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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zu bleiben. Auch darf ich nicht unerwähnt lassen, daß Manche, die
vermöge ihrer literarischen Stellung und ihres Verhältnisses zu B>
und zu der von ihm repräsentirten Geistesrichtung hier wohl an ihrem
Platze gewesen wären, sich der unter diesem, der unter jenem nich¬
tigen Vorwande ausschlossen, denn es fehlt der Mattherzigkeit sogar
der Muth, sich als solche zu bekennen. -- So sehr man den ungarischen
Schutzverein in's Lächerliche zu ziehen gesucht hat, und was zieht man
denn heute zu Tage nicht in's Lächerliche, so kann ich Ihnen doch
aus guter Quelle versichern, daß den hiesigen Fabrikanten dessen Wir¬
kungen sehr fühlbar sind; so hat z. B. im verflossenen Monat selbst
von den mit Rohstoffen handelnden Mancher nicht den sechsten Theil
seiner frühern Geldlösung gehabt, indem der hauptsächlichste Abzug
nach Ungarn in großem Maße unterbleibt, ohne daß sich die Lücke
noch anderweitig füllen ließ. Dabei ist nicht zu übersehen^ daß sich
allerdings das Fabrikwesen in Ungarn noch nicht seiner Kindheit ent¬
wunden hat. -- Spaßhaft ist ein Anderes, nämlich der, wie in jedem
Jahr, so auch Heuer wieder auftauchende Rumor eines GcisterspukeS
in einem hiesigen Vorstadthause, dem man jedoch bereits auf den
Grund -- in Ratten gekommen sein will. - - Daß Hofrath Amberg,
bisheriger Polizeioirector, zur Hofstelle übersetzt ward und Muth, frü¬
her Polizeioirector in Prag, an dessen Stelle kam, wissen Sie wohl
bereits; auch daß sich ein hiesiger Fraucngesangsverein auf Anregung
und unter Leitung der Gesangskünstlerin Madame van Hasselt-Barth
vorläufig nach ven Muster des Männergesangvereins gebildet hat. --


P.
II
Zur Sittengeschichte der neueste" Philosophie.
Max Stirner: der Einzige und sein Eigenthum.*)

Als ich das Buch gelesen, sielen mir unwillkürlich die Berliner
Garde-Lieutenants ein. Bisher hatte ich Alles eher vermuthet, als
einst mir vorstellen zu müssen, daß in der Berliner Garde die Philo¬
sophie und dazu noch die allermodcrnste, zeitgemäßeste, einzig wahre
und berechtigte Licutenantsdienste versehe, aber siehe da die Thatsache
meines Einfalles war da und wer kann für seine Einfälle? Aber
nein, im Grunde war mein Einfall so wunderlich nicht. Die neueste
Philosophie hat in ihren tollen Kreuz- und Quersprüngen fast jeden
Tag ein Neues, einen neuen Begriff, eine neue Idee auf den Thron
gehoben; es hatte Jeder auf seiner Hut zu sein, mit einem Theorem
aufzutreten, wenn er nicht seine Vorgänger an Originalität oder rich¬
tiger an Seltsamkeit überbieten konnte; je frauenhafter und verzerrter



*) Leipzig, bei Otto Wigand, I84t,
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zu bleiben. Auch darf ich nicht unerwähnt lassen, daß Manche, die
vermöge ihrer literarischen Stellung und ihres Verhältnisses zu B>
und zu der von ihm repräsentirten Geistesrichtung hier wohl an ihrem
Platze gewesen wären, sich der unter diesem, der unter jenem nich¬
tigen Vorwande ausschlossen, denn es fehlt der Mattherzigkeit sogar
der Muth, sich als solche zu bekennen. — So sehr man den ungarischen
Schutzverein in's Lächerliche zu ziehen gesucht hat, und was zieht man
denn heute zu Tage nicht in's Lächerliche, so kann ich Ihnen doch
aus guter Quelle versichern, daß den hiesigen Fabrikanten dessen Wir¬
kungen sehr fühlbar sind; so hat z. B. im verflossenen Monat selbst
von den mit Rohstoffen handelnden Mancher nicht den sechsten Theil
seiner frühern Geldlösung gehabt, indem der hauptsächlichste Abzug
nach Ungarn in großem Maße unterbleibt, ohne daß sich die Lücke
noch anderweitig füllen ließ. Dabei ist nicht zu übersehen^ daß sich
allerdings das Fabrikwesen in Ungarn noch nicht seiner Kindheit ent¬
wunden hat. — Spaßhaft ist ein Anderes, nämlich der, wie in jedem
Jahr, so auch Heuer wieder auftauchende Rumor eines GcisterspukeS
in einem hiesigen Vorstadthause, dem man jedoch bereits auf den
Grund — in Ratten gekommen sein will. - - Daß Hofrath Amberg,
bisheriger Polizeioirector, zur Hofstelle übersetzt ward und Muth, frü¬
her Polizeioirector in Prag, an dessen Stelle kam, wissen Sie wohl
bereits; auch daß sich ein hiesiger Fraucngesangsverein auf Anregung
und unter Leitung der Gesangskünstlerin Madame van Hasselt-Barth
vorläufig nach ven Muster des Männergesangvereins gebildet hat. —


