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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zu vergleichen, wie der deutsche Historiker Dahlmann Poetisch wird,
und der englische Dichter sich durch und durch als kühlen Beobachter,
als praktischen Nutzanwendungsmenschen bewahrt. -- Ueberhaupt ist
dieses Buch das beste Supplement zu Dahlmann's Geschicht d
eer
G. englischen Revolution.

-- Es ist immer ergötzlich, wenn sich die beiden Allgemeinen
zanken. Man sollte glauben, Eine werde - der Andern den Spiegel
vorhalten, um ihr die Runzeln ihrer doctrinären Bedächtigkeit, die
schlaffen Auge ihrer diplomatischen Vlasirtheit, um ihr Servilismus :c.
vorzuwerfen? O nein! Beide kommen einander fürchterlich radicalvor!
So wurde unlängst in der Deutschen Allgemeinen die Augsburger von
einem Berliner des Radikalismus beschuldigt, weil sie allerdings in
preußischen Angelegenheiten Momente hat, wo sie mit der Wahrheit
herauszuplatzen droht. Dafür wird in der Augsburger mit jedem Post¬
tag ein ähnlicher Stein auf die Deutsche Allgemeine geworfen, weil
diese aus Oesterreich neben manchem Ungcgründeten öfters sehr
begründete Dinge bringt, die man in Augsburg nicht drucken kann. --
Und Deutschland soll einig werden?!

Was für eine "Erklärung" würde der Doctor Luther los¬
lassen, wenn er jetzt lebte und die Deutsche Allgemeine von voriger
Woche lesen könnte! Da hat Jemand aus Thüringen über Luther's Kraft¬
satz für unbedingte Rede- und Preßfreiheit mit einer Salbung von zwei
Spalten gepredigt und kommt endlich zu dem Resultat, daß Alles
gut ist, wie es ist. -- Laßt die Geister auf einander treffen und pla¬
tzen, sind ungefähr Luther's Worte; nur wo sie die Faust rühren
wollen, da schreitet mit der Faust ein. -- Wörtlich führt der gemüth¬
liche Thüringer diesen Spruch an, und was folgert er daraus? Man
solle allerdings reden und schreiben lassen, aber, -- -- nur nicht
zu arg. -- Darum also Räuber und Mörder! Und diese Ohnmachts-
mcnschen renommiren mit "ihrem" Luther! --

-- Ein Inserat in der Augsburger Allgemeinen weis't nach, daß
der Ankläger Vischer's in derselben Zeitung eine Stelle aus den "Jahr¬
büchern der Gegenwart," die er anführte, verfälscht hat. Lehrreich ist
serner die Beleuchtung der Perfidie, mit der auch der kleinste Neben¬
umstand, bei Vischer's Inauguralrede, zum Behuf der Verdächtigung
benutzt ward. Daß die Rede frei vorgetragen wurde, galt für Poli¬
tik; wäre sie ausgearbeitet gewesen, hatte man in jedem Satz die
rafsinirteste Berechnung gesehen. Die Mäßigung, die im Tone der
"Jahrbücher" herrscht, wird als Schlauheit ausgelegt, als ein Mit¬
tel, um die "Zähne des Drachen'^ mit Sicherheit in den nllmälig
aufzulockernden Boden des Vaterlandes zu säen; der kleinste Mangel


zu vergleichen, wie der deutsche Historiker Dahlmann Poetisch wird,
und der englische Dichter sich durch und durch als kühlen Beobachter,
als praktischen Nutzanwendungsmenschen bewahrt. — Ueberhaupt ist
dieses Buch das beste Supplement zu Dahlmann's Geschicht d
eer
G. englischen Revolution.

— Es ist immer ergötzlich, wenn sich die beiden Allgemeinen
zanken. Man sollte glauben, Eine werde - der Andern den Spiegel
vorhalten, um ihr die Runzeln ihrer doctrinären Bedächtigkeit, die
schlaffen Auge ihrer diplomatischen Vlasirtheit, um ihr Servilismus :c.
vorzuwerfen? O nein! Beide kommen einander fürchterlich radicalvor!
So wurde unlängst in der Deutschen Allgemeinen die Augsburger von
einem Berliner des Radikalismus beschuldigt, weil sie allerdings in
preußischen Angelegenheiten Momente hat, wo sie mit der Wahrheit
herauszuplatzen droht. Dafür wird in der Augsburger mit jedem Post¬
tag ein ähnlicher Stein auf die Deutsche Allgemeine geworfen, weil
diese aus Oesterreich neben manchem Ungcgründeten öfters sehr
begründete Dinge bringt, die man in Augsburg nicht drucken kann. —
Und Deutschland soll einig werden?!

Was für eine „Erklärung" würde der Doctor Luther los¬
lassen, wenn er jetzt lebte und die Deutsche Allgemeine von voriger
Woche lesen könnte! Da hat Jemand aus Thüringen über Luther's Kraft¬
satz für unbedingte Rede- und Preßfreiheit mit einer Salbung von zwei
Spalten gepredigt und kommt endlich zu dem Resultat, daß Alles
gut ist, wie es ist. — Laßt die Geister auf einander treffen und pla¬
tzen, sind ungefähr Luther's Worte; nur wo sie die Faust rühren
wollen, da schreitet mit der Faust ein. — Wörtlich führt der gemüth¬
liche Thüringer diesen Spruch an, und was folgert er daraus? Man
solle allerdings reden und schreiben lassen, aber, — — nur nicht
zu arg. — Darum also Räuber und Mörder! Und diese Ohnmachts-
mcnschen renommiren mit „ihrem" Luther! —

— Ein Inserat in der Augsburger Allgemeinen weis't nach, daß
der Ankläger Vischer's in derselben Zeitung eine Stelle aus den „Jahr¬
büchern der Gegenwart," die er anführte, verfälscht hat. Lehrreich ist
serner die Beleuchtung der Perfidie, mit der auch der kleinste Neben¬
umstand, bei Vischer's Inauguralrede, zum Behuf der Verdächtigung
benutzt ward. Daß die Rede frei vorgetragen wurde, galt für Poli¬
tik; wäre sie ausgearbeitet gewesen, hatte man in jedem Satz die
rafsinirteste Berechnung gesehen. Die Mäßigung, die im Tone der
„Jahrbücher" herrscht, wird als Schlauheit ausgelegt, als ein Mit¬
tel, um die „Zähne des Drachen'^ mit Sicherheit in den nllmälig
aufzulockernden Boden des Vaterlandes zu säen; der kleinste Mangel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/249>, abgerufen am 22.07.2024.