men¬ schenvertrauen wieder aufrichten werden. Mit dieser in sich abge¬ schlossenen Ehrenhaftigkeit der besseren Altbaiern steht auch ihre Ab¬ geschlossenheit gegen die Presse in einem Zusammenhange, den sich der Denkende leicht wird enträthseln können. Indeß erlaube man mir, da ich gegenwärtig gerade mit einem sehr wahren Märchen: „Von der häßlichen Frau Wahrheit, die von Haus und Hof vertrieben wurde," beschäftigt bin, diese Abtheilung meiner Münchner Skizzen mit einer Rhapsodie über die Wahrheit abzuschließen. Die Wahrheit ist eigentlich ein garstiges Geschöpf;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/272>, abgerufen am 03.07.2024.