Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite
M.
N o t i z e "l.

Censur. -- Geschichte Cromwell's von Robert Southey. -- Allgemeine Pole¬
mik. -- Erklärung, von Dr. Martin Luther. -- Die Kunst, zu verdächti¬
gen. -- Ein neues Ol>ercensurgericht. -- Die Frakbande. -- Gerüchte. --
Berichtigung. --

-- (Brieflich aus Wien.) Seltsam, gerade in dem Augenblick, wo
man geschärfte Maßregeln gegen die auswärtige Literatur ergreift und selbst
den juridisch politischen Leseverein, der bisher eine gewisse Ausnahms-
stellung genoß, wieder mit der chinesischen Mauer umschanzen möchte,
tauchen mit großer Bestimmtheit Gerüchte auf, die uns langgewünschte
Verbesserungen hoffen lassen wollen. Es heißt, daß die Censur an
die mit der vereinigten Hofkanzlei verbundene Studienhoftommisston
übergehen und somit von der Polizeihofstelle getrennt werden soll.
Damit wäre auch ein bedeutsamer Personenwechsel zu erwarten, indem
der jetzige Hofkanzler Graf Jnzaghi an die Stelle des in Ruhestand
zu versetzenden Obersten Kämmerers Grasen Czcrnin träte und der
bisherige Landesgouverneur von Scciermark, Graf Wickenburg, zum
Hofkanzler befördert würde und zugleich als Präsident der mit den
Ccnsurgeschäften betrauten Studienhofcommission ftmgirte. Es scheint,
als wollte man durch diesen Jnstanzenwechscl der Presse eine dem
preußischen Obercensurqericht ähnliche Concession machen. Die milde
Umsicht des Grasen Wickenburg, dessen gewinnende Persönlichkeit den
deutschen Naturforschern noch in Erinnerung sein wird, könnte aller¬
dings manche Uebelstände unseres, allen Winden der Willkür preisge¬
gebenen Censurwesens beseitigen.

-- Bei Ernst Schäfer in Leipzig erscheint in einer vortrefflichen
Uebersetzung die Geschichte Cromwell's von Robert Southey. Man
hat das Buch im Pulte des verstorbenen Dichters gefunden und es
hat wegen seiner revolutionären Ideen um so größeres Aufsehen ma¬
chen müssen, da man den Verfasser bei Lebzeiten mit zu den Tories
zu zahlen gewohnt war. Und es ist nicht nur der Tory Southey,
es ist Southey, der i>in>ti>, Iiuire-Un", der die große Pension von der
Königin bezogen, der Verfasser höchst frommer und langweiliger Legenden,
der eine Geschichte so kernigen, reichen Inhalts liefern konnte. -- Sie
beginnt mit der Auseinandersetzung der verschiedenen Constitutionen
und mit der Vergleichung der englischen mit denen des Continents,
wobei mancher scharfe Seitenhieb auf unsere Constitutiönchen fällt;
dann folgt die einleitende, endlich die Geschichte Cromwell's. -- Der
Historiker hat sich nie vom Dichter zu irgend einer Extravaganz hin¬
reißen lassen, er hat den Dichter nur benutzt, um die Thaten und Ge¬
stalten körperlicher, anschaulicher darzustellen. Es ist interessant,


M.
N o t i z e »l.

Censur. — Geschichte Cromwell's von Robert Southey. — Allgemeine Pole¬
mik. — Erklärung, von Dr. Martin Luther. — Die Kunst, zu verdächti¬
gen. — Ein neues Ol>ercensurgericht. — Die Frakbande. — Gerüchte. —
Berichtigung. —

— (Brieflich aus Wien.) Seltsam, gerade in dem Augenblick, wo
man geschärfte Maßregeln gegen die auswärtige Literatur ergreift und selbst
den juridisch politischen Leseverein, der bisher eine gewisse Ausnahms-
stellung genoß, wieder mit der chinesischen Mauer umschanzen möchte,
tauchen mit großer Bestimmtheit Gerüchte auf, die uns langgewünschte
Verbesserungen hoffen lassen wollen. Es heißt, daß die Censur an
die mit der vereinigten Hofkanzlei verbundene Studienhoftommisston
übergehen und somit von der Polizeihofstelle getrennt werden soll.
Damit wäre auch ein bedeutsamer Personenwechsel zu erwarten, indem
der jetzige Hofkanzler Graf Jnzaghi an die Stelle des in Ruhestand
zu versetzenden Obersten Kämmerers Grasen Czcrnin träte und der
bisherige Landesgouverneur von Scciermark, Graf Wickenburg, zum
Hofkanzler befördert würde und zugleich als Präsident der mit den
Ccnsurgeschäften betrauten Studienhofcommission ftmgirte. Es scheint,
als wollte man durch diesen Jnstanzenwechscl der Presse eine dem
preußischen Obercensurqericht ähnliche Concession machen. Die milde
Umsicht des Grasen Wickenburg, dessen gewinnende Persönlichkeit den
deutschen Naturforschern noch in Erinnerung sein wird, könnte aller¬
dings manche Uebelstände unseres, allen Winden der Willkür preisge¬
gebenen Censurwesens beseitigen.

