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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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liebe Bemerkungen darüber; auch wußte er die Entstehung des Festes
sich in seiner possirlichen Art zu deuten. Die Bauern trinken hier
stark ihren braunen Gerstensaft und wenn Einer zu viel des Guten
gethan hat, so sagen sie: er ist selig, oder: er sieht den Himmel für
einen Dudelsack an. "Wenn die Landleute, namentlich zur Winters¬
zeit," erzählte der freundliche Pater Johannes, "auf's Feld gehen, so
zechen sie erst recht tüchtig, und aus solcher Seligkeit stammen viel¬
leicht die vierzehn Heiligen, die im fünfzehnten Jahrhundert einem
Bauern mitten auf dem Felde erschienen." -- So mit Naturgeschichte
und gemüthlichem Bedürfniß Hand in Hand erklären sich die Deutschen
manche ihrer Heiligengeschichten. -- DaS sind freilich nicht die Ger¬
manen, wie ich sie zu finden glaubte!

Am fürstlichen Hofe zu Bamberg ist Nichts von jener schlichten Erha¬
benheit, Nichts von jenem dunklen Tiefsinn, den ich in den rechtgläubigen
Ländern des heiligen römischen Reichs deutscher Nation erwartete. Austen
Petersberge liegt die Residenz des Bischofs von Bamberg, der zugleich
mit Würzburg belehnt ist. Adam Friedrich, ein geborner Graf von
Seinsheim, ist ein Mann der Aufklärung, zieht ausländische Manu-
facturisten herbei und liebt Pracht und ästhetisches Vergnügen. Er
spricht fast nur französisch und seine Günstlinge sind immer einige
Pariser Abbvs, die an seinem Hofe " I>l Volmiro den Schön¬
geist machen. Seine Zeit ist ziemlich regelmäßig auf Jagden, ita¬
lienische Opern und französische Komödien vertheilt. In Pommers-
felden, einem seiner pompösen Lustschlösser, sahen wir neulich ein
Schäferspiel, in welchem sich mein Landsmann, der berühmte Zachini,
bewundern ließ. Auch die Frau des fürstlichen Hofkapellmeisters,
Signora Fracasstni, welche die besondere Gunst Sr. bischöflichen Gna¬
den besitzt, wird als Bravoursängerin gefeiert und von den Herrn am
Hofe vergöttert. Die Musik in den Kirchen ist hier allerorts ganz
opernmäßig, Trabanten mit Stäben stolziren mit großem Schauge¬
pränge in den Hallen auf und ab, während römische Paradesänger
ihre wollüstigen Töne gurgeln. An die Strenge der ambrosianischen
Kirchenregel gewöhnt, wie sie in Mailand herrscht, wo kein üppiger
Geigenton im Tempel Gottes laut werden darf, muß mir die Weltlichkeit
des deutschen Kirchendienstes um so mehr auffallen. Vergeblich hab' ich
bis jetzt aufjene erhabene geistliche Musik gelauscht, an welcher Deutschland
so reich sein soll. Wo find' ich überhaupt den Ernst, der dieser Nation in-


liebe Bemerkungen darüber; auch wußte er die Entstehung des Festes
sich in seiner possirlichen Art zu deuten. Die Bauern trinken hier
stark ihren braunen Gerstensaft und wenn Einer zu viel des Guten
gethan hat, so sagen sie: er ist selig, oder: er sieht den Himmel für
einen Dudelsack an. „Wenn die Landleute, namentlich zur Winters¬
zeit," erzählte der freundliche Pater Johannes, „auf's Feld gehen, so
zechen sie erst recht tüchtig, und aus solcher Seligkeit stammen viel¬
leicht die vierzehn Heiligen, die im fünfzehnten Jahrhundert einem
Bauern mitten auf dem Felde erschienen." — So mit Naturgeschichte
und gemüthlichem Bedürfniß Hand in Hand erklären sich die Deutschen
manche ihrer Heiligengeschichten. — DaS sind freilich nicht die Ger¬
manen, wie ich sie zu finden glaubte!

