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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Auslande wohl kaum eine volle Ahnung von dem Umfang des Schmug-
gelhandelö, wie er bis in die letzte Zeit im Grenzgebiete des Kaiser¬
staates stattfand. Zu Prag, Wien, Trieft und Mailand bestanden
förmliche Niederlagen geschmuggelter Waaren, an welche man sich
blos mit schriftlich ertheilten Anweisungen zu wenden hatte, um sofort
das Begehrte und Bezahlte pünktlich zu erhalten; jeder Reisende war
im weitern oder engern Sinn ein schwarzer, und vorzüglich ward der
Schleichhandel mit leicht zu bergenden Gegenständen, namentlich Uhren,
ein erträglicher Erwerbszweig für die Conducteure der nach Baiern,
Sachsen, Preußen und Trieft fahrenden Eilwagen, so daß gegenwär¬
tig bei der Einfahrt dieser Wagen in Wien jedesmal ein Finanzwächter mit
aufsitzt und den Eonducteur bis in den Posthof begleitet, wo sich
derselbe bis aufs Hemde untersuchen lassen muß, sobald es verlangt
wird. Die Stollengänge der böhmischen Bergwerke im Erzgebirge
wurden sehr lange Zeit hindurch als Schleichwege für die Contre-
bandiers benützt und mochten auf diese Weise oft ergiebiger sein, als
sie es durch ihren Erzreichthum sind. Die lombardischen Provinzen
zumal genossen, Dank dem thätig betriebenen Schmugglcrwesen, eine
ordentliche Unabhängigkeit von der österreichischen Industrie und stan¬
den in dieser Beziehung Lyon und Manchester weit näher, als Wien
und Böhmen. Assecuranzgesellschaften sicherten gegen Geldstrafen der
Zollbehörde, und die Konsumenten mußten in den meisten Fällen die
Unvorsichtigkeit der Schleichhändler bezahlen. Noch jetzt herrscht ein sehr
lebhafter Schleichverkehr an der ungarisch-deutschen Grenze, durch deren
Anwohner, namentlich in Ungarn, wo die Wohlhabenheit weit ge¬
ringer ist; dabei sind die armen Teufel, welche ihre Haut zu Markte
tragen, am meisten zu bedauern, denn sie treiben ihr unehrliches
Handwerk nicht einmal auf eigene Rechnung, sondern gegen einen
bestimmten Taglohn. Wer sich diesem lichtscheuen Gewerbe widmet,
erhält von den Agenten unbekannter Unternehmer eine gewisse Last
Tabak und die Weisung an einen gewissen Kaufmann oder sonstigen
Hehler jenseits der Grenze, nebst ein Paar Zwanziger, die er theils
im Voraus, theils bei der Ablieferung jenes Gures bekommt. Da¬
mit begibt er sich auf den Weg und sucht vorzugsweise die nasse
Grenze, oder schluchtenreiche Landschaft auf, wo die Zollbewachung
spärlicher ist, oder schwieriger. Beim Heranbruch der strengen Jahres¬
zeit, oder wenn sonst in Folge ungünstiger Conjuncturen der Erwerb


Auslande wohl kaum eine volle Ahnung von dem Umfang des Schmug-
gelhandelö, wie er bis in die letzte Zeit im Grenzgebiete des Kaiser¬
staates stattfand. Zu Prag, Wien, Trieft und Mailand bestanden
förmliche Niederlagen geschmuggelter Waaren, an welche man sich
blos mit schriftlich ertheilten Anweisungen zu wenden hatte, um sofort
das Begehrte und Bezahlte pünktlich zu erhalten; jeder Reisende war
im weitern oder engern Sinn ein schwarzer, und vorzüglich ward der
Schleichhandel mit leicht zu bergenden Gegenständen, namentlich Uhren,
ein erträglicher Erwerbszweig für die Conducteure der nach Baiern,
Sachsen, Preußen und Trieft fahrenden Eilwagen, so daß gegenwär¬
tig bei der Einfahrt dieser Wagen in Wien jedesmal ein Finanzwächter mit
aufsitzt und den Eonducteur bis in den Posthof begleitet, wo sich
derselbe bis aufs Hemde untersuchen lassen muß, sobald es verlangt
wird. Die Stollengänge der böhmischen Bergwerke im Erzgebirge
wurden sehr lange Zeit hindurch als Schleichwege für die Contre-
bandiers benützt und mochten auf diese Weise oft ergiebiger sein, als
sie es durch ihren Erzreichthum sind. Die lombardischen Provinzen
zumal genossen, Dank dem thätig betriebenen Schmugglcrwesen, eine
ordentliche Unabhängigkeit von der österreichischen Industrie und stan¬