— Bei Ernst Schäfer in Leipzig erscheint in einer vortrefflichen
Uebersetzung die Geschichte Cromwell's von Robert Southey. Man
hat das Buch im Pulte des verstorbenen Dichters gefunden und es
hat wegen seiner revolutionären Ideen um so größeres Aufsehen ma¬
chen müssen, da man den Verfasser bei Lebzeiten mit zu den Tories
zu zahlen gewohnt war. Und es ist nicht nur der Tory Southey,
es ist Southey, der i>in>ti>, Iiuire-Un«, der die große Pension von der
Königin bezogen, der Verfasser höchst frommer und langweiliger Legenden,
der eine Geschichte so kernigen, reichen Inhalts liefern konnte. — Sie
beginnt mit der Auseinandersetzung der verschiedenen Constitutionen
und mit der Vergleichung der englischen mit denen des Continents,
wobei mancher scharfe Seitenhieb auf unsere Constitutiönchen fällt;
dann folgt die einleitende, endlich die Geschichte Cromwell's. — Der
Historiker hat sich nie vom Dichter zu irgend einer Extravaganz hin¬
reißen lassen, er hat den Dichter nur benutzt, um die Thaten und Ge¬
stalten körperlicher, anschaulicher darzustellen. Es ist interessant,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269665"/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> M.<lb/>
N o t i z e »l.</head><lb/>
            <note type="argument"> Censur. &#x2014; Geschichte Cromwell's von Robert Southey. &#x2014; Allgemeine Pole¬<lb/>
mik. &#x2014; Erklärung, von Dr. Martin Luther. &#x2014; Die Kunst, zu verdächti¬<lb/>
gen. &#x2014; Ein neues Ol&gt;ercensurgericht. &#x2014; Die Frakbande. &#x2014; Gerüchte. &#x2014;<lb/>
Berichtigung. &#x2014;</note><lb/>
            <p xml:id="ID_723"> &#x2014; (Brieflich aus Wien.) Seltsam, gerade in dem Augenblick, wo<lb/>
man geschärfte Maßregeln gegen die auswärtige Literatur ergreift und selbst<lb/>
den juridisch politischen Leseverein, der bisher eine gewisse Ausnahms-<lb/>
stellung genoß, wieder mit der chinesischen Mauer umschanzen möchte,<lb/>
tauchen mit großer Bestimmtheit Gerüchte auf, die uns langgewünschte<lb/>
Verbesserungen hoffen lassen wollen. Es heißt, daß die Censur an<lb/>
die mit der vereinigten Hofkanzlei verbundene Studienhoftommisston<lb/>
übergehen und somit von der Polizeihofstelle getrennt werden soll.<lb/>
Damit wäre auch ein bedeutsamer Personenwechsel zu erwarten, indem<lb/>
der jetzige Hofkanzler Graf Jnzaghi an die Stelle des in Ruhestand<lb/>
zu versetzenden Obersten Kämmerers Grasen Czcrnin träte und der<lb/>
bisherige Landesgouverneur von Scciermark, Graf Wickenburg, zum<lb/>
Hofkanzler befördert würde und zugleich als Präsident der mit den<lb/>
Ccnsurgeschäften betrauten Studienhofcommission ftmgirte. Es scheint,<lb/>
als wollte man durch diesen Jnstanzenwechscl der Presse eine dem<lb/>
preußischen Obercensurqericht ähnliche Concession machen. Die milde<lb/>
Umsicht des Grasen Wickenburg, dessen gewinnende Persönlichkeit den<lb/>
deutschen Naturforschern noch in Erinnerung sein wird, könnte aller¬<lb/>
dings manche Uebelstände unseres, allen Winden der Willkür preisge¬<lb/>
gebenen Censurwesens beseitigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_724" next="#ID_725"> &#x2014; Bei Ernst Schäfer in Leipzig erscheint in einer vortrefflichen<lb/>
Uebersetzung die Geschichte Cromwell's von Robert Southey. Man<lb/>
hat das Buch im Pulte des verstorbenen Dichters gefunden und es<lb/>
hat wegen seiner revolutionären Ideen um so größeres Aufsehen ma¬<lb/>
chen müssen, da man den Verfasser bei Lebzeiten mit zu den Tories<lb/>
zu zahlen gewohnt war. Und es ist nicht nur der Tory Southey,<lb/>