Am fürstlichen Hofe zu Bamberg ist Nichts von jener schlichten Erha¬
benheit, Nichts von jenem dunklen Tiefsinn, den ich in den rechtgläubigen
Ländern des heiligen römischen Reichs deutscher Nation erwartete. Austen
Petersberge liegt die Residenz des Bischofs von Bamberg, der zugleich
mit Würzburg belehnt ist. Adam Friedrich, ein geborner Graf von
Seinsheim, ist ein Mann der Aufklärung, zieht ausländische Manu-
facturisten herbei und liebt Pracht und ästhetisches Vergnügen. Er
spricht fast nur französisch und seine Günstlinge sind immer einige
Pariser Abbvs, die an seinem Hofe » I>l Volmiro den Schön¬
geist machen. Seine Zeit ist ziemlich regelmäßig auf Jagden, ita¬
lienische Opern und französische Komödien vertheilt. In Pommers-
felden, einem seiner pompösen Lustschlösser, sahen wir neulich ein
Schäferspiel, in welchem sich mein Landsmann, der berühmte Zachini,
bewundern ließ. Auch die Frau des fürstlichen Hofkapellmeisters,
Signora Fracasstni, welche die besondere Gunst Sr. bischöflichen Gna¬
den besitzt, wird als Bravoursängerin gefeiert und von den Herrn am
Hofe vergöttert. Die Musik in den Kirchen ist hier allerorts ganz
opernmäßig, Trabanten mit Stäben stolziren mit großem Schauge¬
pränge in den Hallen auf und ab, während römische Paradesänger
ihre wollüstigen Töne gurgeln. An die Strenge der ambrosianischen
Kirchenregel gewöhnt, wie sie in Mailand herrscht, wo kein üppiger
Geigenton im Tempel Gottes laut werden darf, muß mir die Weltlichkeit
des deutschen Kirchendienstes um so mehr auffallen. Vergeblich hab' ich
bis jetzt aufjene erhabene geistliche Musik gelauscht, an welcher Deutschland
so reich sein soll. Wo find' ich überhaupt den Ernst, der dieser Nation in-


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[0254] liebe Bemerkungen darüber; auch wußte er die Entstehung des Festes sich in seiner possirlichen Art zu deuten. Die Bauern trinken hier stark ihren braunen Gerstensaft und wenn Einer zu viel des Guten gethan hat, so sagen sie: er ist selig, oder: er sieht den Himmel für einen Dudelsack an. „Wenn die Landleute, namentlich zur Winters¬ zeit," erzählte der freundliche Pater Johannes, „auf's Feld gehen, so zechen sie erst recht tüchtig, und aus solcher Seligkeit stammen viel¬ leicht die vierzehn Heiligen, die im fünfzehnten Jahrhundert einem Bauern mitten auf dem Felde erschienen." — So mit Naturgeschichte und gemüthlichem Bedürfniß Hand in Hand erklären sich die Deutschen manche ihrer Heiligengeschichten. — DaS sind freilich nicht die Ger¬ manen, wie ich sie zu finden glaubte! Am fürstlichen Hofe zu Bamberg ist Nichts von jener schlichten Erha¬ benheit, Nichts von jenem dunklen Tiefsinn, den ich in den rechtgläubigen Ländern des heiligen römischen Reichs deutscher Nation erwartete. Austen Petersberge liegt die Residenz des Bischofs von Bamberg, der zugleich mit Würzburg belehnt ist. Adam Friedrich, ein geborner Graf von Seinsheim, ist ein Mann der Aufklärung, zieht ausländische Manu- facturisten herbei und liebt Pracht und ästhetisches Vergnügen. Er spricht fast nur französisch und seine Günstlinge sind immer einige Pariser Abbvs, die an seinem Hofe » I>l Volmiro den Schön¬ geist machen. Seine Zeit ist ziemlich regelmäßig auf Jagden, ita¬ lienische Opern und französische Komödien vertheilt. In Pommers- felden, einem seiner pompösen Lustschlösser, sahen wir neulich ein Schäferspiel, in welchem sich mein Landsmann, der berühmte Zachini, bewundern ließ. Auch die Frau des fürstlichen Hofkapellmeisters, Signora Fracasstni, welche die besondere Gunst Sr. bischöflichen Gna¬ den besitzt, wird als Bravoursängerin gefeiert und von den Herrn am Hofe vergöttert. Die Musik in den Kirchen ist hier allerorts ganz opernmäßig, Trabanten mit Stäben stolziren mit großem Schauge¬ pränge in den Hallen auf und ab, während römische Paradesänger ihre wollüstigen Töne gurgeln. An die Strenge der ambrosianischen Kirchenregel gewöhnt, wie sie in Mailand herrscht, wo kein üppiger Geigenton im Tempel Gottes laut werden darf, muß mir die Weltlichkeit des deutschen Kirchendienstes um so mehr auffallen. Vergeblich hab' ich bis jetzt aufjene erhabene geistliche Musik gelauscht, an welcher Deutschland so reich sein soll. Wo find' ich überhaupt den Ernst, der dieser Nation in-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/254>, abgerufen am 03.07.2024.