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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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einträgt; die Einkünfte und Abgaben beschreibt er daneben im Terte.
Er wies uns auch seine Sammlung von Mineralien und Petrefac-
ten, die er beim Vermessen des Landes zusammentrug, und bei dieser
Veranlassung war es, wo dieser kleine rührige Mann uns unter vier
Augen die Zweifel gegen die Echtheit der Steine in der Monstranz
erhärtete. "Thut Nichts zur Sache!" sagte er mit seinem gutmüthig
listigen Lächeln, "unechte Steine sind doch immer noch mehr werth,
als eine unechte Gurgel des Ritters Sanct Georg und ein falscher
Finger der heiligen Gertrud, was sie beides da drüben im Bamber-
ger Domstift in n-etui'-l aufweisen wollen!" So offen, naiv und
leutselig sind hier Priester der alten Mutterkirche! Ich glaube, sie
wären, wenn man ihre gute Einsicht walten ließe, reif zu einem gu¬
ten Einverständniß mit den christlichen Ketzern. Sie sind aufgeklärt
genug, um ihren Verkehr mit Protestanten in jeder Weise zu pflegen.
Der Dienst im Kloster ist gering, die Observanz nicht streng, man
kann hier ganz seinen Studien leben. In welchen: Zustande dabei
das Volk verbleibt, ist freilich eine andere Frage. Ich fürchte, die
Aufklärung hält sich unter den Deutschen in geschlossenen Logen fest
und erschrickt vor sich selber und dem tausendfachen Zwiespalt, den
sie anregt, wenn sie sich mit scheuem Tritt hinaus in die Wirklichkeit
wagt. Gegen die Mißbräuche erklären sich diese wohlgesinnten Be¬
nediktiner unter einander ganz offen. Dazu gehört hier zu Lande
die Procession nach der Kirche zu den vierzehn Heiligen auf dem
nahen Staffelstein. In Italien ist der Cultus kindisch, in Spanien
fanatisch und blutdürstig, in Deutschland, scheint es, geht er nicht sel¬
ten Hand in Hand mit Vollere! und Ausschweifung. In diesen
Tagen sand hier die Procession statt. Ein Franciscaner führte die
weit und breit herbeigelaufenen Schaaren und gab gleich im Voraus
Absolution für die auf der Wallfahrt selbst begangenen Sünden.
Und daran fehlt es denn auch niemals, wie mir die Patres sagen.
Acht Tage wimmelt es in den Schenken von Trunkenbolden und die
Jungfrauen im Dorfe spüren die Folgen der Wallfahrt noch weit
länger und schwerer. Ich glaube, man nennt das deutsche Gemüth¬
lichkeit. Auch sagen die Deutschen gern, es gehe bei solchen Festen
mitunter recht "ein, imwrv" zu. Diesen Ausdruck gebrauchen die
guten Deutschen selber. Der kleine Mathematikus, der den Dingen
immer auf ihren naturhistorischen Grund geht, machte etwas ärger-


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einträgt; die Einkünfte und Abgaben beschreibt er daneben im Terte.
Er wies uns auch seine Sammlung von Mineralien und Petrefac-
ten, die er beim Vermessen des Landes zusammentrug, und bei dieser
Veranlassung war es, wo dieser kleine rührige Mann uns unter vier
Augen die Zweifel gegen die Echtheit der Steine in der Monstranz
erhärtete. „Thut Nichts zur Sache!" sagte er mit seinem gutmüthig
listigen Lächeln, „unechte Steine sind doch immer noch mehr werth,
als eine unechte Gurgel des Ritters Sanct Georg und ein falscher
Finger der heiligen Gertrud, was sie beides da drüben im Bamber-
ger Domstift in n-etui'-l aufweisen wollen!" So offen, naiv und
leutselig sind hier Priester der alten Mutterkirche! Ich glaube, sie
wären, wenn man ihre gute Einsicht walten ließe, reif zu einem gu¬
ten Einverständniß mit den christlichen Ketzern. Sie sind aufgeklärt
genug, um ihren Verkehr mit Protestanten in jeder Weise zu pflegen.
Der Dienst im Kloster ist gering, die Observanz nicht streng, man
kann hier ganz seinen Studien leben. In welchen: Zustande dabei
das Volk verbleibt, ist freilich eine andere Frage. Ich fürchte, die
Aufklärung hält sich unter den Deutschen in geschlossenen Logen fest
und erschrickt vor sich selber und dem tausendfachen Zwiespalt, den
sie anregt, wenn sie sich mit scheuem Tritt hinaus in die Wirklichkeit
wagt. Gegen die Mißbräuche erklären sich diese wohlgesinnten Be¬
nediktiner unter einander ganz offen. Dazu gehört hier zu Lande
die Procession nach der Kirche zu den vierzehn Heiligen auf dem
nahen Staffelstein. In Italien ist der Cultus kindisch, in Spanien
fanatisch und blutdürstig, in Deutschland, scheint es, geht er nicht sel¬
ten Hand in Hand mit Vollere! und Ausschweifung. In diesen
Tagen sand hier die Procession statt. Ein Franciscaner führte die
weit und breit herbeigelaufenen Schaaren und gab gleich im Voraus
Absolution für die auf der Wallfahrt selbst begangenen Sünden.
Und daran fehlt es denn auch niemals, wie mir die Patres sagen.
Acht Tage wimmelt es in den Schenken von Trunkenbolden und die
Jungfrauen im Dorfe spüren die Folgen der Wallfahrt noch weit
länger und schwerer. Ich glaube, man nennt das deutsche Gemüth¬
lichkeit. Auch sagen die Deutschen gern, es gehe bei solchen Festen
mitunter recht „ein, imwrv" zu. Diesen Ausdruck gebrauchen die
guten Deutschen selber. Der kleine Mathematikus, der den Dingen
immer auf ihren naturhistorischen Grund geht, machte etwas ärger-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/253>, abgerufen am 23.07.2024.