es ist Southey, der i&gt;in&gt;ti&gt;, Iiuire-Un«, der die große Pension von der<lb/>
Königin bezogen, der Verfasser höchst frommer und langweiliger Legenden,<lb/>
der eine Geschichte so kernigen, reichen Inhalts liefern konnte. &#x2014; Sie<lb/>
beginnt mit der Auseinandersetzung der verschiedenen Constitutionen<lb/>
und mit der Vergleichung der englischen mit denen des Continents,<lb/>
wobei mancher scharfe Seitenhieb auf unsere Constitutiönchen fällt;<lb/>
dann folgt die einleitende, endlich die Geschichte Cromwell's. &#x2014; Der<lb/>
Historiker hat sich nie vom Dichter zu irgend einer Extravaganz hin¬<lb/>
reißen lassen, er hat den Dichter nur benutzt, um die Thaten und Ge¬<lb/>
stalten körperlicher, anschaulicher darzustellen.    Es ist interessant,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] M. N o t i z e »l. Censur. — Geschichte Cromwell's von Robert Southey. — Allgemeine Pole¬ mik. — Erklärung, von Dr. Martin Luther. — Die Kunst, zu verdächti¬ gen. — Ein neues Ol>ercensurgericht. — Die Frakbande. — Gerüchte. — Berichtigung. — — (Brieflich aus Wien.) Seltsam, gerade in dem Augenblick, wo man geschärfte Maßregeln gegen die auswärtige Literatur ergreift und selbst den juridisch politischen Leseverein, der bisher eine gewisse Ausnahms- stellung genoß, wieder mit der chinesischen Mauer umschanzen möchte, tauchen mit großer Bestimmtheit Gerüchte auf, die uns langgewünschte Verbesserungen hoffen lassen wollen. Es heißt, daß die Censur an die mit der vereinigten Hofkanzlei verbundene Studienhoftommisston übergehen und somit von der Polizeihofstelle getrennt werden soll. Damit wäre auch ein bedeutsamer Personenwechsel zu erwarten, indem der jetzige Hofkanzler Graf Jnzaghi an die Stelle des in Ruhestand zu versetzenden Obersten Kämmerers Grasen Czcrnin träte und der bisherige Landesgouverneur von Scciermark, Graf Wickenburg, zum Hofkanzler befördert würde und zugleich als Präsident der mit den Ccnsurgeschäften betrauten Studienhofcommission ftmgirte. Es scheint, als wollte man durch diesen Jnstanzenwechscl der Presse eine dem preußischen Obercensurqericht ähnliche Concession machen. Die milde Umsicht des Grasen Wickenburg, dessen gewinnende Persönlichkeit den deutschen Naturforschern noch in Erinnerung sein wird, könnte aller¬ dings manche Uebelstände unseres, allen Winden der Willkür preisge¬ gebenen Censurwesens beseitigen. — Bei Ernst Schäfer in Leipzig erscheint in einer vortrefflichen Uebersetzung die Geschichte Cromwell's von Robert Southey. Man hat das Buch im Pulte des verstorbenen Dichters gefunden und es hat wegen seiner revolutionären Ideen um so größeres Aufsehen ma¬ chen müssen, da man den Verfasser bei Lebzeiten mit zu den Tories zu zahlen gewohnt war. Und es ist nicht nur der Tory Southey, es ist Southey, der i>in>ti>, Iiuire-Un«, der die große Pension von der Königin bezogen, der Verfasser höchst frommer und langweiliger Legenden, der eine Geschichte so kernigen, reichen Inhalts liefern konnte. — Sie beginnt mit der Auseinandersetzung der verschiedenen Constitutionen und mit der Vergleichung der englischen mit denen des Continents, wobei mancher scharfe Seitenhieb auf unsere Constitutiönchen fällt; dann folgt die einleitende, endlich die Geschichte Cromwell's. — Der Historiker hat sich nie vom Dichter zu irgend einer Extravaganz hin¬ reißen lassen, er hat den Dichter nur benutzt, um die Thaten und Ge¬ stalten körperlicher, anschaulicher darzustellen. Es ist interessant,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/248>, abgerufen am 22.07.2024.