P.
II
Zur Sittengeschichte der neueste» Philosophie.
Max Stirner: der Einzige und sein Eigenthum.*)

Als ich das Buch gelesen, sielen mir unwillkürlich die Berliner
Garde-Lieutenants ein. Bisher hatte ich Alles eher vermuthet, als
einst mir vorstellen zu müssen, daß in der Berliner Garde die Philo¬
sophie und dazu noch die allermodcrnste, zeitgemäßeste, einzig wahre
und berechtigte Licutenantsdienste versehe, aber siehe da die Thatsache
meines Einfalles war da und wer kann für seine Einfälle? Aber
nein, im Grunde war mein Einfall so wunderlich nicht. Die neueste
Philosophie hat in ihren tollen Kreuz- und Quersprüngen fast jeden
Tag ein Neues, einen neuen Begriff, eine neue Idee auf den Thron
gehoben; es hatte Jeder auf seiner Hut zu sein, mit einem Theorem
aufzutreten, wenn er nicht seine Vorgänger an Originalität oder rich¬
tiger an Seltsamkeit überbieten konnte; je frauenhafter und verzerrter



*) Leipzig, bei Otto Wigand, I84t,
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[0245] zu bleiben. Auch darf ich nicht unerwähnt lassen, daß Manche, die vermöge ihrer literarischen Stellung und ihres Verhältnisses zu B> und zu der von ihm repräsentirten Geistesrichtung hier wohl an ihrem Platze gewesen wären, sich der unter diesem, der unter jenem nich¬ tigen Vorwande ausschlossen, denn es fehlt der Mattherzigkeit sogar der Muth, sich als solche zu bekennen. — So sehr man den ungarischen Schutzverein in's Lächerliche zu ziehen gesucht hat, und was zieht man denn heute zu Tage nicht in's Lächerliche, so kann ich Ihnen doch aus guter Quelle versichern, daß den hiesigen Fabrikanten dessen Wir¬ kungen sehr fühlbar sind; so hat z. B. im verflossenen Monat selbst von den mit Rohstoffen handelnden Mancher nicht den sechsten Theil seiner frühern Geldlösung gehabt, indem der hauptsächlichste Abzug nach Ungarn in großem Maße unterbleibt, ohne daß sich die Lücke noch anderweitig füllen ließ. Dabei ist nicht zu übersehen^ daß sich allerdings das Fabrikwesen in Ungarn noch nicht seiner Kindheit ent¬ wunden hat. — Spaßhaft ist ein Anderes, nämlich der, wie in jedem Jahr, so auch Heuer wieder auftauchende Rumor eines GcisterspukeS in einem hiesigen Vorstadthause, dem man jedoch bereits auf den Grund — in Ratten gekommen sein will. - - Daß Hofrath Amberg, bisheriger Polizeioirector, zur Hofstelle übersetzt ward und Muth, frü¬ her Polizeioirector in Prag, an dessen Stelle kam, wissen Sie wohl bereits; auch daß sich ein hiesiger Fraucngesangsverein auf Anregung und unter Leitung der Gesangskünstlerin Madame van Hasselt-Barth vorläufig nach ven Muster des Männergesangvereins gebildet hat. — P. II Zur Sittengeschichte der neueste» Philosophie. Max Stirner: der Einzige und sein Eigenthum.*) Als ich das Buch gelesen, sielen mir unwillkürlich die Berliner Garde-Lieutenants ein. Bisher hatte ich Alles eher vermuthet, als einst mir vorstellen zu müssen, daß in der Berliner Garde die Philo¬ sophie und dazu noch die allermodcrnste, zeitgemäßeste, einzig wahre und berechtigte Licutenantsdienste versehe, aber siehe da die Thatsache meines Einfalles war da und wer kann für seine Einfälle? Aber nein, im Grunde war mein Einfall so wunderlich nicht. Die neueste Philosophie hat in ihren tollen Kreuz- und Quersprüngen fast jeden Tag ein Neues, einen neuen Begriff, eine neue Idee auf den Thron gehoben; es hatte Jeder auf seiner Hut zu sein, mit einem Theorem aufzutreten, wenn er nicht seine Vorgänger an Originalität oder rich¬ tiger an Seltsamkeit überbieten konnte; je frauenhafter und verzerrter *) Leipzig, bei Otto Wigand, I84t, 3l -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/245>, abgerufen am 22.07.2024.