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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Deutsche Scenen ans dem vorigen Jahrhundert.
Nach italienischen Familienpapieren von F. Gustav Kühne.



I.
Von Dambcrg bis Erlangen.

So bin ich denn um mitten in diesem wunderbaren Deutsch,
land, das mir oft genug eben so wunderlich erscheint. "Hier werdet
Ihr Euch wohl fühlen", sagte Pater Burkhardt zu mir, als wir in
dem ersten deutschen Gasthaus unsere Herberge hielten und die ersten
Laute dieser nordischen Barbaren an unser Ohr schlugen. "Hier werdet
Ihr Euch wohl fühlen!" sagte er mit einem Gemisch von Gutmüthig¬
keit und Spott, "hier zu Lande kann Jeder nach seiner Fayon selig
werden!" Es ist dies einer jener Aussprüche des Königs der
Borussen, dessen Witzworte in der ganzen Welt umlaufen. Dieser
Friedrich scheint mit Bonmots aus der Voltaireschen Schule sein
Zeitalter eben so sehr beherrschen zu wollen, als er mit deutscher
Faust Provinzen des heiligen römischen Reiches an sich reißt. Man
rüstet sich abermals gegen ihn, um seinen Anmaßungen zu begegnen,
während man doch an allen Ecken und Enden seinem starken Geiste
huldigt, seine Einfälle bewundert oder belacht. Ich erinnere mich,
daß der Schrecken seines Namens selbst bis nach Rom drang und
der heilige Vater sich ernsthaft bekreuzte, als Monsrgnore Borgia ihm
bei Tische als Würze eines jener vielen Pfefferkörner des königlichen
Witzes anbot. Vielleicht ist es eine Art Rache, daß wir in unserm
Staatskalender diesen Borussenkönig noch immer als einen branden¬
burgischen Marchese aufführen. Freilich bleiben wir damit gar weit
hinter der Weltgeschichte zurück! Wenn wir gewisse heilige Väter be¬
fragen, so ist dieser Friedrich der wahre Antichrist und allcroberster


Grcnzbotc", I8i.-z. I. 32
Deutsche Scenen ans dem vorigen Jahrhundert.
Nach italienischen Familienpapieren von F. Gustav Kühne.



I.
Von Dambcrg bis Erlangen.

So bin ich denn um mitten in diesem wunderbaren Deutsch,
land, das mir oft genug eben so wunderlich erscheint. „Hier werdet
Ihr Euch wohl fühlen", sagte Pater Burkhardt zu mir, als wir in
dem ersten deutschen Gasthaus unsere Herberge hielten und die ersten
Laute dieser nordischen Barbaren an unser Ohr schlugen. „Hier werdet
Ihr Euch wohl fühlen!" sagte er mit einem Gemisch von Gutmüthig¬
keit und Spott, „hier zu Lande kann Jeder nach seiner Fayon selig
werden!" Es ist dies einer jener Aussprüche des Königs der
Borussen, dessen Witzworte in der ganzen Welt umlaufen. Dieser
Friedrich scheint mit Bonmots aus der Voltaireschen Schule sein
Zeitalter eben so sehr beherrschen zu wollen, als er mit deutscher
Faust Provinzen des heiligen römischen Reiches an sich reißt. Man
rüstet sich abermals gegen ihn, um seinen Anmaßungen zu begegnen,
während man doch an allen Ecken und Enden seinem starken Geiste
huldigt, seine Einfälle bewundert oder belacht. Ich erinnere mich,
daß der Schrecken seines Namens selbst bis nach Rom drang und
der heilige Vater sich ernsthaft bekreuzte, als Monsrgnore Borgia ihm
bei Tische als Würze eines jener vielen Pfefferkörner des königlichen
Witzes anbot. Vielleicht ist es eine Art Rache, daß wir in unserm
Staatskalender diesen Borussenkönig noch immer als einen branden¬
burgischen Marchese aufführen. Freilich bleiben wir damit gar weit
hinter der Weltgeschichte zurück! Wenn wir gewisse heilige Väter be¬
fragen, so ist dieser Friedrich der wahre Antichrist und allcroberster


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[0251] Deutsche Scenen ans dem vorigen Jahrhundert. Nach italienischen Familienpapieren von F. Gustav Kühne. I. Von Dambcrg bis Erlangen. So bin ich denn um mitten in diesem wunderbaren Deutsch, land, das mir oft genug eben so wunderlich erscheint. „Hier werdet Ihr Euch wohl fühlen", sagte Pater Burkhardt zu mir, als wir in dem ersten deutschen Gasthaus unsere Herberge hielten und die ersten Laute dieser nordischen Barbaren an unser Ohr schlugen. „Hier werdet Ihr Euch wohl fühlen!" sagte er mit einem Gemisch von Gutmüthig¬ keit und Spott, „hier zu Lande kann Jeder nach seiner Fayon selig werden!" Es ist dies einer jener Aussprüche des Königs der Borussen, dessen Witzworte in der ganzen Welt umlaufen. Dieser Friedrich scheint mit Bonmots aus der Voltaireschen Schule sein Zeitalter eben so sehr beherrschen zu wollen, als er mit deutscher Faust Provinzen des heiligen römischen Reiches an sich reißt. Man rüstet sich abermals gegen ihn, um seinen Anmaßungen zu begegnen, während man doch an allen Ecken und Enden seinem starken Geiste huldigt, seine Einfälle bewundert oder belacht. Ich erinnere mich, daß der Schrecken seines Namens selbst bis nach Rom drang und der heilige Vater sich ernsthaft bekreuzte, als Monsrgnore Borgia ihm bei Tische als Würze eines jener vielen Pfefferkörner des königlichen Witzes anbot. Vielleicht ist es eine Art Rache, daß wir in unserm Staatskalender diesen Borussenkönig noch immer als einen branden¬ burgischen Marchese aufführen. Freilich bleiben wir damit gar weit hinter der Weltgeschichte zurück! Wenn wir gewisse heilige Väter be¬ fragen, so ist dieser Friedrich der wahre Antichrist und allcroberster Grcnzbotc», I8i.-z. I. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/251>, abgerufen am 22.07.2024.