den in dieser Beziehung Lyon und Manchester weit näher, als Wien
und Böhmen. Assecuranzgesellschaften sicherten gegen Geldstrafen der
Zollbehörde, und die Konsumenten mußten in den meisten Fällen die
Unvorsichtigkeit der Schleichhändler bezahlen. Noch jetzt herrscht ein sehr
lebhafter Schleichverkehr an der ungarisch-deutschen Grenze, durch deren
Anwohner, namentlich in Ungarn, wo die Wohlhabenheit weit ge¬
ringer ist; dabei sind die armen Teufel, welche ihre Haut zu Markte
tragen, am meisten zu bedauern, denn sie treiben ihr unehrliches
Handwerk nicht einmal auf eigene Rechnung, sondern gegen einen
bestimmten Taglohn. Wer sich diesem lichtscheuen Gewerbe widmet,
erhält von den Agenten unbekannter Unternehmer eine gewisse Last
Tabak und die Weisung an einen gewissen Kaufmann oder sonstigen
Hehler jenseits der Grenze, nebst ein Paar Zwanziger, die er theils
im Voraus, theils bei der Ablieferung jenes Gures bekommt. Da¬
mit begibt er sich auf den Weg und sucht vorzugsweise die nasse
Grenze, oder schluchtenreiche Landschaft auf, wo die Zollbewachung
spärlicher ist, oder schwieriger. Beim Heranbruch der strengen Jahres¬
zeit, oder wenn sonst in Folge ungünstiger Conjuncturen der Erwerb


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[0026] Auslande wohl kaum eine volle Ahnung von dem Umfang des Schmug- gelhandelö, wie er bis in die letzte Zeit im Grenzgebiete des Kaiser¬ staates stattfand. Zu Prag, Wien, Trieft und Mailand bestanden förmliche Niederlagen geschmuggelter Waaren, an welche man sich blos mit schriftlich ertheilten Anweisungen zu wenden hatte, um sofort das Begehrte und Bezahlte pünktlich zu erhalten; jeder Reisende war im weitern oder engern Sinn ein schwarzer, und vorzüglich ward der Schleichhandel mit leicht zu bergenden Gegenständen, namentlich Uhren, ein erträglicher Erwerbszweig für die Conducteure der nach Baiern, Sachsen, Preußen und Trieft fahrenden Eilwagen, so daß gegenwär¬ tig bei der Einfahrt dieser Wagen in Wien jedesmal ein Finanzwächter mit aufsitzt und den Eonducteur bis in den Posthof begleitet, wo sich derselbe bis aufs Hemde untersuchen lassen muß, sobald es verlangt wird. Die Stollengänge der böhmischen Bergwerke im Erzgebirge wurden sehr lange Zeit hindurch als Schleichwege für die Contre- bandiers benützt und mochten auf diese Weise oft ergiebiger sein, als sie es durch ihren Erzreichthum sind. Die lombardischen Provinzen zumal genossen, Dank dem thätig betriebenen Schmugglcrwesen, eine ordentliche Unabhängigkeit von der österreichischen Industrie und stan¬ den in dieser Beziehung Lyon und Manchester weit näher, als Wien und Böhmen. Assecuranzgesellschaften sicherten gegen Geldstrafen der Zollbehörde, und die Konsumenten mußten in den meisten Fällen die Unvorsichtigkeit der Schleichhändler bezahlen. Noch jetzt herrscht ein sehr lebhafter Schleichverkehr an der ungarisch-deutschen Grenze, durch deren Anwohner, namentlich in Ungarn, wo die Wohlhabenheit weit ge¬ ringer ist; dabei sind die armen Teufel, welche ihre Haut zu Markte tragen, am meisten zu bedauern, denn sie treiben ihr unehrliches Handwerk nicht einmal auf eigene Rechnung, sondern gegen einen bestimmten Taglohn. Wer sich diesem lichtscheuen Gewerbe widmet, erhält von den Agenten unbekannter Unternehmer eine gewisse Last Tabak und die Weisung an einen gewissen Kaufmann oder sonstigen Hehler jenseits der Grenze, nebst ein Paar Zwanziger, die er theils im Voraus, theils bei der Ablieferung jenes Gures bekommt. Da¬ mit begibt er sich auf den Weg und sucht vorzugsweise die nasse Grenze, oder schluchtenreiche Landschaft auf, wo die Zollbewachung spärlicher ist, oder schwieriger. Beim Heranbruch der strengen Jahres¬ zeit, oder wenn sonst in Folge ungünstiger Conjuncturen der Erwerb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/26>, abgerufen am 22.07.2024.